EU-Ausschuss diskutiert über Europäischen Stabilitätsmechanismus
Wien (pk) - Der EU-Unterausschuss des Nationalrats befasste sich am 23.11. eingehend mit den Plänen
der EU, einen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) - in der Öffentlichkeit oft "Permanenter
Rettungsschirm" genannt - einzurichten. Dieser dauerhafte Rettungsschirm soll die zeitlich begrenzte Europäische
Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), die seit dem Frühjahr 2010 besteht und bisher Irland und Portugal
mit günstigen Krediten versorgt, sowie den EFSM, der zur Unterstützung von Eurostaaten ermächtigt
ist, voraussichtlich spätestens Mitte 2013 ablösen.
Der Vertrag über den ESM wurde am 11. Juli 2011 von den FinanzministerInnen der Eurozone ausverhandelt und
mit einigen Änderungen am 21. Juli 2011 von den betreffenden Staats- und RegierungschefInnen unterzeichnet.
"Helfen, reformieren, kontrollieren, sanktionieren", so fasste Bundesministerin Maria Theresia Fekter
den nun eingeschlagenen Weg der EU zu einer nachhaltigen Bewältigung der Krise zusammen. Ziel sei, dass sich
ein Land marktnahe refinanzieren könne, à la longue sei eine Finanzierung durch SteuerzahlerInnen nicht
tragbar.
Sie unterstrich die Notwendigkeit eines permanenten Stabilitätsmechanismus, um den Turbulenzen mit einem koordinierten
und umfassenden Vorgehen entgegen treten und zur Stabilisierung in der Eurozone beitragen zu können. Der ESM
werde die Aufgaben von EFSF und EFSM übernehmen und soll den in Schwierigkeiten geratenen Staaten Finanzhilfen
unter strengen Auflagen und Kontrollen ermöglichen, wobei gemeinsam mit dem IWF für die Beteiligung des
Privatsektors in angemessener Form Sorge getragen werden könne. Der Anteil Österreichs am ESM betrage
2,78%. Wenn dieser die Arbeit aufnimmt, werde Österreich die Tranchen für die bilaterale Griechenlandhilfe
nicht mehr auszahlen müssen.
Die Finanzministerin unterstützt, wie sie mehrmals betonte, die Bemühungen um ein vorgezogenes Inkrafttreten
des ESM. Angesichts der Diskussion innerhalb der Eurozone um die Privatbeteiligung und die Ermöglichung eines
geordneten Rückzugs im Fall der Insolvenz (collective action clauses – CACs) zeigte sie sich jedoch wenig
zuversichtlich. Die derzeit festgeschriebene Möglichkeit der Einbeziehung des privaten Sektors werde vor allem
von Frankreich, Spanien, Italien und Irland kritisch gesehen. Im Fall einer früheren Etablierung des ESM wird
diese Beteiligung wieder in Frage gestellt. "Wir waren schon einmal wesentlich weiter", ließ die
Finanzministerin aufhorchen. Nach der Vertragsunterzeichnung im Juli gebe es nun weitere Änderungsvorschläge
und es sei fraglich, ob der nun vorliegende Vertragsentwurf beim nächsten Treffen Ende November auf die Tagesordnung
kommt.
Intensiv werde auch über das Gesamtvolumen diskutiert, wobei Österreich den Standpunkt vertritt, dass
das Geld von EFSF und EFSM in den ESM übergeführt aber nicht zusätzlich zur Verfügung stehen
soll.
Grüne stellen Bedingungen für Zustimmung zu ESM
Zur Implementierung des permanenten Stabilitätsmechanismus ist eine Vertragsänderung (Artikel
136 AEUV) notwendig, die in Österreich mit Zweidrittelmehrheit ratifiziert werden muss. Das heißt, die
beiden Regierungsparteien brauchen eine der drei Oppositionsparteien.
FPÖ und BZÖ äußerten sich einmal mehr negativ zum europäischen Rettungsschirm, das BZÖ
legte dazu auch einen Antrag auf Stellungnahme vor, der von SPÖ, ÖVP und Grünen mehrheitlich abgelehnt
wurde.
Die Grünen signalisierten jedoch die Möglichkeit einer Unterstützung, knüpften daran aber Bedingungen.
Abgesehen von einer entsprechenden parlamentarischen Mitwirkung, wie sie von Abgeordnetem Alexander Van der Bellen
moniert wurde, ist für die Grünen eine rasche und ernsthafte Vorbereitung eines geordneten Ent- und Umschuldungsverfahrens
für Staaten unter Beteiligung privater Gläubiger ebenso notwendig wie die Einführung einer Finanztransaktionssteuer.
