90 Jahre Arbeiterkammern – Zukunft gestalten  

erstellt am
20. 10. 11

 Sozial- und wirtschaftspolitische Errungenschaften von AK, ÖGB und Gewerkschaften
Wien (ak) - In einer Festveranstaltung zum 90. Geburtstag der Arbeiterkammern versammelten sich am 20.10. Spitzenvertreter des öffentlichen Lebens im Theater Akzent. Bei dem Festakt "90 Jahre Arbeiterkammern - Zukunft gestalten" erinnert die AK an die Errungenschaften für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die die Arbeiterkammern gemeinsam mit dem ÖGB und den Gewerkschaften in den vegangenen Jahren erreicht haben.

Festredner beim Festakt "90 Jahre Arbeiterkammern - Zukunft gestalten" sind AK Präsi-dent Herbert Tumpel, ÖGB Präsident Erich Foglar, Vizekanzler Michael Spindelegger, Bundeskanzler Werner Faymann, Bundespräsident Heinz Fischer und Karl Korinek, ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichtshofes.

Die Vergangenheit ist kein Grund für die AK sich zufrieden zurückzulehnen. Deshalb richtet die AK auf der Veranstaltung ihren Blick nach vorne. Denn heute und in Zukunft wird es darum gehen, im Interesse der Beschäftigten die Zukunft in einer globalisierten Arbeitswelt zu gestalten. An den Festakt schließt das Symposium "Europa neu denken?" im Bildungszentrum der Arbeiterkammer Wien (14.00 bis 16.30 Uhr) an.

Acht-Stunden-Tag, Arbeitslosenversicherung, fünf Wochen Urlaub im Jahr, Eltern-karenz, Genderbudgeting: Vieles, was heute selbstverständlich erscheint, wurde in den vergangenen 90 Jahren gemeinsam von Arbeiterkammern (AK), ÖGB und Gewerkschaften erkämpft. Hier eine Übersicht:

Erste Republik:
Die Grundlagen des modernen Sozialstaates werden geschaffen: etwa der Acht-Stunden-Tag, die Arbeitslosenversicherung, das Betriebsrätegesetz und das Kollektivvertragsgesetz. Mit dem Arbeiterkammergesetz wird der Grundstein für die Errichtung der Arbeiterkammern gelegt. 1921 konstituieren sich die Kammern für Arbeiter und Angestellte. 1924 setzt die AK setzt durch, dass die im Kollektivvertrag (KV) vereinbarten Löhne auch nach Kündigung des KV weiterbezahlt werden müssen, bis ein neuer KV-Abschluss ausverhandelt ist. Die Arbeiterkammer setzt sich für die Notstandshilfe ein.

Der Ständestaat nimmt der AK die Selbstverwaltung, die Nazis lösen sie gänzlich auf.

Zweite Republik:
Die Arbeiterkammern werden wiedererrichtet. 1947 wird das erste Preis-Lohn-Abkommen zwischen den Sozialpartnern und der Regierung geschlossen. 1955 beginnen die Arbeiterkammern intensiv mit dem Aufbau einer "Einkaufsberatung" und Preisinformation: der Grundstein für die heutige KonsumentInnen-Information und -politik. 1960 wird auf Druck von Arbeiterkammer, ÖGB und Gewerkschaften das Karenzgeld eingeführt.

Deutliche Verbesserungen bringen auch die 1970er- und 1980er-Jahre: 1973 wird die Mitbestimmung im Betrieb eingeführt. 1975 erkämpfen AK, ÖGB und Gewerkschaften die 40-Stundenwoche. 1979 wird das Gleichbehandlungsgesetz beschlossen, das den Grundsatz "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" verankert. 1986 setzen AK, ÖGB und Ge-werkschaften den heute bestehenden Urlaubsanspruch durch: mindestens fünf Wochen. 1988 folgt der Schutz der LeiharbeiterInnen.

In den 1990er-Jahren erreichen AK, ÖGB und Gewerkschaften wesentliche Verbesserungen auch für Frauen und Familien: 1990 wird die Väterkarenz wird eingeführt. 1992 wird das Gleichbehandlungspaket beschlossen und bringt unter anderem "Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit" (davor: nur für gleiche Arbeit) und das Benachteiligungsverbot bei Teilzeit. 1995/1996 kommt auf Druck von AK, ÖGB und Gewerkschaften die Bereit-stellung der Kindergarten-"Milliarde" durch den Bund zum Ausbau der Kinderbetreuung. Später wird der Bundeszuschuss zum Ausbau der Kinderbetreuung wieder fortgeführt.

Bei der Euro-Einführung sind die Arbeiterkammern die "Preiswächterinnen der Nation", um Teuerungen durch unfaires Umrechnen zu verhindern.

In den 2000er-Jahren können die Gewerkschaftsbewegung und die Arbeiterkammer viele drohende Verschlechterungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abwenden, etwa bei den Pensionen.

2004 wird die langjährige Forderung von AK, ÖGB und Gewerkschaften nach Elternteilzeit wird umgesetzt. Drei Jahre später folgen deutliche Verbesserungen für "Freie": Sie werden den ArbeitnehmerInnen gleichgestellt und sind somit besser abgesichert.

