Verfassungsausschuss befasst sich mit Situation am VfGH und am VwGH
Wien (pk) - Die Regierung will noch heuer einen Gesetzentwurf zur Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit
vorlegen. Wie Staatssekretär Josef Ostermayer am 06.10. im Verfassungsausschuss des Nationalrats erklärte,
wird ein entsprechender Beschluss des Ministerrats im Dezember angestrebt. Zuvor müssen allerdings noch Verhandlungen
mit den Ländern geführt werden. Ostermayer ist jedoch zuversichtlich, bis Ende Oktober eine Einigung
zu erzielen. In die Erstellung des Regierungsentwurfs will der Staatssekretär auch die drei Oppositionsparteien
einbinden, wobei im Nationalrat für das notwendige Bundesverfassungsgesetz zumindest die Zustimmung einer
Fraktion benötigt wird.
Nach derzeitigem Stand ist Ostermayer zufolge die Einrichtung von neun Landesverwaltungsgerichten und zwei Bundesverwaltungsgerichten
geplant, wobei im Bundesfinanzgericht alle Finanzsachen konzentriert werden sollen. Für das zweite geplante
Bundesverwaltungsgericht könnte der bereits eingerichtete Asylgerichtshof das Grundgerüst bilden.
Zu den noch offenen Punkten gehört nach Darstellung Ostermayers unter anderem die Frage, inwieweit Entscheidungen
der Landes- und Bundesverwaltungsgerichte beim Verwaltungsgerichtshof bekämpfbar sein sollen. Zur Diskussion
stehen entweder ein Revisions- oder ein Zulassungsmodell, wobei in einem Fall das jeweils zuständige Verwaltungsgericht
Revisionen ausschließen könnte, während im anderen Modell die Ablehnung von Fällen dem Verwaltungsgerichtshof
obliegen würde. Der Präsident des Verwaltungsgerichtshofs Clemens Jabloner äußerte im Ausschuss
Präferenzen dafür, dem Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung zu überlassen. Im Bereich des Umweltrechts
sprach sich Ostermayer für eine Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts aus.
Mehrfach geäußerte Kritik an drohenden Kostensteigerungen wies Ostermayer zurück. Er zeigte sich
überzeugt, dass sich eine zweistufige Verwaltungsgerichtsbarkeit aufgrund der Beschleunigung von Verwaltungsverfahren
mittelfristig auch ökonomisch rechnen wird. Aus rechtsstaatlicher Sicht führt seiner Meinung nach ohnehin
kein Weg an der geplanten Reform vorbei, eine Ansicht, die auch Jabloner und der Präsident des Verfassungsgerichtshofs
Gerhart Holzinger teilten. Holzinger wies darauf hin, dass es immer wieder zu Problemen beim Europäischen
Menschengerichtshof komme, weil es in vielen Fällen nicht möglich sei, sich nach Entscheidungen der ersten
Instanz an ein Verwaltungsgericht zu wenden.
Jabloner und Holzinger schlossen sich außerdem der Forderung von FPÖ-Abgeordnetem Peter Fichtenbauer
an, bei der Auswahl der RichterInnen der Verwaltungsgerichte besondere Sorgfalt walten zu lassen.
VfGH und VwGH sind nach wie vor extrem belastet
Grundlage für die Diskussion im Ausschuss bildeten die Tätigkeitsberichte des Verfassungsgerichtshofs
und des Verwaltungsgerichtshofs für die Jahre 2009 und 2010 sowie drei Oppositionsanträge. Sowohl der
Verfassungsgerichtshof (VfGH) als auch der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) weisen in den Berichten auf ihre enorme
Belastung hin und mahnen zum wiederholten Mal eine Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit ein. Nur ein durchgängiges
zweistufiges Verwaltungsgerichtssystem und eine gleichzeitige Entlastung des Verfassungsgerichtshofs von Asyl-Beschwerden
kann ihrer Ansicht nach den Aktenstau am VwGH nachhaltig reduzieren und den VfGH ausreichend Spielraum einräumen,
um sich wieder verstärkt seiner eigentlichen Aufgabe, für den Rechtsstaat essentielle Rechtsfragen zu
entscheiden, widmen zu können.