In drei vorgelegten Anträgen sprechen sie sich darüber hinaus für die Einführung von Euro-Bonds,
für den Übergang zur qualifizierten Mehrheit in Fragen der Steuerharmonisierung, für eine europaweite
Harmonisierung der Bemessungsgrundlage und des Satzes der Körperschaftssteuer sowie für die Einberufung
eines europäischen Konvents zur Etablierung einer demokratisch legitimierten europäischen Wirtschaftsregierung
unter parlamentarischer Mitentscheidung und Kontrolle aus. Die Anträge erhielten jedoch keine Unterstützung
durch die anderen Parteien und blieben somit in der Minderheit.
Man erwarte sich in all diesen Punkten Fortschritte, bekräftigte Abgeordneter Werner Kogler (G) und das Verhalten
seiner Fraktion werde davon abhängen, wie die Regierung auf europäischer Ebene agiert. Die Finanzministerin
unterstrich in diesem Zusammenhang, die Einführung der Finanztransaktionssteuer sei Regierungsprogramm, innerhalb
der EU gebe es aber noch immer viele Widerstände.
Der ESM
Der ESM soll durch einen völkerrechtlichen Vertrag als zwischenstaatliche Organisation eingerichtet werden,
die ihren Sitz in Luxemburg haben wird. Er wird laut Vertrag über eine effektive Gesamtdarlehenskapazität
von 500 Mrd. € verfügen und zu diesem Zweck mit einem Gesamtkapital von 700 Mrd. € ausgestattet sein. Davon
werden ab Mitte 2013 80 Mrd. Euro in fünf gleich hohen Tranchen eingezahlt. Die Differenz von 620 Mrd. Euro
steht in Form von Garantien bzw. abrufbarem Kapital jederzeit zur Verfügung. Als Kapitalschlüssel wird
weiterhin jener der EZB herangezogen, allerdings mit einer Übergangsfrist für Mitgliedstaaten, die ein
Pro-Kopfeinkommen von unter 75% des Durchschnitts aufweisen, um Härtefälle zu vermeiden.
Die Aufgabe des ESM wird - wie jene der EFSF - darin bestehen, Ressourcen zwecks Vergabe finanzieller Unterstützungen
an Euro-Staaten, die schwerwiegende Finanzierungsprobleme entweder bereits haben oder befürchten müssen,
zu mobilisieren. Wie der EFSF wird der ESM in Ausnahmenfällen und unter strengen Auflagen die Möglichkeit
haben, auch im Rahmen präventiver Programme Unterstützung zu leisten, am Primärmarkt sowie Sekundärmarkt
für Schuldtitel tätig zu werden und Banken-Rekapitalisierungen zu finanzieren. Ebenso soll die Einbindung
des Privatsektors an die Praxis des IWF anknüpfen, wobei je nach Ergebnis der Schuldentragfähigkeitsanalyse
grundsätzlich mehrere Initiativen gegenüber privaten Gläubigern möglich sein werden: Von der
Beibehaltung des Exposures (analog zur Vienna Initiative), über die Verlängerung der Laufzeiten sowie
Verringerung der Zinsen bis hin zur Schuldenreduktion ("haircut").
In Zusammenhang mit der Einbindung des Privatsektors (private sector involvement – PSI) müssen in Staatsanleihen,
die nach dem Juli 2013 begebenen werden und deren Laufzeit mehr als 1 Jahr beträgt, einheitliche und standardisierte
collective action clauses (CACs) aufgenommen werden. Dadurch soll eine rasche Einigung über allfällige
Schuldenerlässe erleichtert werden. Dem ESM soll dabei ein "preferred creditor status" eingeräumt
werden, was ihm eine prioritäre Rückzahlung von Unterstützungsgeldern zusichern würde.
Österreich verpflichtet sich damit, uneingeschränkt zur Leistung seines Anteils am genehmigten Stammkapital
in Höhe von rund 19,5 Mrd. €. Davon sind rund 2,2 Mrd. € in fünf gleichen Jahresraten ab 2013 einzuzahlen.
Die jährliche budgetäre Belastung über den Zeitraum 2013-2017 beträgt somit rund 445,3 Mio.
€. Unter bestimmten Umständen ist eine Beschleunigung des Zahlungsplans möglich, wodurch es zu einer
Verschiebung der Beträge innerhalb des Fünfjahreszeitraums kommen kann. Zusätzliche budgetäre
Belastungen sind ausschließlich im Rahmen des genehmigten nicht eingezahlten Kapitals möglich.
Wird durch die Notfallklausel das Einstimmigkeitsprinzip ausgehöhlt?