Angesichts einer weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise fordern AK, ÖGB und die Gewerkschaften im Jahr 2010 konkrete Verbesserungen für ein faireres Steuersystem, Entlastung der Löhne und Gehälter und mehr Verteilungsgerechtigkeit, etwa die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Die Arbeiterkammern sprechen sich vehement gegen Rohstoffspekulationen aus und bekämpfen spekulationsgetriebene Teuerung insbesondere von Lebensmitteln und Benzin. AK, ÖGB und Gewerkschaften setzen sich er-folgreich für ein Anti-Lohn- und Sozialdumping-Gesetz ein.

Im heurigen Jahr erreichen AK, ÖGB und Gewerkschaften, dass Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten Einkommensberichte legen müssen. Ab 2013 soll das für Unternehmen mit mehr als 150 ArbeitnehmerInnen gelten. Überdies besteht nun die Verpflichtung für Betriebe, bei Jobausschreibungen das Einkommen bekannt zu geben.

 

Foglar, Tumpel betonen Einsatz für Gerechtigkeit
Tumpel: "Gefährliches Spiel an den Börsen beenden" - Foglar: "Beim sozialen Fortschritt Freunde der AK auf unserer Seite"
Wien (ak) - Das gefährliche Spiel an den Börsen, das "ein ganzes Sytem an die Wand gefahren hat", dürfe nicht weiter fortgeführt werden, sagte AK Präsident Herbert Tumpel in seiner Rede beim Festakt zu 90 Jahre Arbeiterkammer. Die Menschen würden nicht verstehen, dass Spekulanten eine Krise verursacht haben, und jetzt heiße es, sie, die Menschen, hätten über ihre Verhältnisse gelebt. Jetzt sei es dringend notwendig, endlich die Finanzmärkte zu regulieren, skizzierte Tumpel die Herausforderung im Einsatz "für Fairness und Gerechtigkeit". ÖGB Präsident Erich Foglar hob "den untrennbaren Weg der AK mit den Gewerkschaften" hervor: "Bei der sozialen Gerechtigkeit stehen die Freunde der AK auf unserer Seite."

"Soziale Sicherheit ist die verlässlichste Grundlage der Demokratie", zitierte AK Präsi-dent Herbert Tumpel Johann Böhm, den Gründungsvorsitzenden des Österreichischen Gewerkschaftsbunds. Diese Aussage stehe nicht von ungefähr im Foyer des Wiener Arbeiterkammer-Gebäudes als Motto an der Wand. Sie sei "heute genauso wichtig wie in der Vergangenheit".

Gemeinsam mit den Gewerkschaften und den Sozialpartnern sei es gelungen, wesentli-che Fortschritte zu erzielen, etwa Unternehmerbeiträge zur Sozialversicherung bei ge-ringfügiger Beschäftigung oder den selben Lohn wie für die Stammbelegschaft für Leih-arbeiter. Aktuell müsse im Interesse der Realwirtschaft die Finanzspekulation reguliert werden, wie es die Sozialpartner seit zwei Jahren vorschlagen. Jetzt, so Tumpel, gehe es für die Menschen wie schon in der Vergangenheit "um Fairness, Gerechtigkeit, gerechte Verteilung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben".

ÖGB Präsident Erich Foglar war der erste Gratulant auf dem Festakt. Foglar bedankte sich für die gute Zusammenarbeit mit der Arbeiterkammer. Sie sei erst 70 Jahre nach der gesetzlichen Interessenvertretung der Wirtschaft gegründet worden, dann hätten die Ge-werkschaften endlich den Partner gehabt, "den sie so dringend benötigten".

Aktuell gehe es "einfach um die Verteilungsgerechtigkeit" in allen Bereichen - von der Lohnfindung im Betrieb und per Kollektivvertrag über die Frage, welche Gruppe in der Gesellschaft bei der Steuer wie viel zum Staat beiträgt bis hin zum gleichen Lohn für gleiche Arbeit von Frauen. "Da wissen wir die AK ganz einfach auf unserer Seite", so Foglar: "Die Arbeitnehmerbewegung wäre ein enormes Stück ärmer, gäbe es keine AK."

 

Faymann und Spindelegger würdigen Arbeiterkammern als Helfer der Beschäftigen
Faymann: AK als Vertretung der ArbeitnehmerInnen in einer globalisierten Welt unverzichtbar / Spindelegger: Wir brauchen AK in der Sozialpartnerschaft für wichtige Herausforderungen
Wien (ak) - Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger haben die Rolle der Arbeiterkammern bei der Durchsetzung der Recht der ArbeitnehmerInnen aber auch bei der Bewältigung der künftigen Aufgaben in einer globalisierten Welt gewürdigt.

