Der Staatsschuldenausschuss berichtet dem Parlament
Wien (pk) - Die Republik Österreich (Bund, Länder, Gemeinden Sozialversicherung) erhöhte
ihre Finanzschuld 2010 um 14,2 Mrd. € auf 205,2 Mrd. € oder 72,2 % des BIP. Davon entfielen 87 % auf den Bund,
8 % auf die Länder, 4 % auf die Gemeinden und 1 % auf die Sozialversicherungen. Diese Daten sind dem aktuellen
Bericht des Staatsschuldenausschusses über die Lage der öffentlichen Finanzen im Jahr 2010 zu entnehmen.
Die bereinigte Finanzschuld des Bundes (ohne Eigenbesitz) erreichte Ende 2010 176,8 Mrd. € oder 62,2 % des BIP
und lag um 8,1 Mrd. € oder 4,8 % über dem Vorjahr. Der Anteil der Fremdwährungsschuld an der bereinigten
Finanzschuld (nach Swaps) sank gegenüber 2009 von 3 % auf 2,2 %.
Der Bestand an Darlehensforderungen des Bundes an die Bundesländer stieg von 5,8 Mrd. € (2009) auf 6,3 Mrd.
€ (2010). Den Zunahmen in Niederösterreich, Salzburg und Kärnten standen Nettotilgungen in den Ländern
Burgenland und Wien gegenüber. Diese innerstaatliche Finanzierungsform der Bundesländer über die
OeBFA deckte 70 % der gesamten Finanzschuld der Länder ab.
Der Bund, der die Gläubigerstruktur der Staatsschuld in Österreich prägt, deckt seinen Geldbedarf
vorrangig über Anleiheemissionen in Euro, die vorwiegend von Investoren aus dem Euroraum erworben werden.
Der Anteil der Staatsschulden im Ausland sank von 76 % auf 75 %. Mit einem Anteil von 14 % waren österreichische
Banken die bedeutendsten inländischen Gläubiger des Staates. Private Haushalte hielten Ende 2009 weniger
als 1 % der Staatsschuld. Im internationalen Vergleich blieb die Verschuldungsquote Österreichs mit 72,3 %
des BIP deutlich unter den Durchschnittswerten der Euro-17 (85,4 % des BIP) sowie der EU-27 (80,2 % des BIP), überschritt
aber das Maastricht-Limit für die öffentliche Verschuldung nach Maastricht (60 % des BIP) erheblich.
Die Finanzschuldenmanager reagierten 2010 auf die schwierigen Marktbedingungen mit Risikobegrenzung, wobei das
langjährige Triple-A-Rating, das die Ratingagenturen Österreich zuerkennen, zu guten Refinanzierungsbedingungen
für den Bund beitrugen. So sank der Liquiditäts- und Risikoaufschlag Österreichs zu Deutschland
bei 10-jährigen Anleihen, der im März 2009 beinahe 110 Basispunkte erreicht hatte, 2010 wieder auf etwa
40 Basispunkte.
Der Zinsendienst für die bereinigte Finanzschuld (einschließlich "sonstiger Aufwand") verminderte
sich 2010 trotz hoher Neuverschuldung auf 5,7 Mrd. € (2009: 6,7 Mrd. €). Die durchschnittliche Nominalverzinsung
der Finanzschuld des Bundes lag gegenüber 2009 unverändert bei 4,1 %.
Die Finanzschuld des Bundes hatte auch 2010 eine sehr geringe Zinssensitivität und eine lange Restlaufzeit
von mehr als 8 Jahren. 96 % der Verbindlichkeiten sind fix verzinst. Für 2011 ist eine Bandbreite der Effective
Duration von 5 bis 7 vorgesehen.
Österreichs Fiskalposition 2010
Obwohl die Krise in den öffentlichen Haushalten Österreichs deutliche Spuren hinterließ,
das gesamtstaatliche Budgetdefizit 2010 auf 4,6 % des BIP und die gesamtstaatliche Verschuldung auf 72,2 % des
BIP zunahmen und statistische Revisionen auf EU-Ebene Defizit und Schuldenstand zusätzlich erhöhten,
gelang es infolge einer raschen Konjunkturerholung, durch vorsichtige Schätzungen und einen strikten Budgetvollzug
das gesamtstaatliche Defizit 2010 mit 4,6 % des BIP fast auf dem ursprünglich geschätzten Niveau zu halten.
Die Steuereinnahmen stiegen 2010 trotz der Auswirkungen der Steuerreform 2009 um 2,5 % und erreichten mit 137,3
Mrd. € wieder das Vorkrisenniveau. Die Einnahmenquote sank gegenüber 2009 von 48,8 % des BIP auf 48,3 %, die
gesamtstaatliche Abgabenquote Österreichs sank 2010 auf 43,9 % des BIP, lag aber deutlich über dem Euro-17-Durchschnitt
von 40,4% des BIP oder des EU-27-Durchschnitts von 39,8 % des BIP, liest man im Bericht des Staatsschuldenausschusses.
Trotz Fortführung der Konjunkturprogramme, Leistungen an Banken und die Kosten der automatischen Stabilisatoren
stiegen die Ausgaben der öffentlichen Haushalte 2010 mit 3,5 % weniger als in den Jahren 2006 bis 2008 und
erreichten 150,4 Mrd. € oder 52,9 % des BIP. Der Zinsaufwand für die Staatsschuld sank infolge des niedrigen
Zinsniveaus.
