Orientierungslos ohne "kognitive Karte" - RUB-Neurowissenschaft: Wie das
Gehirn die "optimale Bewegungsbahn" bildet
Bochum (universität) - Das Kleinhirn ist in deutlich größerem Maße als bisher
angenommen daran beteiligt, dass wir uns sicher in unserer Umgebung bewegen können. Um die so genannte "kognitive
Karte" zur Orientierung zu erzeugen, leisten Neuronen im Kleinhirn mit ihrer chemischen Kommunikation einen
entscheidenden Beitrag. Ist diese Funktion deaktiviert, kann das Gehirn keine "optimale Bewegungsbahn"
mehr bilden, man findet keinen effizienten Weg zu einem Ziel. Das hat die Bochumer Neurowissenschaftlerin Dr. Marion
André von der International Graduate School of Neuroscience( IGSN) der RUB gemeinsam mit Forschern aus Frankreich
herausgefunden. Über die Ergebnisse berichtet "Science".
"Kognitive Karte" im Hippokampus
Zur sicheren Orientierung müssen wir eine zuverlässige innere Vorstellung der äußeren
Umgebung bilden und behalten. Die Gehirnregion, die diese innere Repräsentation ermöglicht, ist der Hippokampus,
in dem sich spezielle Pyramidenzellen, auch Ortszellen genannt, befinden. Jede Ortszelle wird von spezifischen
Gegebenheiten in der räumlichen Umgebung aktiviert und gibt dynamische Informationen darüber, wo man
sich selbst in Bezug auf seine Umwelt gerade befindet. Diese spezialisierten Neuronen bilden die "kognitive
Karte" im Hippokampus, indem sie verschiedene Sinneseindrücke verarbeiten. Sie kombinieren durch äußere
Einflüsse entstandene Sinneseindrücke (Sehen, Hören, Riechen/Schmecken, Tasten) mit der Selbstwahrnehmung,
z. B. der Propriozeption (sie gibt Auskunft über Körperbewegung und -lage im Raum) und mit dem Gleichgewichtsorgan
(Vestibularsystem).
Entscheidend: die synaptische Plastizität
Unsere Fähigkeit zur orientierten Bewegung im Raum beruht darauf, dass wir die "kognitive Karte"
benutzen, um optimal an unser Ziel zu gelangen. Bisher wurde die Bildung der Karte ausschließlich im Hippokampus
vermutet. Die aktuellen Forschungsergebnisse des internationalen Fortscherteams zeigen erstmals, dass auch das
Kleinhirn eine entscheidende Rolle spielt. Das Kleinhirn ist eine Hirnregion mit blattförmigen Windungen in
der hinteren Schädelgrube. Es enthält Neuronen, die ihre chemische Kommunikation erhöhen oder reduzieren
können ("synaptische Plastizität"). Die Reduzierung der synaptischen Übertragung nennt
man Langzeitdepression (LTD).
Keine Orientierung ohne LTD
Um nachzuweisen, dass die LTD im Kleinhirn Anteil an der Bildung der "kognitiven Karte" hat,
haben die Forscher mit so genannten transgenen Mäusen gearbeitet. Deren Neuronen im Kleinhirn konnten keine
LTD bilden, deshalb waren die Mäuse nicht in der Lage, zuverlässige "kognitive Karten" zu erzeugen,
da sie nur Informationen über ihre eigene Bewegung benutzen konnten. Sie waren zum Beispiel nicht fähig,
ohne äußere Orientierungshilfen (etwa im Dunkeln) einen effizienten Weg zum Ziel zu finden.
Titelaufnahme Christelle Rochefort, Arnaud Arabo, Marion André, Bruno Poucet, Etienne Save, and Laure
Rondi-Reig: Cerebellum Shapes Hippocampal Spatial Code. Science, 21 October 2011: 385-389. DOI:10.1126/science.1207403
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