Derzeit betreffen, wie aus den Berichten hervorgeht, mehr als die Hälfte der an den VfGH herangetragenen Fälle
den Asylbereich. Im Jahr 2010 waren es exakt 2.911 von insgesamt 5.133 Rechtssachen. Dem stehen 4.719 abgeschlossene
Fälle im gleichen Zeitraum gegenüber. Im Rahmen von 103 Gesetzesprüfungsverfahren hob der Verfassungsgerichtshof
2010 von 43 geprüften Bundes- und Landesgesetzen 20 teilweise auf.
Der Verwaltungsgerichtshof konnte zwar sowohl 2009 als auch 2010 mehr Fälle erledigen als neu angefallen sind.
Der Aktenrückstau war aber auch Ende 2010 mit 8.242 Fällen weiter enorm hoch.
Niedrige Erfolgsquote beim VfGH in Asylsachen
VfGH-Präsident Gerhart Holzinger bekräftigte im Rahmen der Sitzung die Notwendigkeit, rasch eine zweistufige
Verwaltungsgerichtsbarkeit einzurichten, in die auch der Asylgerichtshof eingebunden werden müsse. Seiner
Ansicht nach soll es darüber hinaus in sämtlichen Rechtssachen, also auch in Asylfragen, einen Zugang
zum Verwaltungsgerichtshof geben. Nur so könne der Verfassungsgerichtshof entlastet werden.
Nach jetzigem Stand ist Holzinger zufolge nicht damit zu rechnen, dass die Zahl der Asylbeschwerden beim VfGH zurückgehen
wird. Auch heuer werde ein Beschwerdeanfall von rund 3.000 Fällen erwartet. Der VfGH könne auf Dauer
aber nicht "Lückenbüßer" für ein bestimmtes Problem sein, mahnte er. Sollte es nicht
gelingen, den Verfassungsgerichtshof in diesem Bereich mittelfristig zu entlasten, drohe ein deutlicher Anstieg
der Verfahrensdauer und eine Entfremdung des VfGH von seinen eigentlichen Aufgaben.
Die Erfolgsquote beim Verfassungsgerichtshof in Asylsachen ist Holzinger zufolge wegen eingeschränkter Prüfkriterien
extrem niedrig: er geht von rund 30 Fällen im Jahr – bei 3.000 Rechtssachen – aus, wo eine Grundrechtsverletzung
festgestellt werde.
Verteidigt wurde von Holzinger die Anmietung neuer Räumlichkeiten für den Verfassungsgerichtshof. Er
habe drei Jahre lang nach einer Alternative gesucht, skizzierte er.
Verwaltungsgerichtshof bemüht sich um Abbau des Aktenrückstaus
VwGH-Präsident Clemens Jabloner räumte ein, dass die Verfahrensdauer beim Verwaltungsgerichtshof zu lange
sei. Nach dem Wegfall von Asylsachen werde der Verfahrensrückstand nun aber sukzessive abgebaut, betonte er.
Mit gestrigem Stand waren Jabloner zufolge noch rund 7.230 Fälle offen, bis zum Jahresende könnte der
Aktenrückstand auf 6.000 Fällen reduziert sein. Sämtliche Asylfälle sind laut Jabloner mittlerweile
vom VwGH abgeschlossen, im Sommer wurde der letzte Fall erledigt.
Eine nachhaltige Entlastung des Verwaltungsgerichtshofs ist nach Ansicht Jabloners allerdings nur bei einer Reform
der Verwaltungsgerichtsbarkeit möglich. Er begrüßte in diesem Sinn das vorliegende Konzept, auch
wenn, wie er meinte, an einigen Details noch zu feilen sein werde. Die zentrale Frage ist für ihn, wie könne
man den Verwaltungsgerichtshof entlasten, ohne ihn auszuschalten.
Um die Verfahrensdauer zu beschleunigen, hat der Verwaltungsgerichtshof laut Jabloner auch intern einige Vorkehrungen
getroffen. So ist die Einrichtung eines vierten Senats für fremdenrechtliche Angelegenheiten geplant. Dieser
Senat soll sich ausschließlich mit Altfällen befassen und damit die anderen drei Senate entlasten. Jabloner
erachtet es außerdem für sinnvoll, die Wertgrenze für die zulässige Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs
in Verwaltungsstrafsachen von 750 € auf 2.000 € zu erhöhen, das könnte den Aktenanfall um 400 bis 500
Fälle pro Jahr reduzieren.
