Gerald Nagler oder: Wie man mit Teelöffeln ein Feuer löscht   

erstellt am
19. 10. 11

Barbara Prammer überreicht ein Ehrenzeichen und erhält selbst eines
Wien (pk) - Nationalratspräsidentin Barbara Prammer begrüßte am Nachmittag des 18.10. prominente Gäste zur Überreichung des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst an Gerald Nagler. Bundespräsident Heinz Fischer verlieh den Orden dem Mitbegründer der in Wien ansässigen Internationalen Helsinki-Föderation für Menschenrechte. Gerald Nagler stand von 1982 bis 1992 als Generalsekretär an der Spitze der von ihm mitbegründeten Organisation, die sich für die Durchsetzung und Wahrung der Menschenrechte in den OSZE-Staaten einsetzt. Gerald Naglers Engagement für Menschenrechte und seine Unterstützung von MenschenrechtsaktivistInnen in den Ländern des ehemaligen Ostblocks hat wesentlich zum Fall des "Eisernen Vorhangs" beigetragen, führte Präsidentin Prammer in ihrer Würdigung Gerald Naglers aus.

Gerald Nagler wurde 1929 in Wien geboren, übersiedelte 1931 als Zweijähriger mit seinen Eltern nach Schweden, das zu seiner zweiten Heimat wurde. Dennoch blieb Nagler Österreich immer freundschaftlich verbunden, sagte Prammer und erinnerte daran, dass sich Nagler schon früh mit großem Engagement, Mut und Hartnäckigkeit für Menschenrechte einsetzte und dabei nicht selten sein Leben riskierte.

Nagler hat in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts ein Netzwerk aufgebaut, um auf Verstöße gegen Menschenrechte in Russland aufmerksam zu machen, Lobbying bei internationalen Organisationen betrieben und im Laufe der Jahre MitstreiterInnen für die Sache der Menschenrechte in vielen Ländern gewonnen. Gerald Nagler reiste immer wieder in die Sowjetunion, um sich gemeinsam mit Andrei Sacharow und Jelena Bonner gegen die massive Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung einzusetzen. Dabei gelang es Nagler, Menschenrechtsverstöße in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit zu rücken und die Politik zu zwingen, sich damit auseinanderzusetzen.

Als im Jahr 1982 die Internationale Helsinki Föderation gegründet wurde, zählte Gerald Nagler zu den Gründern dieser Dachorganisation, die ihren Sitz in Wien hat und die damals bereits existierenden unabhängigen Komitees in Österreich, Belgien, Kanada, Frankreich, den Niederlanden, Norwegen, Schweden und USA umfasste. Als Generalsekretär leitete Gerald Nagler die Internationale Helsinki Föderation von 1982 bis 1992 und war von 1992 bis 1998 Mitglied ihres Vorstands. Die Helsinki Föderation fungierte als Informationsdrehscheibe in Menschenrechtsfragen für Regierungen, zwischenstaatliche Organisationen, Medien und Öffentlichkeit. Für diese wichtige Arbeit erhielt Gerald Nagler 1988 den Preis der Bruno Kreisky Stiftung für Verdienste um die Menschenrechte, erinnerte Barbara Prammer.

Gerald Nagler habe auch vielen österreichischen Stellen als Experte und Vermittler in Menschenrechtsfragen zur Verfügung gestanden, sagte die Nationalratspräsidentin und ließ ihr Lob für das Wirken Gerald Naglers in der Feststellung gipfeln, sein Engagement für Menschenrechte und die Unterstützung von AktivistInnen in den Ländern des ehemaligen Ostblocks habe wesentlich zum Fall des "Eisernen Vorhangs" beigetragen.

"Gerald Nagler hat sich nicht zur Ruhe gesetzt", hielt Barbara Prammer abschließend fest. Das ist wichtig, weil es nicht leichter, sondern schwieriger geworden ist, weltweit auf die Einhaltung der Menschenrechte zu achten. Wir in der Politik wissen es zu schätzen, dass es Menschen wie Gerald Nagler gibt, die ein Leben lang ihre Finger in offene Wunden legen und so der Politik ermöglichen, Schritte nach vorne zu setzen."

Ihre Wertschätzung brachte Präsidentin Prammer auch der starken Frau an der Seite von Gerald Nagler zum Ausdruck, der Kulturjournalistin und ehemaligen Präsidentin des PEN-Klubs Schweden, Monica Nagler-Wittgenstein, die die Arbeit ihres Mannes tatkräftig unterstützt.

