Wien (öaw) - Am 13.12. haben die zwei großen LHC-Experimente, ATLAS und CMS, neue Ergebnisse
bei der Suche nach dem Higgs-Boson veröffentlicht, die auf einem Datensatz basieren, der etwa 500 Billionen
Protonenkollisionen entspricht - rund 100 Mal mehr als Ende 2010.
Im so genannten Standardmodell der Teilchenphysik ist das Higgs-Boson für die Erklärung der Massen der
schwachen Kraftteilchen Wund Z sowie der Massendifferenzen bestimmter anderer Elementarteilchen nötig; die
Stärke seiner Wechselwirkung mit anderen Teilchen steigt mit deren Masse. Dementsprechend können Higgs-Bosonen
mit bestimmten Wahrscheinlichkeiten in Paare von Kraft- bzw. Materieteilchen (Bosonen bzw. Fermionen) zerfallen.
Diese Wahrscheinlichkeiten hängen selbst wieder von der Masse des Higgs-Bosons ab. Um Hinweise auf ein Higgs-Boson
mit unbekannter Masse zu bekommen, muss daher eine Vielzahl verschiedener Zerfallskanäle untersucht werden.
In diesem Seminar sahen auch die Physiker des jeweils anderen Experiments zum ersten Mal die Ergebnisse der Kollegen.
Damit soll eine vorzeitige gegenseitige Beeinflussung während der Datenanalyse der beiden Experimente verhindert
werden.
Für die im Bild gezeigte maximale mit den Daten verträgliche Produktionsrate eines Higgs-Bosons untersuchte
die CMS-Kollaboration fünf verschiedene Zerfallskanäle mit insgesamt 42 verschiedenen Kombinationen von
beobachteten Teilchen. Dabei waren auch Beiträge des Instituts für Hochenergiephysik wie z.B. zentrale
Elemente des Auswahlsystems, das die Rate von 20 Millionen Ereignissen pro Sekunde auf einige 100 reduziert, von
wesentlicher Bedeutung.
Die Darstellung zeigt die obere Grenze der Produktionsrate im Verhältnis zur Vorhersage des Standardmodells.
Die CMS-Daten erlauben, Higgs-Bosonen im Massenbereich von 127-600 GeV/c2 auszuschließen. Dies stellt einen
substantiellen Fortschritt dar, sogar im Vergleich zu dem kürzlich gezeigten gemeinsamen Resultat der CMS-
und ATLAS-Experimente, das auf dem ersten Teil der Daten aus 2011 beruhte. Es verbleibt nur mehr ein sehr kleiner
Bereich zwischen der Grenze bei 127 GeV/c2 und den Resultaten von LEP, dem Vorgänger des LHC am CERN, die
Higgs-Bosonen mit einer Masse kleiner als 114 GeV/c2 ausschlossen.
Im noch erlaubten Massenbereich bei etwa 120-125 GeV/c2 beobachtete CMS eine interessante Anhäufung von Ereignissen,
die mit der Interpretation als Zerfälle von Higgs-Bosonen verträglich sind. Dies drückt sich durch
eine Abweichung der beobachteten Kurve vom Ergebnis eines "durchschnittlichen" Experiments aus. Der Überschuss
entspricht etwa der Vorhersage des Standardmodells, jedoch ist die Anzahl der beobachteten Ereignisse zu klein,
um eine genaue Aussage zu treffen: so kann dieser Überschuss auf statistischen Schwankungen beruhen oder aber
auch ein erster Hinweis auf ein Higgs-Boson sein.
Von besonderem Interesse ist, dass das zweite große LHC Experiment ATLAS ebenfalls eine unerwartet hohe Anzahl
von Kandidaten im selben Massenbereich beobachtet. Bis Ende 2012 erwartet man in beiden Experimenten eine 3- bis
4-fach höhere Datenmenge. Damit sollte die Frage der Existenz oder auch der Nicht-Existenz des Higgs-Bosons
endgültig beantwortet werden. |