Soziologe der Uni Graz untersucht Methode der Trendforschung
Graz (universität) - Welche Trends und Entwicklungen das kommende Jahr formen und beherrschen
werden, ist Ende Dezember traditionell ein vieldiskutiertes Thema. Was oft reine Zukunftsmusik ist, lässt
sich jedoch mit einer wissenschaftlichen Methode schätzen – mit der „Delphi-Befragung“. Mag. Christian Dayé
vom Institut für Soziologie der Karl-Franzens-Universität Graz hat die Entwicklung dieses Verfahrens
nachgezeichnet und wurde dafür heuer mit dem Preis des Theodor-Körner-Fonds für vielversprechende
wissenschaftliche Arbeiten ausgezeichnet.
„Diese Methode, benannt nach dem Orakel aus der griechischen Antike, avancierte zu einer der bedeutendsten Techniken
der Zukunftsforschung oder Futurologie“, erklärt Dayé. Sie wurde an der amerikanischen Denkfabrik „RAND-Corporation“
in den 1950er Jahren entwickelt und erfuhr eine erste Blütezeit während des Kalten Krieges. „Das Gegenüber,
seine Denk- und künftigen Verhaltensweisen abschätzen zu können, wurde damals zu einer existenziellen
Angelegenheit“, so der Forscher. Die Futurologie sollte die gesellschaftliche Nachfrage nach Orientierungswissen
stillen.
Das Delphi-Verfahren wird vorrangig bei fiktiven Fragestellungen eingesetzt. So befasste sich die erste Delphi-Studie
mit einem aus damaliger Sicht vorstellbaren Atomerstschlag der Sowjetunion gegen die USA. Kernstück der Methode
ist das Sammeln und Gegenüberstellen einzelner Prognosen von ExpertInnen, die ihre Einschätzungen samt
sachlicher Begründung anonym abgeben. Die ExpertInnen dürfen angesichts der Einschätzung der anderen
ihre Meinung so lange ändern, bis sich eine weitgehende Übereinstimmung herausbildet. Doch was, wenn
sich keine Übereinstimmung ergibt? Dayé erklärt: „Die Erkenntnisse der Delphi-Methode sind letztlich
nichts anderes als die Summierung von Meinungen und haben daher mit einem traditionellen, engen Verständnis
von Wissenschaft relativ wenig gemein.“
Obwohl auch die Methode hinterfragt werden sollte – etwa wie viel der Konvergenz erst durch die Vorgehensweise
selbst, also durch das wiederholte Fragen, produziert wird – kann sie dennoch als grober Leitfaden für Trends
und Entwicklungen gesehen werden, so der Forscher, der aber gleichzeitig zur Vorsicht mahnt: Eine im Jahr 1963
für das Jahr 1985 vorausgesagte erste bemannte Marslandung hat beispielsweise bis heute nicht stattgefunden.
Dayé: “Wissenschaft ist eben kein Orakel.“ |