Eurozone schlittert 2012 in die Rezession – BIP-Rückgang von -1,0 Prozent erwartet – Fehlen
einer nachhaltigen Lösung der Schuldenproblematik führt auch zu schwächeren Kursen auf Aktienmärkten
und bei Unternehmensanleihen
Wien (rzb) - „Seit Mai 2010 jagt ein Schuldengipfel den anderen, mit dem Ziel die immer mehr Eurozone-Staaten
erfassende Schuldenkrise zu stoppen. Doch eine klare Lösung für das Problem fehlt nach wie vor – und
das spiegelt sich eindeutig auf den globalen Märkten wider“, so Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen
Bank International AG (RBI). „Wenngleich der EU-Gipfel vom 8. und 9. Dezember erstmals richtige Ansätze für
eine nachhaltige Lösung gebracht hat, so offenbarte er auch die ganze Problematik der EU: nämlich langsame
Umsetzung sowie Uneinigkeit der Regierungschefs. Kein Wunder, dass die Rating-Agenturen aktiv werden und den Ausblick
selbst von AAA-Staaten herabsetzen. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass im ersten Halbjahr Rating-Herabstufungen
in der Eurozone für Turbulenzen sorgen können.“ Aus Brezinscheks Sicht wird das erste Quartal 2012 eine
Nagelprobe für die Eurozone darstellen, bei der eine Beschleunigung des Krisenmanagements in Richtung Verfassungsänderung
hin zu einer Fiskalunion eine wichtige Rolle spielt. Eine Schlüsselfunktion in der weiteren Entwicklung der
Eurozone misst Brezinschek aber auch der politischen Entwicklung und dem Sanierungsprogramm in Italien bei.
Angesichts dieser Aussichten erwartet Helge Rechberger, Leiter der RBI-Aktienmarktanalyse, dass die Aktienmärkte
und auch wesentliche Marktsegmente der Unternehmensanleihen in den ersten Monaten 2012 von fallenden Kursen geprägt
sein werden.
Schrumpfende Konjunktur im Euroraum
Die Turbulenzen auf den Finanzmärkten sowie die politischen Querelen in vielen Ländern bzw. auf gesamteuropäischer
Ebene haben nunmehr die Realwirtschaft erreicht. Die deutliche Zurückhaltung der Unternehmen bei Neuinvestitionen
und die sich eintrübenden Exportaussichten sind die wesentlichen Treiber für schwache Aussichten in den
nächsten sechs Monaten. Brezinschek geht davon aus, dass angesichts der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingung
sowie der Ergebnisse der jüngsten Konjunkturumfragen mit einer spürbaren Rezession von Ende 2011 bis
Jahresmitte 2012 zu rechnen ist. Für die Eurozone erwarten die Analysten von Raiffeisen Research für
das Jahr 2012 einen BIP-Rückgang von -1,0 Prozent, wobei sich in den Ländern mit robusten Arbeitsmarktdaten
und relativ hohen Lohnsteigerungen der private Konsum als Stütze der Konjunktur erweisen dürfte. Während
Brezinschek in der Eurozone überall schrumpfende BIP-Zahlen erwartet, dürfte den Volkswirtschaften in
den USA (BIP-Wachstumsprognose 2012: 1,5 Prozent) und den Emerging Markets (BIP-Wachstumsprognose 2012: 5,7 Prozent)
zwar eine Wirtschaftsabschwächung, aber keine Rezession bevorstehen.
Inflationshöhepunkt erreicht
Die Analysten von Raiffeisen Research gehen davon aus, dass die Inflationsrate mit 3 Prozent p.a. kürzlich
das zyklische Hoch erreicht haben dürfte. Wesentliche Preistreiber waren die Bereiche Energie, Nahrungsmittel,
Transport und Wohnen. Auf Basis der Ölpreisprognosen von knapp unter USD 100 pro Barrel im Jahr 2012, erwarten
die Research-Experten für die kommenden Monate ein rasches Abebben des Preisauftriebs aus den Energiekosten.
„Auch die Lohnentwicklung sehen wir in den meisten Euroländern angesichts der prekären Situation am Arbeitsmarkt
als keinen Kostentreiber“, erklärt Brezinschek. Dagegen dürften Steuererhöhungen auf Jahressicht
das Preisniveau nach oben heben. „In Summe sollten die Inflationsraten in den ersten Monaten des Jahres 2012 rasch
Richtung 2 Prozent zurückfallen und für den Rest des Jahres um diesen Wert verharren“, ergänzt Brezinschek.
Zentralbanken „garantieren“ niedrige Geldmarktzinsen
Die im Jahresverlauf abnehmenden Inflationsaussichten ermutigen die Notenbanken weltweit ihre expansive Geldpolitik
bis über 2012 hinaus fortzusetzen. „Wir gehen daher davon aus, dass die negativen Realzinsen in der Eurozone
und den USA beibehalten werden“, erklärt Brezinschek, der auch weitere Zinssenkungen der EZB – wenn sie auch
unwahrscheinlich sind – nicht ausschließen kann. Die US-Notenbank (Fed) hingegen befindet sich seiner Meinung
nach aufgrund der guten Wirtschaftsdaten in Abwartestellung, dürfte aber angesichts der erwarteten Konjunkturabkühlung
im ersten Halbjahr 2012 weitere Maßnahmen beschließen.
