Die Demokratie in Zeiten der Eurokrise   

erstellt am
06. 12. 11

"Sind wir am Weg zur Eurokratie ? - Diskussion im Parlament
Wien (pk) - Die geänderten Entscheidungsprozesse in der EU vor dem Hintergrund der Finanz- und Schuldenkrise standen am 05.12. im Mittelpunkt einer Diskussionsveranstaltung im Parlament, zu der Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und die Vereinigung der ParlamentsredakteurInnen eingeladen hatten. Anknüpfungspunkt war der Umstand, dass die Krise zu politischer Reaktion zwingt, die sich nicht an bewährten Mustern orientieren kann, zumal die von den Märkten erzeugte Dynamik immer raschere, bisher nicht erprobte Interventionen verlangt. EU-Kommissar a.D. Franz Fischler, Univ.-Prof. Sonja Puntscher-Riekmann, Abgeordneter Ewald Stadler und der Abgeordnete zum Europäischen Parlament Hannes Swoboda suchten dabei nach Antworten auf die Fragen: Wer entscheidet tatsächlich ? Wie ist es um die Mitwirkungsrechte des Parlaments bestellt? Kommt die Demokratie unter die Räder? Sind wir am Weg zur Eurokratur?

Fischler: Europäische Kommission muss demokratischer werden
Franz Fischler (EU-Kommissar a.D.) gab grundsätzlich zu bedenken, Demokratie könne nicht von einem Tag auf den anderen funktionieren, sie lebe von einem Dialog mit der Bevölkerung. Es gelte nun, wieder zu einer Politik zurückzufinden, die eine normale Entscheidungsstruktur im Sinne einer vorausschauenden Gestaltung zulässt. Eine Änderung des EU-Vertrages, die sich ausschließlich auf einen Sanktionsmechanismus für das Schuldenmachen reduziert, könne in der derzeitigen Situation jedenfalls nicht der große Wurf sein, warnte Fischler. Seiner Meinung nach geht es vor allem darum, auf mehreren Ebenen gleichzeitig zu handeln, die akuten Probleme könnten unter Umständen auch auf Basis der bestehenden Verträge gelöst werden. Unabdingbar waren für den ehemaligen EU-Kommissar die Weiterentwicklung der Europäischen Kommission in Richtung von mehr Demokratie sowie eine Verbesserung der Kommunikation der Regierungen über die EU. Zu stellen sei auch die Frage einer Wirtschaftsunion, fügte Fischler an und verlieh seiner Überzeugung Ausdruck, dass es ohne Solidarität unter den Mitgliedstaaten keine Union geben könne.

Puntscher-Riekmann: EU braucht Solidarität
Sonja Puntscher-Riekmann (Universität Salzburg) schickte voraus, der Vertrag von Lissabon habe zwar ein Mehr an Demokratie geschaffen, liefere aber zu wenig Handhabe für eine Krise dieses Ausmaßes. Die EU sei eine große Währungsunion und überlasse die Wirtschaftspolitik den Mitgliedstaaten, die von gegenseitigem Misstrauen geprägt sind und bei Lösungsmodellen nach intergouvernementalen Mechanismen außerhalb der EU-Verträge greifen, umriss Puntscher-Riekmann die Ausgangslage. Klar war für sie, dass eine Vertiefung der Gemeinschaft ohne ein Minimum an Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten, wie dies ja auch im EU-Vertrag festgeschrieben sei, nicht auskommen werde. Diese Solidarität bedinge auch eine Verteilung von den reichen Regionen zu den armen Regionen. An die nationalen Parlamente appellierte Puntscher-Riekmann, sich endlich auch für die Vermittlung der europäischen Solidarität zu engagieren. Die vielfach propagierte Fiskalunion kritisierte sie als zu einseitig auf die Ausgaben hin definiert und schlug demgegenüber eine von der EU direkt eingehobene Steuer vor, die ihrer Meinung nach eine andere Form von Identifikation mit der Union ermöglichen würde.

Stadler: Bei EU-Weiterentwicklung die Bevölkerung einbinden
Ewald Stadler (Abgeordneter zum Nationalrat, BZÖ) sah in der EU in erster Linie ein Demokratieproblem und stellte fest, die Union fürchte derzeit nichts stärker als die Bevölkerungen. Entscheidungen würden abgehoben von Merkel und Sarkozy getroffen, der Rest der Mitgliedstaaten habe zu folgen. Auf Dauer könne die EU aber nicht ohne und gegen das Volk existieren, warnte er. Marktschelte ließ Stadler nicht gelten, wobei er argumentierte, niemand habe die Staaten gezwungen, Schulden zu machen, die Maastricht-Kriterien zu brechen und einen Euro einzuführen, der von Anfang an ein Geburtsfehler war. Stadler trat nun dafür ein, die Weiterentwicklung der Union zu entschleunigen, sich mehr Zeit zu nehmen und die Menschen einzubinden, zumal man an einem demokratischen Diskussionsprozess nicht vorbei kommen werde. Was die Wirtschaft betrifft forderte er eine andere Haushaltspolitik in den einzelnen Mitgliedstaaten und meinte überdies, die Entwicklung der Union könne letztlich nur in Richtung einer Kernzone einer Euro-Währung gehen, die sich an der Stabilität der deutschen Bundesbank orientiert.

Swoboda: Euro-Kernunion würde EU zerstören
Hannes Swoboda (Abgeordneter zum Europäischen Parlament, SPÖ) führte den Übergang der Macht auf die Märkte auch auf die Politik zurück, die sich seiner Meinung nach durch ständige Deregulierungen selbst entmachtet habe. Er äußerte Verständnis für die deutsche Position und meinte überdies, ökonomische Fragen könnten nur schwer mit Verträgen gestaltet werden. Bei Vertragsänderungen sei jedenfalls darauf zu achten, dass man nicht jegliche Konjunkturpolitik abwürgt und dass die Defizitbegrenzung nicht zur Verhinderung der Ankurbelung der Wirtschaft führt. Zu den derzeit lancierten Vorschlägen bemerkte Swoboda, es gehe vor allem darum, eine echte Währungsunion zu schaffen. Die von vielen Seiten zur Diskussion gestellte Fiskalunion sah er kritisch, da sie Einnahmenpolitik völlig ausschließe und sich nur auf ausgabenseitige Maßnahmen konzentriere. Das Eingehen von Schulden sowie die Höhe der Abgabenquote seien aber von Staat zu Staat differenziert zu bewerten und könnten jedenfalls nicht ausschließlich negativ gesehen werden, betonte er. Eine klare Absage erteilte Swoboda dem Konzept einer Euro-Kernzone, wobei er warnte, eine Aufteilung der Mitgliedstaaten in "Gute" und "Bloßfüßige" würde Europa zerstören.
     
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