Österreich Hält das AAA?   

erstellt am
25. 11. 11

Mit einer erwarteten Schuldenquote des Staates von 73,6 % des BIP steht Österreich zwar besser da als viele andere EUR-Staaten, darunter auch Deutschland.
Wien (rzb) - Noch im Sommer dieses Jahres profitierte die Republik Österreich von der gestiegenen Risikoaversion im Zuge der Euro-Schuldenkrise, die einer Flucht in als sicher geltende Anlagen Vorschub leistete. Neben Gold und deutschen Bundesanleihen profitierten auch österreichische Staatsanleihen vom gestiegenen Bedürfnis nach Sicherheit. Seit einigen Wochen wird jedoch zunehmend die Frage diskutiert, ob und wie lange Österreich sein AAA und damit die Bestnote behalten wird können. Dies spiegelt sich in einer deutlichen Spreadausweitung zu deutschen Bundesanleihen wider. Denn die Ausweitung des Renditeabstandes verlief zuletzt nahezu exponential und erreichte am 15. November mit 183 Basispunkten den höchsten Stand seit Mitte der 1980er-Jahre. Damit wurde das vorangegangene Zwischenhoch von 133 Basispunkten vom Februar 2009 deutlich übertroffen. Strukturell ähnliche Länder wie beispielsweise Finnland oder die Niederlande verzeichneten dagegen keine vergleichbaren Spreadausweitungen.

Damit hat sich der Renditeverlauf österreichischer Staatsanleihen klar von diesen Ländern abgekoppelt, denn bis Mitte August 2011 verlief die Spreadentwicklung noch nahezu parallel. Der Grund für diese Abkoppelung liegt in der Befüchtung, dass aus dem starken Osteuropaengagement heimischer Banken eventuell Belastungen für die Staatsfinanzen erwachsen könnten. Dies war der Hauptgrund für die im Februar 2009 beobachtbare Ausweitung des Spreads. Nun treten hingegen auch zuvor ausgeblendete Risiken bzw. Fehlentwicklungen in den Fokus, wie zum Beispiel die im Vergleich mit ähnlichen Ländern (z.B. Finnland und die Niederlande) höhere Staatsverschuldung sowie die unambitionierte Budgetkonsolidierung seit 2010, was den Schwerpunkt dieser Publikation darstellt. Auch mögliche Auswirkungen der Turbulenzen rund um Italien und die daraus eventuell resultierenden Rückwirkungen auf Österreich (wichtiger Absatzmarkt österreichischer Produkte, die größte österreichische Bank ist in italienischem Besitz) werden am Markt als Ursachen genannt.

Wettbewerbsfähigkeit: Österreich ist strukturell gut aufgestellt
Die österreichische Volkswirtschaft ist durch eine hohe Wettbewerbsfähigkeit gekennzeichnet. Ähnlich wie in Deutschland fiel der Anstieg der nominalen Lohnstückkosten seit 2000 vergleichsweise moderat und sogar spürbar geringer aus als in Finnland und den Niederlanden. Die gute Wettbewerbsposition spiegelt sich in konstanten Leistungsbilanzüberschüssen sowie einer durchschnittlichen BIP-Wachstumsrate (1996-2007: 2,6 % p.a.) wider, die über jener der gesamten Eurozone (1996-2007: 2,3 % p.a.) liegt. Zudem ist die Wertschöpfung sektoral recht ausgewogen, das Wachstum ist also vergleichsweise breit angelegt. Auch der österreichische Arbeitsmarkt ist im internationalen Vergleich gut aufgestellt. So attestiert die Weltbank dem heimischen Arbeitsmarkt über ihren "Labour Rigidity Index" eine gute strukturelle Position, noch vor Deutschland, den Niederlanden und Finnland. Die zuletzt (September) niedrigste Arbeitslosenquote (3,9 %) in der gesamten EU belegt dies eindrucksvoll. Dass jedoch durchaus Reformbedarf besteht, belegt wiederum das "Ease of Doing Business"-Ranking der Weltbank, das Länder nach ihrer Unternehmerfreundlichkeit und dem Investitionsklima reiht. Hier schneidet Österreich nur unterdurchschnittlich ab.

Öffentliche Finanzen vor der Krise
Isoliert betrachtet gestaltete sich die Budget- und Verschuldungsentwicklung vor der Krise nicht unerfreulich. Denn zwischen 1995 (68,2 % des BIP) und 2007 (60,2 % des BIP) gelang es die Staatsverschuldung in Relation zum BIP ein Stück weit zu reduzieren (absolut stiegen die Staatsschulden weiter an). Begleitet wurde dieser Schuldenabbau von einem durchschnittlichen Budgetdefizit über diesen Zeitraum in Höhe von 2,2 % des BIP sowie fast durchgängig vorhandenen Primärüberschüssen (Budgetsaldo ohne Zinszahlungen).