Die Einrichtung einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit erachtet Jabloner nicht nur zur Entlastung des Verwaltungsgerichtshofs
für erforderlich. Er gab zu bedenken, dass das EU-Recht eine stärkere richterliche Kontrolle der Verwaltung
verlange.
Seitens der Abgeordneten ortete Abgeordneter Johannes Jarolim (S) eine "positive Stimmung" in Bezug auf
die geplante Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Abgeordneter Reinhold Lopatka (V) wies auf die lange Verfahrensdauer
beim Verwaltungsgerichtshof hin. Abgeordneter Walter Rosenkranz (F) betonte, dass die Überprüfung von
Asylbescheiden beim Verfassungsgerichtshof auch weiter gewährleistet sein müsse. Abgeordneter Herbert
Scheibner (B) begrüßte die Einrichtung von Landesverwaltungsgerichten, machte aber geltend, dass damit
auch eine Effizienzsteigerung und eine Kostensenkung verbunden sein müsse.
Abgeordneter Peter Fichtenbauer (F) hob insbesondere die Notwendigkeit hervor, auf die Qualität des Richterpersonals
zu achten, und meinte, ein bloßer Abschluss eines Studiums und eine fünfjährige juristische Praxis
seien nicht genug.
Der Forderung Fichtenbauers nach einer Qualitätssicherung bei der Richterauswahl schlossen sich auch VwGH-Präsident
Jabloner und VfGH-Präsident Holzinger an. Jabloner wies auf entsprechende Erfahrungen mit den Unabhängigen
Verwaltungssenaten hin. Holzinger sprach sich für eine ähnliche Qualität der Ausbildung im Bereich
der Verwaltungsgerichtsbarkeit wie bei der allgemeinen Gerichtsbarkeit aus.
Beide Berichte wurden vom Verfassungsausschuss einstimmig zur Kenntnis genommen.
Anträge der Opposition vertagt
Zum Thema Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit lag dem Ausschuss auch ein Entschließungsantrag der
Grünen vor, der nicht nur auf die Einrichtung von neun Landesverwaltungsgerichten und eines Bundesverwaltungsgerichts
abzielt, sondern auch Verfahrensfragen und Qualitätskriterien anspricht.
Zudem standen zwei Anträge der FPÖ mit in Verhandlung. Um Verwaltungsverfahren zu verkürzen, drängen
Abgeordneter Peter Fichtenbauer und seine FraktionskollegInnen auf eine Ausweitung der Befugnisse des Verwaltungsgerichtshofs
( 1094/A). Der VwGH soll demnach bei einem grundsätzlich bzw. überwiegend geklärten Sachverhalt
Behördenakte nicht nur aufheben, sondern selbst eine inhaltliche Entscheidung treffen können.
Darüber hinaus tritt die FPÖ für eine Änderung der Bundesverfassung ein: Verfahrensparteien
sollen im Zuge von anhängigen Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof, beim Asylgerichtshof, beim Bundesvergabeamt,
bei einem Unabhängigen Verwaltungssenat bzw. bei einem in zweiter Instanz zuständigen Gericht in die
Lage versetzt werden, den Verfassungsgerichtshof anzurufen, wenn sie der Meinung sind, dass ein Zivil-, Straf-
oder Verwaltungsgesetz verfassungswidrig ist.
Abgeordneter Peter Fichtenbauer (F) wies in der Debatte darauf hin, dass der Verwaltungsgerichtshof im Jahr 2010
1.065 Bescheide wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben habe. In vielen Fällen sei die Sachlage klar, meinte er.
Würde der VwGH nur 500 dieser Fälle selbst erledigen, würde das durch Verfahrensverkürzungen
Einsparungen in Millionenhöhe bedeuten.
Staatssekretär Josef Ostermayer hob hervor, dass die geplanten neuen Verwaltungsgerichte nach jetzigem Stand
in der Sache selbst Entscheidungen treffen sollen. Der Verwaltungsgerichtshof solle im Wesentlichen nur noch mit
Grundsatzfragen befasst werden.
Sowohl der Antrag der Grünen als auch die beiden Anträge der FPÖ wurden vertagt. Abgeordneter Herbert
Scheibner (B) hatte sich zuvor für die Einsetzung eines Unterausschusses zur Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit
ausgesprochen, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Scheibner wollte in diesem Unterausschuss neben den drei
vorliegenden Anträgen auch die geplante Regierungsvorlage ausführlich vorberaten. |