Die Staatsausgabenquote am BIP lag 2010 – nach starkem Anstieg 2009 - unverändert bei 52,9 %. 2010 verschlechterten
sich Budgetsaldo und Primärsaldo des Gesamtstaates (Budgetsaldo ohne Zinszahlungen) auf minus 5,6 Mrd. € oder
2 % des BIP.
Im internationalen Vergleich blieb Österreichs Budgetdefizit mit 4,6% des BIP – trotz eines EU-Verfahrens
wegen eines übermäßigen Defizits – auch im Jahr 2010 deutlich unter den Durchschnittswerten der
EU-27 (6,4 % des BIP) und der Euro-17 (6 % des BIP). Budgetdefizite unter der Maastricht-Obergrenze von 3 % des
BIP erreichten 2010 die EU-Länder Dänemark, Finnland, Luxemburg und Schweden sowie Estland, das einen
Budgetüberschuss erzielte .
Zukunftsaufgaben nach der Krise
Auch in Österreich hat das Erfordernis einer Konsolidierung der öffentlichen Finanzen durch die Krise
und deren Folgen (Anstieg von Staatsschuldenquote und strukturellem Budgetdefizit) erheblich zugenommen. Die gute
Konjunktur und die hohen Staatseinnahmen von 2006 bis 2008 seien nicht in ausreichendem Umfang für Strukturreformen
zur Verbesserung der Qualität der öffentlichen Finanzen genutzt worden, kritisiert der Staatsschuldenausschuss.
Das seit zehn Jahren verfolgte Ziel, einen ausgeglichenen Haushalt über den Konjunkturzyklus zu erreichen,
wurde trotz dynamischer Staatseinnahmen bislang klar verfehlt, erfährt der Leser des Berichts. Da eine hohe
öffentliche Verschuldung den budgetären Spielraum einengt und die langfristige Tragfähigkeit des
Budgets in Zweifel stellt, besteht angesichts labiler Finanzmärkte mit erhöhter Risikoaversion die Gefahr
einer negativen Schuld-Zins-Spirale.
Österreich ist gegenüber der EU verpflichtet, seine gesamtstaatlichen Defizitquote und die Verschuldungsquote
ab 2011 schrittweise zurückzuführen, erinnert der Staatsschuldenausschuss. Das erfordert eine Reduktion
des strukturellen Defizits von durchschnittlich 0,75 % Prozent des BIP in den Jahren 2011 bis 2013. Das aktuelle
österreichische Stabilitätsprogramm sehe aber nur eine Reduktion des strukturellen Budgetsaldos 2011
bis 2013 von 0,3% des BIP statt 0,75 % pro Jahr vor, klagt der Staatsschuldenausschuss. Eine Rückführung
der Defizitquote auf etwa 2% des BIP bis 2014 reiche nicht aus, um die Schuldenquote zu senken.
Der Kampf gegen die Eurokrise
Der Bericht fasst auch die europäischen Entscheidungen zusammen, die getroffen wurden, um die Eurokrise zu
bewältigen. Am 2. Mai 2010 vereinbarten Griechenland, die Euroländer und der IWF ein dreijähriges
Finanzhilfeprogramm von 110 Mrd. €. Am 9. Mai 2010 beschlossen die ECOFIN-Minister die Einrichtung eines europäischen
Finanzstabilisierungsmechanismus (European Financial Stabilisation Mechanism – EFSM), der Kredite von bis zu 60
Mrd. € an EU-Mitgliedstaaten vergeben kann. Zu diesem Zweck wurde am 7. Juni 2010 die Gesellschaft European Financial
Stability Facility (EFSF) gegründet, die Anleihen bis zu einem Gesamtvolumen von 440 Mrd. € ausgeben kann,
für die die Euroländer anteilsmäßig haften. Im Dezember 2010 einigte sich sodann der Europäische
Rat auf die Einrichtung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der die EFSF und EFSM ab Juli
2013 ablösen soll.
Zugleich startete die EU 2010 ein umfangreiches Maßnahmenpaket, das künftige Schuldenkrisen vermeiden
soll. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) und seine makroökonomische Überwachung wurden gestärkt
und der Euro-Plus-Pakt zur wirtschaftspolitischen Koordination von Euroländern und Nicht-Euroländern
geschlossen. Das "Europäische Semester" erleichtert die wirtschaftspolitische Koordination und Überwachung
in der EU und vernetzt die Umsetzung der Europa 2020-Strategie.
Alle EU-Mitgliedsländer müssen die Kernelemente der neuen europäischen Fiskal- und Makropolitik:
mehr Budgettransparenz, nationale Fiskalregeln und dreijährige Haushaltsrahmenplanung bis Ende 2013 umsetzen.
Dazu kommen das Gebot einer vorsichtigen Haushaltspolitik (strengere Regeln bei guter Konjunkturlage und Verschuldungsquoten
von mehr als 60 % des BIP) sowie stärkere Sanktionen. Ein "Excessive Deficit Procedure" (EDP) kann
künftig nicht nur bei Verletzung des Defizitkriteriums (3 % des BIP), sondern auch bei Verfehlung des Schuldenkriteriums
(60 % des BIP) eingeleitet werden. Ein neues Verfahren soll makroökonomische Ungleichgewichte ("Excessive
Imbalance Procedure – EIP") korrigieren. Als Indikatoren dafür gelten Leistungsbilanzdefizite und hohe
Auslandsverschuldung. |