Wien (öaw) - Einer Forschungsgruppe des Stefan-Meyer-Instituts für subatomare Physik (SMI) der
Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gelang im Rahmen der internationalen Kollaboration
SIDDHARTA die bisher genaueste Bestimmung des Effekts der starken Kraft zwischen Teilchen mit „Strangeness“. Das
Schlüsselexperiment eröffnet erstmals einen direkten Zugang zu diesem Effekt. Es wurde mit kaonischem
Wasserstoff, einem exotischen Atom bestehend aus Proton und Kaon, durchgeführt. Die Ergebnisse sind in der
aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Physics Letters B“ erschienen.
„Strangeness“ bezeichnet eine Eigenschaft von Teilchen, die unter anderem dadurch charakterisiert ist, dass die
Teilchen nicht über dieselbe Kraft zerfallen, durch die sie entstehen. Das Kaon ist das leichteste Teilchen,
das ein „Strange Quark“ enthält, das nächst schwere Quark nach „Up“ und „Down“, aus denen alle uns umgebende
Materie besteht. Die starke Kraft dominiert auf kurzen Distanzen die Wechselwirkung zwischen den uns umgebenden
„alltäglichen“ Teilchen wie Protonen und Neutronen. Diese Teilchen bestehend aus Quarks und Gluonen werden
„Hadronen“ genannt.
„Die Beschreibung der starken Wechselwirkung bei niederen Energien ist schwierig und benötigt genaueste Resultate
aus Experimenten“, sagt Michael Cargnelli vom Stefan-Meyer-Institut für subatomare Physik der ÖAW. Insbesondere
werden von theoretischen Physikern seit vielen Jahren genaue Resultate über die Kaon-Proton Wechselwirkung
gefordert, die im einfachsten Atom mit „Strangeness“, dem kaonischen Wasserstoff, ideal untersucht werden kann.
Das Experiment SIDDHARTA (Silicon Drift Detector for Hadronic Atom Research by Timing Application) am Elektron-Positron-Collider
DAFNE der Laboratori Nazionali di Frascati (LNF) in Italien erzielte die bisher genauesten Messungen des Effekts
der starken Kraft auf das am stärksten beeinflusste Energieniveau (Grundzustandsniveau) von kaonischem Wasserstoff.
Zur Erzeugung von kaonischem Wasserstoff werden negativ geladene Kaonen in Wasserstoffgas gestoppt. Das Elektron
eines Wasserstoffatoms wird durch das Kaon ersetzt und ein kaonisches Atom entsteht. In diesem elektromagnetisch
gebundenen System modifiziert die starke Wechselwirkung die Energiezustände und führt zur Absorption
des Kaons am Proton. Es entsteht eine Verschiebung und Verbreiterung der atomaren Energieniveaus und damit der
Energien der emittierten Röntgenstrahlung, die gemessen wurde.
Präzisionsmessungen wie diese stellen höchste Anforderungen an die dafür eingesetzten Technologien.
Der Elektron-Positron-Collider DAFNE der Laboratori Nazionali di Frascati in Italien bietet die einzigartige Möglichkeit
Kaonen zu verwenden, die niederenergetisch genug sind, um in einem kleinen Volumen Gas gestoppt zu werden. „Die
experimentelle Herausforderung lag darin, die empfindlichen Röntgendetektoren im Strahlungsumfeld eines Beschleunigers
zu betreiben und in der Notwendigkeit, die sehr seltenen Röntgensignale des kaonischen Wasserstoffs aus einer
enormen Anzahl von Hintergrundsignalen herauszufiltern“, erklärt Cargnelli. Für diese Messungen wurden
neuartige Röntgendetektoren (Silicon Drift Detektoren) verwendet, die innerhalb des europäischen Projektes
„Hadron Physics“ für dieses Experiment entwickelt und gebaut wurden. Diese neuen Detektoren besitzen ein großes
Anwendungsspektrum, das von der Grundlagenforschung in der Physik bis zur Medizin reicht. Die österreichischen
Forscher waren in allen Phasen des Experiments von der Konzeption und Realisierung bis zu den aufwändigen
Messdatenanalysen führend beteiligt.
„Dieses Experiment ist ein Schlüsselexperiment, das den direkten Zugang zur starken Kraft zwischen Teilchen
mit Strangeness mit einer einzigartigen Methode ermöglicht“, freut sich Eberhard Widmann, Direktor des Stefan-Meyer-Instituts
für subatomare Physik der ÖAW. „Es liefert entscheidende Resultate zum besseren Verständnis der
starken Wechselwirkung bei niedrigsten Energien und rief bereits große internationale Resonanz hervor, da
nun ein neuer Startpunkt für die Beschreibung der starken Wechselwirkung zwischen Teilchen mit Strangeness
im Rahmen moderner Theorien gegeben ist.“ |