Berlin/Paris (oecd) - Der globale Reichtum verlagert sich zunehmend von West nach Ost und von Nord nach
Süd: 83 Entwicklungs- und Schwellenländer sind in den vergangenen zehn Jahren mindestens doppelt so schnell
gewachsen wie Industrieländer mit hohem Einkommen. Diese Umverteilung des Wohlstands eröffnet den jeweiligen
Regierungen eine Vielzahl von Möglichkeiten, die sie nutzen sollten, um den sozialen Zusammenhalt in ihren
Gesellschaften zu stärken. Nur so wird es ihnen gelingen, ihr Wachstum dauerhaft zu sichern. Das ist die Botschaft
des Berichtes „Perspectives on Global Development 2012: Social Cohesion in a Shifting World”, der heute vom OECD-Entwicklungszentrum
vorgestellt wird.
In vielen schnell wachsenden Ländern, verbreitert sich die Mittelschicht rasant. Mit ihr wächst der Reformdruck.
Zwei Milliarden Menschen fallen bereits heute in die Gruppe jener, die zwischen zehn und einhundert US-Dollar am
Tag zur Verfügung haben. Jeder zweite von ihnen lebt in einem aufstrebenden Land. Bis 2030 wird diese Zahl
auf fast vier Milliarden klettern – eine ökonomisch relativ starke, politisch in den meisten Schwellenländern
aber noch unterrepräsentierte Macht.
Umso größer sind die Erwartungen gerade dieser Schicht: Sie verlangt nach politischer Beteiligung, Aufstiegschancen
und besseren Lebensstandards. Diese Erwartungen zu kanalisieren und zeitnah umzusetzen, stellt die Regierungen
der aufstrebenden Länder vor große Herausforderungen. „Die sozialen und politischen Unruhen der vergangenen
Jahre und in den verschiedensten Regionen der Welt zeigen, was uns erwartet, wenn Menschen sich in ihrer Gesellschaft
nicht aufgehoben fühlen“, sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurría bei der Vorstellung des Berichts
in Paris. „Die Forderung nach sozialem Zusammenhalt war in Entwicklungs- und Schwellenländern nie brennender
als heute. Regierungen müssen dem Rechnung tragen.“
Umfragen belegen, dass wirtschaftliches Wachstum und Entwicklung die Menschen nicht automatisch zufriedener machen.
In Tunesien, Indien und Thailand zum Beispiel sank die Lebenszufriedenheit zwischen 2006 und 2010, während
das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im gleichen Zeitraum anstieg. Die Autoren des Berichts folgern daraus, dass Faktoren
wie stark eingeschränkte gesellschaftliche Teilhabe, hohe Arbeitslosigkeit und geringe soziale Mobilität
den sozialen Zusammenhalt aushöhlen. Sie empfehlen, die aus vermehrten ausländischen Direktinvestitionen
und höheren Steuer- und Handelsaufkommen gewonnenen Ressourcen in soziale Sicherungssysteme, Beschäftigung,
Bildung und Chancengleichheit zu investieren.
Darüber hinaus betont der Bericht wie wichtig es ist, Staatsausgaben und Steuerpolitik mit Bemühungen
um Demokratie-Aufbau und Gleichberechtigung der Geschlechter in Einklang zu bringen. Diese Politikfelder beeinflussen
sich gegenseitig. Gelingt es, sie aufeinander abzustimmen, garantiert das bessere Resultate und stärkt den
Sozialvertrag zwischen Bürgern und Staaten. |