Allerdings waren die direkten "Wettbewerber" Finnland und die Niederlande um einiges ehrgeiziger. Denn diese Länder konnten die Staatsverschuldung deutlicher verringern als dies hierzulande gelang. Auch die jährlichen Budgetdefizite sind über diesen Zeitraum geringer ausgefallen - Finnland konnte im Schnitt sogar einen deutlichen Budgetüberschuss (1,9 % des BIP) und einen viermal so hohen Primärüberschuss (in % des BIP) erwirtschaften. Bei einer genauen Betrachtung wird die herausragende Rolle deutlich, die dem (nominalen) Wachstum bei der Budgetsanierung zukommt. Denn abgesehen von direkten konjunkturellen Effekten (z.B. höhere Steu ereinnahmen) führt der Wachstumseffekt selbst bei unverändertem absoluten (d.h. in EUR) Budgetdefizit bzw. Schuldenstand zu einem Rückgang in Relation zum BIP (der Nenner, also das abs. BIP, erhöht sich, der Zähler, also die abs. Verschuldung bzw. das abs. Defizit, bleibt unverändert, was zu einem Rückgang des Quotienten führt). So konnten es sich diese beiden Länder durchaus leisten, die realen Staatsausgaben deutlicher auszuweiten als Österreich. Denn die höheren Wachstumsraten führten dazu, dass trotz eines beträchtlichen realen Ausgabenanstiegs die Ausgaben in Relation zum Bruttoinlandsprodukt zurückgegangen sind - im Falle Finnlands sogar um mehr als in Österreich.

Die deutlichere Schuldenrückführung dieser Länder ist somit als Zusammenspiel einer besseren Budgetentwicklung und soliden Wachstumsraten zu sehen. Zwar schnitt Österreich in beiden Punkten ebenfalls besser ab als die gesamte Eurozone. Doch spielten Finnland und die Niederlande in beiden Kategorien in einer anderen Liga.

Die erfolgreiche Schuldenreduzierung dieser beiden Länder hat den positiven Nebeneffekt, dass die Zinsbelastung deutlicher zurückgegangen ist als in Österreich und somit die "Altlasten" geringer sind. In Österreich wird hingegen der erwartete Schuldenanstieg in Relation zum BIP in den nächsten beiden Jahren hauptsächlich auf die Zinszahlungen zurückzuführen sein. Dieser Sachverhalt verdeutlicht einmal mehr die Dringlichkeit einer nachhaltigen Schuldenreduzierung.

Öffentliche Finanzen seit 2008
Die Krise hat die öffentlichen Finanzen in Österreich in dreierlei Hinsicht negativ beeinflusst. Erstens verwandelten sich infolge des Konjunktureinbruchs die zuvor verzeichneten Primärüberschüsse in Defizite. Erst für 2013 kann wieder mit einer ausgeglichenen Primärbilanz gerechnet werden, und das obwohl das diesjährige Wachstum über drei Prozent liegen dürfte. Dass Österreich bei der Haushaltskonsolidierung seit der Krise nur halbherzig vorgegangen ist, verdeutlichtlicht sich im europäischen Vergleich. Zweitens hat der deutliche BIP-Rückgang 2009 automatisch den Schuldenstand in Prozent des BIP erhöht. Allein dadurch erhöhte sich die Staatsverschuldung in dem betreffenden Jahr um 1,8 Prozentpunkte. Drittens wurden wie auch in anderen Staaten in Österreich Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzsektors implementiert. Die Kapitalaufnahme zur Rekapitalisierung von Banken wirkte sich 2008 mit EUR 8 Mrd. (2,8 % des BIP) auf die Verschuldung aus. 2009 und 2010 kam es dagegen zur keiner Erhöhung der Staatsverschuldung durch Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzsektors. Um den Großteil dieses Betrages wird sich die Staatsverschuldung in Zukunft wieder verringern, wenn die Banken das ihnen zugeführte Kapital wieder zurückzahlen. Zudem profitiert der Staat von Dividendenzahlungen auf das zur Verfügung gestellte Partizipationskapital. Diese beliefen sich 2010 auf EUR 263 Mio.