Intensiv wurde über die Ausnahmeklausel für Abstimmungsregeln (Notfallklausel) diskutiert. Der Entwurf
sieht nämlich vor, dass im Gouverneursrat Entscheidungen über die Vergabe von Finanzhilfen in einer Ausnahmesituation,
die die gesamte Eurozone gefährden könnte, auch abweichend von der Einstimmigkeitsregel mehrheitlich
getroffen werden können. Zur Debatte stehen zwei Varianten, wonach entweder jedes Land eine Stimme hat und
nicht mehr als zwei Länder dagegen stimmen dürfen oder eine qualifizierte Mehrheit von 85% der gewichteten
Stimmen dafür ist. Deutschland würde dabei nur die zweite Option akzeptieren.
Die Finanzministerin bekräftigte, dass sich Österreich grundsätzlich gegen die Notfallklausel ausgesprochen
hat und im äußersten Fall für die erste Option eintritt. Auf die Kritik der Abgeordneten Johannes
Hübner (F) und Stefan Petzner (B), dass sie hier überhaupt bereit sei, Zugeständnisse zu machen,
bemerkte Fekter, ihr sei es wichtig, in dieser Frage mit entscheiden und wenigstens die Variante zwei verhindern
zu können.
Die Notfallklausel wurde insbesondere von Abgeordnetem Stefan Petzner (B) als eine massive Gefahr kritisiert, da
damit das Einstimmigkeitsprinzip grundsätzlich ausgehebelt werden könne. Aufgrund der sehr weichen Definition,
was unter einem Notfall zu verstehen ist, sei das Ganze eine reine Interpretationssache, sagte er. Dem entgegnete
Finanzministerin Fekter, dass im Hinblick auf wichtige Entscheidungen, wie das Budget, selbstverständlich
uneingeschränkt das Einstimmigkeitsprinzip weiter gelte, neue Belastungen seien auf alle Fälle zu vermeiden,
Österreich müsse das Triple A im Blick behalten. Bei der betreffenden Klausel gehe es um Entscheidungen
im Rahmen von Programmen, wobei man überlegt habe, wie man gewisse Blockaden vermeiden könne, um nicht
das gesamte Werk zu gefährden, erklärte sie. Sie halte prinzipiell am Einstimmigkeitsprinzip fest, werde
sich aber anschauen, wie das Ganze am Ende konstruiert ist. Abgeordneter Michael Schickhofer (S) wies in diesem
Zusammenhang auf die Notwendigkeit hin, dass die EU handlungsfähig bleiben müsse, und in diesem Sinne
sei in Ausnahmefällen ein Abgehen vom Eistimmigkeitsprinzip überlegenswert, meinte er.
Prävention ist wichtig
Abgeordneter Alexander Van der Bellen (G) merkte kritisch an, dass der ESM lediglich wie eine Art Feuerwehr wirke,
aber keinerlei präventive Maßnahmen beinhalte. Deshalb brachte er einmal mehr die Euro-Bonds als eine
Präventionsmaßnahme in die Diskussion ein. Dem gegenüber betonte die Finanzministerin, Österreich
sei so wie Deutschland gegen deren Einführung, solange es keinen Einfluss auf Schuldensünder gibt. Sie
wolle das Triple A Österreichs nicht gefährden. Die europäische Kommission werde morgen ein Grünbuch
vorlegen, in dem festgehalten wird, Euro-Bonds könnten dann eingeführt werden, wenn man Staaten zu Haushaltsdisziplin
zwingen kann. Es gehe aber nicht an, in die Budgethoheit der einzelnen nationalstaatlichen Parlamente einzugreifen,
sagte sie und reagierte damit auch auf Befürchtungen von Abgeordnetem Andreas Karlsböck (F), die Budgethoheit
der nationalen Parlamente könnte untergraben werden.
Die Prävention sei nicht Aufgabe des ESM, sondern sei im so genannten "Six pack" geregelt, das sind
jene EU-Rechtsvorschriften, die zu einer besseren Koordinierung der Wirtschaftspolitik sowie zu einer besseren
Kontrolle der Budgetdisziplin in den einzelnen Staaten führen sollen. Die Einführung von Euro-Bonds wurde
auch von den Abgeordneten Stefan Petzner (B) und Andreas Karlsböck (F) abgelehnt.
