Die unberührten tropischen Wälder sind Geschichte   

erstellt am
04. 11. 11

BOKU-Wissenschafter publiziert Effekt von Stickstoffemission in "Science"
Wien (boku) - Tropische Wälder werden weiterhin durch Abholzung zerstört, aber auch in scheinbar unberührten Regenwäldern tut sich Merkwürdiges: Biomasse und Dynamik der Wälder nehmen zu, die Baumarten ändern sich und besonders die Bedeutung von Lianen steigt. Soweit die Diagnose, doch bei einer Erklärung für diese Trends herrscht großes Rätselraten. Manche sehen darin die Auswirkung des CO2-Anstiegs in der Luft, doch einige Wissenschaftler glauben nicht an einen derart starken Düngeeffekt des Kohlendioxids. Nun hat ein internationales Team um Peter Hietz vom Institut für Botanik der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) ein neues Element zur Diskussion beigetragen: den Stickstoff. Die durch den Menschen verursachte Stickstoffemission in den Tropen hat sich in den letzten 35 Jahren mehr als verdreifacht. So viel war bekannt; jetzt konnte in einem vom FWF geförderten Projekt erstmals der Effekt auf einzelne Wälder nachgewiesen und in Science publiziert werden. Ein Vergleich von Herbarbelegen der 1960er Jahre mit Blättern von 2007 aus Panama zeigt einen Anstieg des Stickstoffgehaltes, des wichtigsten Nährstoffes bei der Photosynthese. Zudem ergaben der Herbarvergleich und Jahrringe aus Thailand eine Änderung der Stickstoffisotope - sie zeigen, dass der Stickstoffkreislauf in diesen Wäldern heute weniger geschlossen ist als früher.

Globaler Wandel in tropischen Wäldern
Nach wie vor geht jährlich etwa die Fläche Österreichs an tropischen Primärwäldern verloren. Neben dramatischen Folgen für die Artenvielfalt stellt dies eine wesentliche Quelle von Kohlendioxid (CO2) dar und trägt somit zum Klimawandel bei. Weniger beachtet in der öffentlichen Diskussion - aber umso heftiger von WissenschafterInnen - ist das, was sich in scheinbar unberührten tropischen Wäldern tut. Seit einiger Zeit mehren sich die Hinweise, dass diese Wälder CO2 aufnehmen. Was zunächst logisch klingt - da Pflanzen durch die Photosynthese ja CO2 binden - ist keineswegs so selbstverständlich: In den meisten Ökosystemen setzen Mikroorganismen und Tiere beim Abbau der Pflanzen diesen Kohlenstoff wieder frei, die Bilanz ist daher ausgeglichen. Wenn also netto Kohlenstoff aufgenommen wird, muss er entweder im Boden oder in der Vegetation zunehmen. In der Tat zeigte sich, dass letzteres in vielen Wäldern der Fall ist; zudem sind die Wälder dynamischer geworden, das heißt, die Bäume wachsen und sterben schneller. Aber was könnte die Ursache dafür sein? Als Hauptverdächtiger wird oft die CO2-Düngung angeführt, doch halten manche WissenschafterInnen einen starken Düngeeffekt in tropischen Wäldern für wenig plausibel.

Nun wurde erstmals in einem sonst unberührten Regenwald die bislang nur vermuteten Effekte der erhöhten Deposition von Stickstoff festgestellt: Der Wald auf Barro Colorado Island im Panama-Kanal mit der Forschungsstation des Smithsonian Tropical Research Institutes ist der weltweit am besten bekannte Tropenwald. Zum einen erhöhte sich hier die Stickstoffkonzentration in den Blättern, zum anderen nahm der relative Anteil des schwereren Stickstoffisotops zu. Da ein großer Teil des Stickstoffs in den Blättern zur CO2-Aufnahme dient, sollte damit auch die Photosyntheserate steigen. Allerdings hat das zumindest im untersuchten Wald nicht zu einer Steigerung des Baumwachstums geführt. Neben den positiven Effekt als wichtiger Nährstoff kann zu viel N Eintrag aber auch eine Versauerung des Bodens bewirken, wodurch andere wichtige Nährstoffe weniger verfügbar werden - was wiederum einen negativen Effekt auf das Wachstum hätte.

Der relativ geschlossene Stickstoffkreislauf wird löchriger
Die Verschiebung der N-Isotope deutet dagegen auf eine Veränderung, des gesamten Stickstoff-Kreislaufes im Ökosystem Regenwald. In Wäldern ist dieser Kreislauf grossteils geschlossen: Pflanzen nehmen Stickstoff aus dem Boden auf, wenn sie absterben wird er von den abbauenden Mikroorganismen wieder freigesetzt und steht den Pflanzen erneut zur Verfügung. Nur ein kleiner Teil kommt von außen (über den atmosphärischen Eintrag und die Stickstoffbindung von Bakterien) und geht wieder verloren. Das Isotopenverhältnis ist dabei ein Indikator für den Kreislauf. Da das schwere Isotop weniger schneller aus dem System entweicht, reichert es sich umso mehr an, je mehr Stickstoff insgesamt durch das System fließt. Der Trend zum schwereren Isotop zeigt daher, dass dieser Kreislauf lückiger geworden ist und sowohl mehr eingetragen wird als auch mehr verloren geht. Ähnliche Trends zeigten sich in Jahrringen aus einem thailändischen Wald, bei dem Hietz ins Schwärmen gerät: "Ein wunderschöner Monsunwald in dem man morgens mit Gibbongesängen aufwacht und wir beim Probenehmen am ersten Tag einem Tiger gegenüberstanden." Der vermehrte Eintrag in Panama ist wohl auf lokale Quellen zurückzuführen, sowohl Stickoxidemission von Panama City und auch den großen Schiffen im Panama-Kanal, die unmittelbar vor Barro Colorado Island den Kanal passieren. Allerdings sind die regionalen Emissionen keineswegs übermäßig hoch.

In den gesamten Tropen hat sich die Stickstoff-Emission durch den Menschen in den vergangenen 35 Jahren mehr als verdreifacht, sodass die in Panama und Thailand beobachteten Änderungen weit verbreitet sein dürften. Was mit dem überschüssigen Stickstoff passiert ist auch schon bekannt: Ein Teil wird als Nitrat ausgewaschen und kann dann zur Überdüngung der Gewässer beitragen, ein Teil geht als gasförmiger Stickstoff in die Atmosphäre zurück, unter anderem als Lachgas, ein 300mal stärkeres Treibhausgas als CO2.

Auch wenn kein einziger Baum geschnitten wird: Wälder ohne menschlichen Einfluss gibt es nicht mehr, denn der Anstieg von CO2 oder Stickstoffeintrag trifft auch entlegenste Wälder. "Andererseits", meint Hietz, "zeigen uns der Kohlenstoff- und Stickstoffkreislauf, dass tropischer Wälder auch auf die globale Atmosphäre und damit das Klima rückwirken, wir also in einem Boot sitzen."
     
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