Budgetvollzug und Budget 2012: Da wäre mehr drin Angesichts des deutlichen Schuldenanstiegs seit 2007 wäre eine deutliche Haushaltssanierung das Gebot der Stunde gewesen. Die gute Konjunkturentwicklung seit 2010 (reales BIP 2010: +2,3 % p.a., erwartetes reales BIP-Wachstum 2011: +3,2 % p.a.) hätte dafür genügend Spielraum geboten. Allerdings kam es dazu weder letztes, noch dieses Jahr. Und auch das Budget für 2012 lässt den ernsthaften Willen zur Budgetsanierung vermissen.

Zwar hat die Bundesregierung ihr ursprüngliches Defizitziel für heuer von 3,9 % auf 3,6 % des BIP reduziert. Grund dafür sind das positive wirtschaftliche Umfeld sowie die Anfang des Jahres implementierten Steuererhöhungen (Tabaksteuer, Mineralölsteuer), die die Kassen des Fiskus klingeln lassen. Denn die deutliche Reduzierung des Zentralstaatsdefizits im bisherigen Jahresverlauf (Jänner - September) gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum ist ausschließlich auf einen deutlichen Anstieg der Einnahmen zurückzuführen, während die Ausgaben ebenfalls angestiegen sind.

Und auch das Budget für das kommende Jahr sieht einen weiteren Ausgabenanstieg vor, der zum Großteil auf Sozialleistungen zurückzuführen ist. Auch absolut gesehen dominieren Ausgaben dieser Art: Allein auf Pensionszahlungen entfallen gut 25 % der gesamten Bundesausgaben. Der gesamte Sozialbereich steht für 48 % der veranschlagten Ausgaben. Demgegenüber sind für Unterricht, Wissenschaft und Forschung nur 16 % vorgesehen. Alleine die Transferzahlungen an die ÖBB (EUR 3,99 Mrd. für Investitionen und Pensionen) übersteigen die Gesamtausgaben des Bereichs "Wissenschaft und Forschung" (EUR 3,8 Mrd.), dem auch die Universitäten zugerechnet werden. Zukunftsweisende Investitionen sehen anders aus.

Außerbudgetäre Einheiten
Ein nicht unerhebliches Risiko für die Staatsverschuldung stellen die ausgegliederten Gesellschaften des Staates dar, allen voran die ÖBB. Die Verschuldung von ÖBB, ASFINAG und BIG soll im nächsten Jahr auf EUR 38,3 Mrd. ansteigen. Damit hätten sich deren Verbindlichkeiten seit 2007 um 56,6 % erhöht. Ein Teil der ÖBB-Schulden wird bereits dem Schuldenstand des Staates zugerechnet. Denn im Jahre 2007 verpflichtete sich der Bund, 70 % (75 % ab 2014) der aus Infrastrukturinvestitionen resultierenden Verbindlichkeiten der ÖBB zu bedienen. Dies führte 2010 zu einer kumulierten Erhöhung des Schuldenstandes seit 2007 um EUR 4,9 Mrd. Allerdings ist damit noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Aufgrund einer ab 2014 wirksamen Änderung der ESVG-Richtlinigen (Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen) werden nämlich die ÖBB voraussichtlich nicht mehr als Marktproduzent eingestuft und müssen daher zur Gänze im Staatssektor konsolidiert werden. Denn eines der bisherigen Entscheidungskriterien, dass mindestens 50 % der laufenden Kosten durch Produktionserlöse gedeckt werden müssen, dürfte aufgrund der mit der ESVG-Änderung verbundenen Einbeziehung von Zinsausgaben nicht mehr erfüllt sein. Folglich ist ab 2014 ein Großteil der verbleibenden ÖBB-Schulden (Plan per Ende 2011: EUR 15 Mrd. von insg. EUR 19,9 Mrd.) dem Staat zuzurechnen. Unter Umständen könnten ab 2014 auch die Verbindlichkeiten der BIG die offiziellen Staatsschulden erhöhen. Diese belaufen sich derzeit (Plan 2011) auf EUR 3,7 Mrd. In Summe erhöhte sich die Staatsverschuldung schlimmstenfalls um derzeit EUR 18,7 Mrd. Ausgehend von dem von der Regierung für dieses Jahr erwarteten Schuldenstand bedeutete dies einen Anstieg von 73,6 % (2011) auf 79,8 % (2011) des BIP. Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig verwunderlich, dass die Regierung ein festes Verschuldungsziel (z.B. 60 % des BIP im Jahre 2020) nicht in den Verfassungsentwurf zur Schuldenbremse aufgenommen hat.