Vehement wies Fekter die Überlegungen von Abgeordnetem Kai Jan Krainer (S) zurück, zur Bewältigung
der Schuldenkrise jene Instrumente anzuwenden, wie sie in Großbritannien und den USA Gang und Gebe sind,
um sich nicht allein über die Märkte zu refinanzieren. Österreich wolle einen stabilen Euro und
nicht die Gelddruckmaschine anwerfen, stellte sie klar, denn das würde die Inflation anheizen. Außerdem
würde man dazu eine Vertragsänderung brauchen. Sie wurde darin auch dezidiert von Abgeordnetem Stefan
Petzner (B) und Abgeordnetem Alois Gradauer (F) unterstützt.
Der Euro sei auch keine Fehlkonstruktion, reagierte sie auf die Aussage von Abgeordnetem Alois Gradauer (F), der
gemeint hatte, das System habe versagt, es sei falsch gewesen, 17 verschiedene Volkswirtschaften in ein Währungssystem
zu pressen. Europa habe auf die Bankenkrise zunächst gut reagiert und habe sich relativ rasch auf neue Krisensituationen
mit der Etablierung von EFSM und EFSF und schließlich von ESM geantwortet. Fekter räumte ein, dass die
Maastricht-Kriterien für die Währungsunion durchaus ausreichend gewesen wären, aber die Euroländer
wären undiszipliniert vorgegangen, und dann sei man "zu feige" gewesen, Sanktionen über große
Länder zu verhängen. Das falle uns nun auf den Kopf, sagte sie und verteidigte in diesem Zusammenhang
die Initiativ der Bundesregierung zur Verankerung einer Schuldenbremse in der Verfassung, wobei festgelegt werden
soll, dass jene Gebietskörperschaft Strafe zahlt, die auch Schulden macht.
Die Befürchtungen von Abgeordnetem Hübner, es könnte zu einer weiteren Erhöhung der Haftungen
kommen, wies Fekter zurück. Der "preferred creditor status" des ESM sei absolut, ergänzte sie
und ging damit auch auf eine Frage von Abgeordnetem Alexander Van der Bellen (G) ein.
Primat der Politik muss wiedergewonnen werden
Für eine Wiedergewinnung des Primats der Politik sprach sich Abgeordnete Christine Muttonen (S) aus, indem
sie auf die Bedrohung der Eurozone durch die Irrationalität und die Exzesse der Finanzmärkte aufmerksam
machte. Sie unterstützte in ihrer Wortmeldung die Errichtung des ESM, um den Teufelskreis für finanziell
angeschlagene Staaten zu durchbrechen. Muttonen erhofft sich durch dieses Instrument die Verhinderung von Spekulationen,
die ganze Volkswirtschaften angreifen, und sprach sich für klare Regeln aus, wie die Finanzmärkte an
der Krisenbewältigung beteiligt werden können. Schließlich befürwortete sie den Plan, dass
die Rechnungshöfe den ESM kontrollieren können und unterstrich die Notwendigkeit, die Budgethoheit der
Parlamente zu erhalten.
Ähnlich positiv äußerte sich Abgeordneter Günter Stummvoll (V). Der Stabilitätsmechanismus,
der eine Art europäischer Währungsfonds darstellt, soll die Abhängigkeit von Finanzmärkten
reduzieren und dazu beitragen, dass die EU zu einer Stabilitätsunion und nicht noch mehr zu einer Transferunion
wird.
Auf die Bemerkung, wie die Kontrolle der Parlamente über den Gouverneursrat funktionieren kann, bemerkte die
Ministerin, Österreich habe mit dem Hauptausschuss und dem EU-Unterausschuss ein gutes Kontrollinstrument,
weswegen Österreich von anderen Ländern beneidet werde.
Der Gouverneursrat setze sich aus den FinanzministerInnen der Euro-Gruppe zusammen, daneben gebe es ein Direktorium
und einen weisungsfreien geschäftsführenden Direktor als Vollzugsorgan, erläuterte die Ministerin
gegenüber Abgeordnetem Hannes Weninger (S). Der Gouverneursrat habe daher nichts mit dem ECOFIN zu tun. Die
Immunität für die MitarbeiterInnen, die von Abgeordnetem Alois Gradauer (F) kritisiert worden war, hielt
die Ministerin für notwendig, um Klagen in Millionenhöhe zu verhindern. Der Gouverneursrat könne
aber auch die Immunität aufheben. Die Verschwiegenheitspflicht wolle man nach dem Bankgeheimnis regeln, bemerkte
sie auf eine Frage von Abgeordneter Sabine Oberhauser (S).
Die restlichen Tagesordnungspunkte betreffend Basel III, die Kommissionsvorschläge zur Einführung eines
Finanztransaktionssteuer und zu einem so genannten Basiskonto wurden von den Ausschussmitgliedern einvernehmlich
vertagt. |