Astronomen vermessen unter Beteiligung der Universität Bonn die Verteilung der Dunklen Materie
im Universum
Bonn (idw) - Erstmals hat ein internationales Team von Astronomen unter maßgeblicher Beteiligung
der Universität Bonn die geheimnisvolle Dunkle Materie im Universum großräumig vermessen. Dabei
entdeckten die Wissenschaftler ein riesiges kosmisches Netz aus Dunkler Materie und Galaxien, das eine Fläche
von mehr als einer Milliarde Lichtjahre umspannt. Die Ergebnisse sind jetzt auf dem Treffen der Amerikanischen
Astronomischen Gesellschaft in Austin/Texas (USA) vorgestellt worden.
Bei der Dunklen Materie handelt es sich um einen mysteriösen „Sternenkitt“, der aufgrund seiner Massenanziehung
etwa die Sterne in schnell rotierenden Galaxien zusammenhält. Wäre dies nicht der Fall, müssten
die Himmelskörper aufgrund der Fliehkraft auseinanderdriften. Sehen kann man die rätselhafte Substanz
jedoch nicht, weil sie kein sichtbares Licht oder andere Strahlung aussendet. Daher erhielt sie auch ihren Namen:
Dunkle Materie.
Das internationale Team unter Leitung von Dr. Catherine Heymans (Universität Edinburgh), Prof. Ludovic van
Waerbeke (University of British Columbia), Prof. Yannick Mellier (IAP Paris) und Dr. Thomas Erben (Universität
Bonn) hat erstmals die Verteilung der Dunklen Materie über große Bereiche des Himmels vermessen. Die
Wissenschaftler präsentierten jetzt auf einem Treffen der Amerikanischen Astronomischen Gesellschaft in Austin/Texas
(USA) erste Ergebnisse dieses umfangreichen Projekts zur direkten Kartographie der Materie unseres Universums.
„Die Beobachtungen bestätigen die Resultate aus numerischen Simulationen“, sagt Dr. Thomas Erben vom Argelander-Institut
für Astronomie der Universität Bonn. „Die dunkle Materie bildet ein weitverzweigtes »kosmisches
Netz«.“ An den Knotenpunkten dieses Netzes befinden sich die massereichsten Objekte im Universum, die Galaxienhaufen.
„Die räumliche Verteilung der Dunklen Materie liefert den Ausgangspunkt für das Verständnis ihrer
physikalischen Natur“, sagt Dr. Erben.
Forscher nutzen den Gravitationslinseneffekt
Um der unsichtbaren Dunklen Materie auf die Spur zu kommen, bedienten sich die Forscher des Gravitationslinseneffektes,
der auf Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie beruht. Einstein erkannte, dass die Raumzeit durch
große Massen verbogen wird, wodurch Licht oder andere Strahlen scheinbar wie durch eine Linse abgelenkt werden
– gewissermaßen Licht auf Abwegen. Da die Dunkle Materie über eine große Massenanziehung verfügt,
macht sie sich durch die Verkrümmung von Lichtstrahlen anderer Himmelsobjekte – etwa von weit entfernten Milchstraßen
– bemerkbar. „Eine systematische Analyse des Linseneffekts auf großräumigen Skalen erlaubt uns somit
direkte Rückschlüsse auf die Materieverteilung“, sagt Dr. Erben. „Es ist faszinierend, die Dunkle Materie
mit Hilfe der Raumkrümmung direkt »sehen« zu können'', sagt Prof. van Waerbeke.
Teleskop in 4.200 Metern Höhe auf Hawaii
Die Forschungsarbeiten zum Projekt „Canada France Hawaii Telescope Lensing Survey“ (CFHTLenS) nutzen Daten,
die über fünf Jahre am Canada-France-Hawaii Teleskop aufgenommen wurden. Es befindet sich in 4.200 Meter
auf dem Mauna Kea auf Hawai und empfängt optisches sowie Infrarot-Licht. „Diese Himmelsdurchmusterung hat
einen Gesamtumfang von rund 700 mal der Fläche des Vollmonds und erforderte umfangreiche Analysen von etwa
sieben Millionen Galaxien in verschiedenen Farbfiltern“, erläutert Dr. Erben.
Das Argelander-Institut für Astronomie war im CFHTLenS-Projekt federführend in der Bildbearbeitung. Unter
Leitung von Dr. Thomas Erben wurde innerhalb der Forschergruppe von Prof. Dr. Peter Schneider die riesige Datenmenge
von rund 20 Terabyte in fünfjähriger Arbeit analysiert. Dies entspricht dem Speichervermögen von
rund 4.000 DVDs.
Noch umfangreicheres Projekt hat bereits begonnen
Die nun erfolgte großräumige Kartierung der Dunklen Materie im Universum ist nur ein erster Schritt.
„Dieser bisher einzigartige Datensatz erlaubt detaillierte Schlussfolgerungen über die Expansionsgeschichte
unseres Universums und die Massenverteilung von Galaxien'', kommentiert Dr. Erben. Dadurch kann zum Beispiel die
mittlere Dichte der Dunklen Materie im Universum bestimmt werden.
Ein noch umfangreicheres Nachfolgeprojekt wurde im September 2011 begonnen. Mit dem neu errichteten VLT Survey
Telescope der Europäischen Südsternwarte in Chile soll innerhalb von drei Jahren eine etwa zehn Mal größere
Region des Himmels als im CFHTLenS-Projekt untersucht werden. Auch bei diesem internationalen Projekt ist die Bonner
Gruppe führend beteiligt. „Dieser Kilo Degree Survey wird eine völlig neuartige Qualität für
die Untersuchung der Beziehungen zwischen der Dunklen Materie und den sichtbaren Galaxien im Universum bieten'',
erwartet Dr. Peter Schneider, Professor am Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn. |