Schuldenbremse: Das Allheilmittel?
Die kürzlich erfolgte Ankündigung, eine Grenze für das strukturelle Defizit in Höhe von 0,35 % des BIP in der Verfassung zu verankern, ist grundsätzlich positiv zu werten. Allerdings kann man sich angesichts des Ankündigungszeitpunktes nicht des Eindrucks erwehren, dass es sich dabei nicht zuletzt um eine Maßnahme zur Beruhigung der Märkte handelte. Überdies sind viele Details noch ungeklärt, die notwendige Zustimmung mindestens einer Oppositionspartei noch nicht gesichert und der Widerstand solle lediglich als Bundesgesetz und nicht in der Verfassung festgeschrieben werden") noch nicht gebrochen. Zudem bleibt es spannend, wie das notwendige Konsolidierungsvolumen erreicht werden soll. Auf der Einnahmenseite besteht angesichts einer ohnehin schon vergleichsweise hohen Steuer- und Abgabenquote (2010: 42 % des BIP) wenig Spielraum. Lediglich Umschichtungen (geringere Besteuerung des Faktors Arbeit, höhere Besteuerung von Kapital und Vermögen) wären sinnvoll. Vielmehr sollte bei den Ausgaben der Rotstift angesetzt werden. Denn mit einer Staatsquote (2010, Ausgaben in Prozent des BIP) in Höhe von 52,8 rangiert Österreich im europäischen Spitzenfeld. Dabei sollte "intelligenten" Ausgabenkürzungen, beispielsweise bei der öffentlichen Verwaltung, der Vorzug gegeben werden, da Strukturreformen, die den Staat effizienter machen, anders als Kürzungen im Sozialbereich am wachstumsfreundlichsten sind.

Der Konsolidierungsbedarf ist jedenfalls beträchtlich. Wollte man das strukturelle Defizit bereits heuer von erwarteten (EU-Kommission) 3,3 % auf 0,35 % des BIP reduzieren, wären Einsparungen bzw. Ausgabensteigerungen in Höhe von EUR 8,8 Mrd. notwendig. Selbst wenn man die veranschlagten Pensionszahlungen des Bundes (inkl. LandeslehrerInnen sowie ausgegliederte Einrichtungen) für das nächste Jahr ersatzlos striche (EUR 8,4 Mrd. bereinigt um Vorlaufzahlungen), wäre die Lücke noch nicht geschlossen. Insgesamt ist ein gehöriges Maß an Skepsis angebracht. Denn das jährliche Defizit in Österreich ist traditionell zum überwiegenden Teil struktureller Natur, während die zyklische Komponente eine sehr geringe Rolle spielt. Seit 1976 gelang es dem Staat nur einmal (2001), ein strukturelles Defizit von 0,35 % des BIP zu erreichen. Auch hier waren die Niederlande und vor allem Finnland erfolgreicher.

Fazit
Zwar steht Österreich mit einer erwarteten Staatsverschuldung für dieses Jahr von 73,6 % des BIP besser da als die großen AAA-Staaten Frankreich und Deutschland. Allerdings sind diese Länder für eine kleine Volkswirtschaft wie Österreich nicht der richtige Maßstab. Die direkten "Wettbewerber" sind vielmehr Finnland und die Niederlande. Diese Länder haben in der Vergangenheit ehrgeizigere Haushaltskonsolidierungen vollzogen, während sich Österreich damit begnügt hat, ohne größere Sparbemühungen leicht besser zu sein als die Eurozone. Seit der Krise kam es jedoch zu einem deutlichen Anstieg der Staatsverschuldung, die aufgrund der Reklassifizierung von außerbudgetären Einheiten noch weiter steigen dürfte. Vor diesem Hintergrund sind die Konsolidierungsanstrengungen der vergangenen zwei Jahre sowie das Budget für 2012 als zu wenig ambitioniert zu bezeichnen. Die Schuldenbremse lässt zwar hoffen, allerdings kommt es auf deren konkrete Ausgestaltung und noch mehr auf die zum Erreichen der Defizitziele notwendigen Reformmaßnahmen an. Hier besteht noch viel Unklarheit.

An der grundlegenden Solvenz der Republik Österreich hat sich jedoch nichts geändert. Auch ein (nicht wahrscheinlicher und von uns nicht erwarteter) Verlust des AAA änderte daran nichts. Vor diesem Hintergrund bieten österreichische Staatsanleihen für sicherheitsorientierte Investoren, die bereit sind etwaige vorübergehende Kursrückgänge auszusitzen, eine attraktive Alternative zu derzeit sehr niedrig rentierenden deutschen Bundesanleihen.
     
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