Große Unterschiede bei Staatsanleihen
„Die bis zu drei Jahre offerierten Liquiditätshilfen könnten sich positiv auf den Kapitalmarkt auswirken
und die kurzfristigen Staatsanleihenrenditen dämpfen“, so Brezinschek. Trotzdem erwartet er wegen der mangelnden
Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen ein Anhalten extrem hoher Unterschiede bei den Anleiherenditen.
Für die Renditen deutscher Anleihen sehen die Analysten von Raiffeisen Research für mittlere und lange
Laufzeiten Abwärtspotenzial, da die hohe Liquidität im Bankensystem vor allem in sicheren Veranlagungen
geparkt werden dürfte. US-Staatsanleihen sollten 2012 hingegen, trotz eines sich abzeichnenden Verlusts des
AAA-Ratings bei einer weiteren Rating-Agentur nach S&P, nach wie vor als „sicherer Hafen“ gehandelt werden
und könnten dementsprechend im ersten Quartal von einer neuerlichen Zuspitzung der Schuldenkrise und einer
Rezession in der Eurozone profitieren. Sobald sich eine Stabilisierung in der Eurozone abzeichnet, werden die Renditen
von 10jährigen Staatspapieren wieder deutlich über 2 Prozent klettern.
Aktien- und Credit-Märkte: Tiefstände noch einmal auf dem Prüfstand
Die Analysten von Raiffeisen Research rechnen damit, dass die Liquiditätshilfen der Notenbank vorerst nicht
verhindern können, dass die Aktienmärkte und auch wesentliche Marktsegmente der Unternehmensanleihen
in den ersten Monaten 2012 von fallenden Kursen geprägt sein werden.
Hauptthema an den Aktienmärkten der Eurozone wird ihrer Meinung nach auch in den kommenden Monaten die Staatsverschuldungskrise
sein. „Nach wie vor sind die diesbezüglichen Probleme nicht gelöst. Solange es hierzu weiterhin kein
wirklich entschlossenes Handeln von Seiten der Politik gibt, scheint es mehr als fraglich, ob sich die Aktienmärkte
nachhaltig erholen können“, erklärt Rechberger. Hinzu komme außerdem, dass vor dem Hintergrund
einer sich deutlich abschwächenden globalen Konjunktur zwangsläufig weitere negative Gewinnrevisionen
bei den Unternehmen anstehen. „Aufgrund dieser Faktoren sehen wir in den kommenden Monaten nur wenig Spielraum
für eine Stimmungsaufhellung an den Aktienmärkten der Eurozone, womit neuerliche Kursrückgänge
realistisch erscheinen.“
Bei US-Aktien sieht der Experte mehr dunkle Wolken als Lichtblicke und rät daher zum Verkauf: „Die Börsen
haben sich zwar schon ein Stück weit auf ein schwierigeres Umfeld eingestellt, und die vorhandene Liquidität
fließt auch in den Aktienmarkt – gerade für das erste Quartal 2012 erwarten wir aber noch einmal Kursrückgänge.“
„Die Margen befinden sich in Schwindel erregenden Höhen und die Gewinnschätzungen für Unternehmen
für die kommenden zwölf Monate sind immer noch nicht an das Konjunkturbild angepasst“, so Rechberger.
Er geht davon aus, dass sich die Risikobereitschaft daher vorerst nicht erhöhen wird, zusätzlich dürften
negative Meldungen von der Konjunkturfront und zur Bonität im Staatsanleihenbereich das Kursniveau dämpfen.
Rechberger erwartet, dass bei Unternehmensanleihen insbesondere der High Yield-Bereich stärker in Mitleidenschaft
gezogen werden dürfte als Anleihen von guter Qualität. „Sollte sich die Realisierung von Budgetsanierungen
beschleunigen, dürfte sich das Stimmungsbild im Verlauf des Jahres 2012 wieder aufhellen und parallel zu den
Konjunkturvorlaufindikatoren für steigende Kurse sorgen“, erwartet Rechberger.
Asset Allocation: Übergewichtung qualitativ hochwertiger Anleihen
Da der Aktienmarkt wegen Sorgen um Konjunkturrückgänge von Vorsicht geprägt ist, haben die Experten
von Raiffeisen Research eine starke Positionierung im Anleihensegment vorgenommen. „Die Risikoaufschläge für
Länder mit nicht höchster Bonität haben sich zuletzt deutlich reduziert. Durch die konjunkturelle
Abkühlung und das erneute Aufflammen der Staatsschuldenproblematik in Europa könnten die Risikoaufschläge
wieder rapide ansteigen“, erklärt Brezinschek. „Qualitativ hochwertige Anleihen liefern zwar nur noch geringe
Renditen, sollten sich aber bei einer neuerlichen Zuspitzung der europäischen Staatsschuldenkrise und weltweiten
Notenbankmaßnahmen zur Konjunkturstützung als gutes Investment erweisen. Unser Portfolio setzt sich
aus 40 Prozent Aktien, 5 Prozent Immobilien und 55 Prozent Anleihen mit einem ausgeprägten Geldmarktanteil
zusammen.“ |