"Was würden unsere Gesetze zum Schutze der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen helfen, wenn es nicht die Arbeiterkammern gäbe, die mit ganz konkreter Beratung jedem Einzelnen helfen, diese Rechte auch durchzusetzen", sagte Bundeskanzler Werner Faymann. Der Kanzler verwies auf die Herausforderungen, denen die Politik und die Demokratie in einer von Finanzkrisen geprägten globalisierten Welt ausgesetzt sind. An den Finanzmärkten würden Werte vernichtet, die dringend für den Erhalt des Wohlstands gebraucht würden. "Die Menschen werden die Politik daran messen, ob sie in der Lage ist, die Finanzmärkte zu regulieren. Sie werden die Politik und die Demokratie daran messen, ob es gelingt, zu verhindern, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Das eine große Herausforderung für die Politik und hier weiß ich die Arbeiterkammern an meiner Seite."

Vizekanzler Michael Spindelegger betonte die Bedeutung der Arbeiterkammern in der Sozialpartnerschaft. "Wir brauchen eine Sozialpartnerschaft, die lebt und die in der Lage ist, Lösungen auf den Tisch zu legen." Die Arbeiterkammern hätten sich gewandelt. "Sie sind nicht nur eine Interessensvertretung für alle, sondern auch eine Interessensvertretung für den Einzelnen mit ausführlicher Rechtsberatung", so Spindelegger. Auch die Gründung des AK-Büros in Brüssel vor 20 Jahren wertete Spindelegger als Meilenstein für die Entwicklung der Rolle der Arbeiterkammern als Interessensvertretung der Arbeit-nehmer und Arbeitnehmerinnen in einer globalisieren Welt. "Der weltweite Arbeitsmarkt wird immer wichtiger. Doch längst nicht überall gibt es Arbeitnehmerrechte, die wirken. Es sei ein gemeinsames Ziel von Politik und Arbeitnehmervertretungen, die Arbeitnehmer-rechte weltweit zu stärken.

 

"Sozialpartnerschaft ist der zweite Blutkreislauf der Demokratie"
Fischer betonte "konstruktive Kraft und Verantwortungsbewusstsein der AK"; Korinek unterstrich Bedeutung der "verfassungsrechtlichen Verankerung der AK"
Wien (ak) - Der prominenteste Gratulant der AK, Bundespräsident Dr. Heinz Fischer, dankte der Arbeiterkammer und ihren Präsidenten nicht nur für ihre Arbeit in den vergangenen Jahrzehnten: Schon in ihren Anfangstagen sei die AK "die geistige Waffenschmiede der Arbeiterbewegung" gewesen und habe schon damals bei der heute immer noch wichtigen Bildungsfrage angesetzt. Die AK werde auch in Zukunft "konstruktive Kraft sein, die ihre politischen Spuren hinterlässt." Der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshof Univ.Prof. Dr. Karl Korinek betonte die Bedeutung der "verfassungsrechtlichen Verankerung der Kammern". Gesetzliche Grundlagen seien die Voraussetzung dafür, dass die Selbstverwaltungskörper ihre Aufgaben frei wahrnehmen können. Aktuell zur Diskussion über die Studiengebühren sagte der ehemalige Verfassungsge-richtshofspräsident, er sei der Rechtsauffassung, dass die Universitäten ohne gesetzliche Grundlage keine Studiengebühren einheben könnten.

Bundespräsident Dr. Heinz Fischer gratulierte AK Präsident Herbert Tumpel und sei-nen Vorgängern zu ihren Erfolgen: "Wenn ich auf die Riege der Arbeiterkammer-Präsidenten zurückblicke, waren das alles Persönlichkeiten mit hohem Ansehen, die ihre politischen Spuren hinterlassen haben": "Die Arbeiterkammer ist ein effektiver Faktor bei der Vertretung der Interessen von Arbeitnehmern und Konsumenten". Ge-rade in wirtschaftlich schwierigen Krisenzeiten habe die AK bereits in der Vergangen-heit "maßgeblichen Einfluss auf den politischen Prozess im Sinne der Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer ausgeübt". Die AK werde dazu aber auch in nächsten Jahren noch oftmals Gelegenheit haben: "Die Arbeiterkammer wird ihre konstruktive Kraft erneut unter Beweis stellen. Sie kann dabei auf die bewährte Mischung aus der Be-reitschaft zur Auseinandersetzung und ihr Verantwortungsbewusstsein für die gesamte Republik bauen."

Der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshof, Univ. Prof. Dr. Karl Korinek wiederum strich heraus: "Das Kammersystem ist Voraussetzung dafür, dass die Inte-ressen aller entsprechend artikuliert werden." Erst die Pflichtmitgliedschaft gewährleis-te den koalitionsfreien Handlungsspielraum: "die Sozialpartnerschaft ist die Voraus-setzung dafür, gemeinsame Interessen zu finden. Sie wurde oft nicht richtig einge-schätzt. Sie ist der zweite Blutkreislauf, der aktiviert werden kann, wenn der erste nicht funktioniert." Korinek bedauert deshalb: "Auch heute gibt es Menschen, die zwischen Interessenvertretung durch Selbstverwaltungskörper und freie Sozialpartnerverbände einerseits und Lobbyismus andererseits nicht unterscheiden können."
 
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