Wien (wifo) - Die Industrie entwickelt sich in Österreich mittel- und langfristig dynamischer als
in Westeuropa. War ihr Anteil an der gesamten Wertschöpfung 1950 bei nur 12,4% gelegen, so beträgt er
heute (2010) 18,6%. In den meisten anderen Ländern verliert die Industrie gemessen an der Wirtschaftsleistung
an Bedeutung. Österreich weist heute die vierthöchste Industriequote in der EU 15 auf (nach Irland, Finnland
und Deutschland). Diese Besonderheit ist in Österreich vor allem auf die Öffnung der Märkte (EU-Beitritt,
Ostöffnung) und auf die aktive Internationalisierung der Betriebe zurückzuführen.
Seit 2000 stieg die Industrieproduktion in Österreich (trotz der Finanzmarktkrise 2008) um 2,6% pro Jahr,
in Deutschland um 1,1%. In sieben Ländern der EU 15 war die Industrieproduktion (gemessen am Produktionsindex)
im letzten Jahrzehnt rückläufig (Dänemark, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, Portugal
und Großbritannien), im Durchschnitt der EU 15 sank die Produktion um 0,3% pro Jahr.
Am stärksten verringerte sich der Industrieanteil in diesem Jahrzehnt in Irland, am niedrigsten ist er heute
in Griechenland (7,4%). Auch Portugal weist mit nur 13% einen sehr niedrigen Industrieanteil auf. Der Abbau des
hohen Handelsbilanzdefizits von Griechenland und Portugal (13,7%, bzw. 11,6% der Wirtschaftsleistung) würde
eine Verdoppelung der Industrieproduktion erfordern.
Die dynamische Entwicklung der Industrie ist in Österreich auf mehrere Faktoren zurückzuführen:
- Österreich verfügt über qualifizierte Facharbeitskräfte. Die Innovationsanstrengungen wurden
ausgeweitet, im Zusammenwirken mit der Wirtschaft entstanden Fachhochschulen. Die Löhne und Gehälter
entwickeln sich im Einklang mit der Produktivität.
- Vielleicht der wichtigste Faktor für das Industriewachstum war jedoch die Öffnung der Märkte
in den 1990er-Jahren durch den EU-Beitritt und durch die Ostöffnung. Die Industrie nutzt zudem aktiv die Chancen
zur Internationalisierung auf globalisierten Märkten, viele kleinere und mittlere Betriebe wurden dadurch
zu multinationalen Unternehmen. Österreichische Unternehmen sind heute führende Investoren auf vielen
Nachbarmärkten; in einzelnen Fällen erreichen sie durch Export und Direktinvestitionen einen hohen Weltmarktanteil.
Die Bedeutung der Offenheit zeigt sich besonders in einem Vergleich der österreichischen Wirtschaft mit Frankreich.
Die französische Wirtschaft ist stärker gegenüber der Globalisierung abgeschottet, weist eine geringere
Innovationsdynamik und einen stark schrumpfenden Industriesektor auf. Die Offenheit der französischen Wirtschaft
gemessen am Anteil von Warenimporten und -exporten an der Wirtschaftsleistung stieg von 1990 bis 2010 nur von 36,1%
auf 43,6%. In Österreich erhöhte sich dieser Indikator von 54,9% auf 82,6%. Auch in Deutschland nahmen
die Außenhandelsströme wesentlich schwächer zu als in Österreich (von 43,3% auf 70,5%).
Frankreichs Wirtschaft ist durch formelle und informelle Regeln und Netzwerke stärker gegenüber der Konkurrenz
abgegrenzt. Die Globalisierung wird von Bevölkerung und Regierung als unerfreulicher Trend gesehen. So sehen
etwa in der Eurobarometer-Umfrage nur 44% der Befragten in der Globalisierung eine Chance für Wachstum (Österreich
59%, Schweden 82%, Dänemark 87%). Diese negative Haltung spiegelt sich in einem Rückgang der Industriequote
im letzten Jahrzehnt um 0,8 Prozentpunkte auf 12,3% des BIP.
Rückwirkungen und Wechselwirkungen bestehen auch zwischen der Offenheit gegenüber der Globalisierung
und der Innovationsbereitschaft. Die Forschungsausgaben der französischen Unternehmen stagnieren seit zehn
Jahren bei 2% der Wirtschaftsleistung bei leicht sinkendem Trend. Ein erheblicher Teil der Innovationstätigkeit
entfällt auf einige große Unternehmen, darunter Rüstungs- und Raumfahrtkonzerne, während die
mittleren und kleineren Industriebetriebe wenig für Innovationen und Patentanmeldungen aufwenden (und auch
weniger für Weiterbildung). In den letzen Jahren wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Innovationsbereitschaft
zu steigern (Clusterbildung, regionale Zentren, hoher Steuerkredit), doch zeigen sich noch keine Erfolge. Im Bereich
der technologieorientierten Güter wie auch insgesamt weist Frankreich eine negative Handelsbilanz auf.
In Österreich hingegen wurden die Forschungsausgaben im Zeitraum 1990/2010 von 1,4% auf 2,8% des BIP ausgeweitet
- das ist die fünfthöchste Forschungsquote in der EU 27 (nach Finnland, Schweden, Dänemark und fast
gleich hoch wie Deutschland).
Wie ein breiter Ländervergleiches zeigt, bringen innovationsfördernde Maßnahmen eher eine tatsächliche
Erhöhung der Forschungsausgaben mit sich, wenn einerseits Wettbewerbsdruck herrscht, andererseits ein offenes
Umfeld neue Märkte öffnet und die Exporte rasch steigen können. Österreichs Leistungsbilanz
ist heute mit etwa 3% der Wirtschaftsleistung hoch aktiv, in den 1990er-Jahren war sie im Durchschnitt noch mit
-4% passiv gewesen. Diese Entwicklung trug dazu bei, dass Österreich in jedem der letzten zehn Jahre bessere
Wirtschaftsergebnisse verzeichnete als Westeuropa. Eine Fortsetzung dieses Trends, der auch für gute Arbeitsmarktergebnisse
bestimmend ist und überdurchschnittliche Umweltanstrengungen ermöglicht, bedarf allerdings einer Priorität
für die Zukunftsausgaben (Kinderbetreuung, Bildung, Innovation) in der wahrscheinlich längeren Periode
der Budgetkonsolidierung.
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