Charité-Wissenschaftler entschlüsseln Mechanismus zur Verhinderung des programmierten
Zelltods von Nervenzellen
Berlin (idw) - Sauerstoff und Glukose sind die Nahrung unseres Gehirns. Fehlen sie, sterben die Nervenzellen
ab, wie zum Beispiel beim Schlaganfall. Einen neuen Mechanismus, um dies zu verhindern, entdeckte nun ein internationales
Forscherteam der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der kanadischen McMaster Universität.
Die Ergebnisse der Studie wurden jetzt in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of
the USA veröffentlicht.
Ein kurzfristiger Sauerstoffentzug kann für Zellen im menschlichen Körper wie ein Training wirken. Sie
überleben dadurch einen längeren Sauerstoffentzug besser – sie sind sozusagen vorbereitet. Zudem ist
bekannt, dass bei Sauerstoffmangel auch der Zuckerstoffwechsel beeinflusst wird. Der Zuckerstoffwechsel und das
programmierte Absterben einer Zelle wurden bisher jedoch als voneinander getrennte Abläufe betrachtet. Die
Forschergruppe um die beiden Wissenschaftler Philipp Mergenthaler und Andreas Meisel, die im Exzellenzcluster NeuroCure
an der Charité zusammenarbeiten, erklären nun den Zusammenhang dieser beiden Vorgänge. Ein Schlüsselenzym
des Zuckerstoffwechsels, die sogenannte Hexokinase II, reguliert das Überleben der Zelle. Dieses Enzym verändert
den Zucker-Nährstoff Glukose so, dass er von der Zelle verwendet werden kann. Die Forscher fanden heraus,
dass das Enzym in den Nervenzellen des Gehirns bei Sauerstoffmangel aktiviert wird. Dies passiert beispielsweise
beim Schlaganfall, einer Durchblutungsstörung des Gehirns, wodurch das Gehirn zu wenig Sauerstoff und Nährstoffe
erhält. Hier übernimmt das Enzym eine schützende Funktion. „Dieser Selbstschutz der Nervenzelle
stellt eine wichtige Grundlage für weitere Forschungen dar, aus der beispielsweise eine optimierte Schlaganfalltherapie
entwickelt werden könnte“, so Meisel.
Die molekularen Mechanismen des Sauerstoffmangels und ein veränderter Zellstoffwechsel spielen jedoch nicht
nur beim Schlaganfall eine Rolle, sondern sind unter anderem auch für die Tumorentstehung und die Abwehr von
Infektionen durch das Immunsystem von großer Bedeutung. So wird das besagte Enzym beispielsweise für
die Veränderung des Zuckerstoffwechsels bei bösartigen Tumoren mitverantwortlich gemacht. Es kann aber
auch den Zelltod verursachen, und zwar dann, wenn bei normalem Sauerstoffangebot ein Glukosemangel in der Zelle
herrscht. „Das Verständnis des grundlegenden Mechanismus, wie der Zuckerstoffwechsel den Zelltod reguliert,
könnte daher einerseits zum Schutz vor Schlaganfall und andererseits zum gezielten Zelltod bei bösartigen
Tumorerkrankungen genutzt werden“, erklärt Mergenthaler. Der Mechanismus, wie der Zuckerstoffwechsel den programmierten
Zelltod regulieren kann, erweitert daher grundlegend das medizinische Verständnis einer Vielzahl von Erkrankungen.
Originalpublikation: Mergenthaler P, Kahl A, Kamitz A, van Laak V, Stohlmann K, Thomsen S, Klawitter H, Przesdzing
I, Neeb L, Freyer D, Priller J, Collins TJ, Megow D, Dirnagl U, Andrews DW, Meisel A. Mitochondrial Hexokinase
II (HKII) and phosphoprotein enriched in astrocytes (PEA15) form a molecular switch governing cellular fate depending
on the metabolic state. Proc Natl Acad Sci USA 2012; published ahead of print January 10, 2012. doi: 10.1073/pnas.1108225109
NeuroCure wird als Exzellenzcluster im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder gefördert.
Im Rahmen des seit 2007 geförderten Forschungsverbundes wird neurowissenschaftliche Grundlagenforschung und
klinische Anwendung eng vernetzt betrieben, um neue Erkenntnisse zur Funktion des Nervensystems und dessen Erkrankungen
in effektive Therapien übertragen zu können. |