Die ehemalige Klubvorsitzende der Grünen, Freda Meissner-Blau, würdigte Gerald Nagler in ihrer sehr persönlich gehaltenen Laudatio als einen Mann, der über Jahrzehnte für die Durchsetzung der Menschenrechte gegen terroristische und barbarische Unterdrückung, vor allem in Russland und in den Ländern des Ostblocks gekämpft hat, verhaftet wurde und oft auch sein Leben riskierte. Auf diesem Weg habe Gerald Nagler viele Freunde gewonnen und an diesen Freundschaften in einer bewundernswerten Weise ein Leben lang festgehalten.

Über Gerald Nagler zu sprechen, bedeute, über ein wichtiges Stück Zeitgeschichte zu sprechen, das keineswegs zu Ende sei, weil es immer noch in vielen Teilen der Welt immer noch darum gehe, die Achtung der Menschenrechte durchzusetzen, betonte Freda Meissner-Blau. Es sei eine weise Entscheidung des Westens gewesen, der Sowjetunion im Zuge des Helsinki-Prozesses die nach dem Zweiten Weltkrieg gezogenen Grenzen gegen die Zusage zu garantieren, dass sie die Menschenrechte einhält. Das sei die Voraussetzung zur Unterstützung jüdischer Gruppen in Moskau sowie von Dissidenten in Warschau und Prag geworden. Mit diesen Gruppen hat Gerald Nagler gearbeitet und daher sei es nur logisch gewesen, ihn als Generalsekretär der Internationalen Helsinki-Föderation zu bestellen. Er habe damit eine zentrale Rolle in einem revolutionären Prozess eingenommen, der zuletzt zum Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs führte.

Freda Meissner-Blau schilderte auch persönliche Erlebnisse mit Gerald Nagler, etwa eine Reise nach Albanien, wo es Nagler mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit und seinem diplomatischem Geschick gelang, dem Nachfolger Enver Hodschars die Freilassung von hundert politischen Gefangenen abzutrotzen. Gerald Nagler glaubt fest daran, dass es auf jeden einzelnen ankomme und selbst kleine Gruppen von Menschen in der Lage seien, vieles zu verändern und sich erfolgreich für die Demokratie und für die Durchsetzung der universellen Menschenrechte einzusetzen. In diesem Zusammenhang warnte Freda Meissner-Blau vor aktuellen Entwicklungen, insbesondere in Ländern, die dem Kampf gegen den Terrorismus Priorität einräumen: vor der Überwachung der BürgerInnen, der Einschränkung der Bürgerrechte sowie vor einer schleichenden Entdemokratisierung. "Wir müssen sehr wachsam sein!", schloss Freda Meissner-Blau ihre Laudatio auf Gerald Nagler.

Gerald Nagler widmete das Ehrenzeichen, über das er sich sehr freue, sogleich den Dissidenten, die für die Durchsetzung der Menschenrechte in den Ländern des ehemaligen Ostblocks einen hohen Preis bezahlt haben. Gerald Nagler berichtete von den Zielen, mit denen die Internationale Helsinki-Föderation gegründet wurde und von der Arbeit dieser Organisation, die richtigerweise in Wien angesiedelt wurde. Für seine Aufgabe als Generalsekretär habe er oft politischen Rat gebraucht und ihn bei seinem alten Freund Bruno Kreisky und bei seinen Wiener Freunden gefunden, erzählte Nagler: "Ohne diese Hilfe wäre meine Arbeit nicht möglich gewesen. Ich danke Euch" sagte Gerald Nagler seinen Wiener Freundinnen und Freunden.

Nagler schilderte seine zahlreichen Reisen in die Länder jenseits des damaligen Eisernen Vorhangs und seine Bemühungen, Informationen über die Lage der Dissidenten im Osten zu sammeln und weiterzugeben, sowie an sein Bestreben, den Familien inhaftierter Dissidenten zu helfen. Durch den Einsatz ihrer "Soft Power" haben es die Dissidenten möglich gemacht, den Eisernen Vorhang ohne Blutvergießen zu überwinden, zeigte sich Nagler überzeugt.

Für die Überreichung des Ehrenzeichens revanchierte sich Gerald Nagler bei Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, indem er ihr einen kleinen silbernen Teelöffel überreichte, ein Ehrenzeichen des "Orders of the Teaspoon", der sich im Geist von Mahatma Gandhi und Amos Oz gegen Fanatismus und für Toleranz engagiert und sich dabei an folgender Weisheit orientiert: Wenn es brennt und es fehlt an Kübeln voll Wasser, ist es auch möglich, das Feuer zu löschen, wenn viele Menschen zu ihren Teelöffeln greifen".

Im musikalischen Rahmen der Feierstunde begeisterte das Adamas-Streicher-Quintett das Publikum mit Klängen aus vier Jahrhunderten Musikgeschichte von Tomaso Giovanni Albinoni über Wolfgang Amadeus Mozart und Duke Ellingten bis Stevie Wonder.
     
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