Neujahrs-Ansprache des Bundespräsidenten  

erstellt am
02. 01. 12

"2012 ist das Jahr der Entscheidungen und gemeinsamen Anstrengungen"
Wien (hofburg) - Wortlaut der TV-Neujahrsansprache des Bundespräsidenten über Schuldenbremse, Sparpaket, Wachstumsimpulse, Eurokrise, Finanzmärkte und Vertrauen in die Zukunft Österreichs und Europas.

Bundespräsident Heinz Fischer / Foto: ORF/Milenko Badzic
 
Bundespräsident Dr. Heinz Fischer Foto: ORF/Milenko Badzic


Guten Abend, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Liebe Österreicherinnen und Österreicher!

Ich freue mich sehr, Sie auch heuer, am ersten Tag des neuen Jahres, begrüßen zu dürfen.

Ich bin mir bewusst, dass viele Menschen diesem neuen Jahr mit Unsicherheit und Skepsis gegenüber stehen. Sie wollen mehr Klarheit haben und fragen sich:

Womit hat die österreichische Wirtschaft im Jahr 2012 zu rechnen?

Wohin geht die Europäische Union?

Wie sicher ist der Euro?

Wird es Inflation geben? e.t.c.

Seriöse Antworten zu diesen Fragen sind sicher nicht einfach. Vor allem in einer Zeit, wo nicht nur die zähl- und messbaren Fakten der Realwirtschaft, sondern auch psychologische Faktoren und Fragen des Vertrauens eine große, aber schwer berechenbare Rolle spielen.

Denken Sie zum Beispiel an die sogenannten Rating-Agenturen und ihren enormen, aber kaum nachvollziehbaren Einfluss auf Wirtschaft und Politik. Wie kann es sein – fragen sich viele zu Recht – dass Rating-Agenturen so viel Macht haben?

Die Antwort lautet, dass man Finanzmärkte und auch einzelne Elemente der Finanzmärkte nur supranational regulieren und kontrollieren kann, und dafür ist in den letzten Jahren sicher nicht genug geschehen.

Eine sinnvolle und wirksame Regulierung der Finanzmärkte ist jedenfalls ein Schlüssel zur Lösung bestehender Probleme.


Liebe Österreicherinnen und Österreicher!

Unser Land hat die Krise bisher insgesamt gut gemeistert. Das ist nicht zuletzt ein Verdienst gemeinsamer Anstrengungen. Allerdings sind die Staatsschulden auch in Österreich stark angestiegen. Darauf müssen wir mit Entschlossenheit reagieren und das Defizit im Staatshaushalt gezielt und schrittweise absenken. Die sogenannte Schuldenbremse, über die in den letzten Wochen und Monaten so viel diskutiert wurde, ist ein wichtiges Instrument dazu.

Was bedeutet Schuldenbremse eigentlich? Schuldenbremse bedeutet im Wesentlichen, dass wir Obergrenzen der Neuverschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden in Relation zur Wirtschaftsleistung in glaubwürdiger Weise - also am besten verfassungsrechtlich abgesichert - festlegen. Damit wäre nicht nur eine Leitschiene zum Abbau der Staatsverschuldung vorhanden, sondern auch ein verlässliches Zeichen künftigen Handelns gesetzt.

Daher unterstütze ich diesen Gedanken und appelliere mit Nachdruck an Regierung und Opposition, bei dieser ganz wichtigen Frage aufeinander zuzugehen und Verantwortungsbewusstsein zu beweisen.


Liebe Zuseherinnen und Zuseher!

Es gibt aber noch einen weiteren Faktor, der von Experten im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Krise immer wieder angesprochen wird, und zwar auf Impulse für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung nicht zu vergessen. Somit haben wir es im Grunde mit einem magischen Dreieck zu tun, nämlich

1. gezielte Sparsamkeit auf der Ausgabenseite,

2. eine dem sozialen Ausgleich dienende Erschließung zusätzlicher Einnahmen und

3. wachstumsfördernde Maßnahmen

auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Eine schwierige Aufgabe. Aber in diese Richtung muss sich Österreich im Jahr 2012 und auch in den Folgejahren bewegen.


Liebe Österreicherinnen und Österreicher!

Zuletzt noch ein Blick über unsere Grenzen:

Die Weltbevölkerung hat im abgelaufenen Jahr die Zahl von 7 Milliarden Menschen überschritten. Von diesen 7 Milliarden sind nur etwa 8 Prozent Europäer und gerade 1,2 Promille Österreicher. Die gemeinsame Formulierung und Vertretung europäischer Interessen wird also immer wichtiger.

Das von den größten europäischen Staatsmännern der Nachkriegszeit auf den Weg gebrachte Projekt der Europäischen Integration und Zusammenarbeit dürfen wir daher unter keinen Umständen kleinmütig fallen lassen. Im Gegenteil: Wir brauchen ein entschluss- und handlungsfähiges Europa.

Und auch wenn die derzeitige Finanzkrise Menschen und Märkte verunsichert, ist es berechtigt, unter Bezugnahme auf ein berühmtes Zitat von Leopold Figl zu sagen:

Glaubt an Österreich, aber glaubt auch an Europa!

Denn die Europäische Union ist und bleibt der wichtigste Rahmen für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit. Der Euro wird trotz aller Probleme weiterhin die zweitwichtigste Weltwährung bleiben.

Und Österreichs Wirtschaft wird 2012 nach übereinstimmenden Prognosen zwar nur sehr wenig wachsen, aber auch die Inflation wird in Österreich heuer voraussichtlich niedriger sein als 2011.

Soweit der Versuch, auf einige der zu Beginn gestellten Fragen zu antworten.


Liebe Österreicherinnen und Österreicher!

Alles in allem muss 2012 ein Jahr gemeinsamer Anstrengungen und ein Jahr der Entscheidungen sein. Was wir uns vornehmen, müssen wir auch umsetzen. Das ist notwendig, um das Vertrauen in die Kraft unseres demokratischen Systems nicht aufs Spiel zu setzen.

Darüber hinaus muss der politische Stil und die Qualität politischer Debatten dringend verbessert werden, wenn wir dem Ansehensverlust der Politik wirksam begegnen wollen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen und auch jenen Österreicherinnen und Österreichern, die derzeit im Ausland leben und arbeiten, ein gutes und friedliches Jahr 2012.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
     
Informationen: http://www.hofburg.at    
     
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