Sozialgespräche: Armutsgefährdung vermeiden   

erstellt am
02. 02. 12

Bozen (lpa) - Das Sicherungssystem „Arbeitsplatz“, das bisher Einkommen und ein würdiges Leben garantierte, schützt nun oft nicht mehr davor, in die Armut abzurutschen. Im Zeichen von Arbeit und Armut stand daher die Runde der Sozialgespräche am 01.02. in der Handelskammer Bozen. Sozial- und Familienlandesrat Richard Theiner, Handelskammerpräsident Michl Ebner und der Vorsitzende der Gewerkschaft CGIL-AGB Lorenzo Sola diskutierten mit dem Publikum darüber, wie der auch in Südtirol immer stärker verbreiteten Armutsgefährdung entgegenzusteuern ist.

Allgemeines Ziel der Sozialgespräche, die jährlich stattfinden, ist das Finden gemeinsamer Lösungen für die künftigen sozialpolitischen Weichenstellungen. Das gestrige Sozialgespräch nahm die Unternehmer mit ins Boot, um Vorschläge gegen die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten auszuarbeiten.

Alle Teilnehmer stimmten überein, dass sich die Kluft zwischen Arm und Reich gefährlich erweitert und so soziale Spannungen entstehen können. Fast 18 Prozent der Südtiroler Haushalte sind laut einer ASTAT-Studie armutsgefährdet, sagte Soziallandesrat Theiner. „Sozialleistungen senken zwar die Armutsquote in Südtirol um 7,4 Prozent, das sind rund 14.700 Haushalte; allerdings kann Sozialhilfe nicht der Lösung letzter Schluss sein. Die Sozialhilfe hat die Aufgabe, in Notsituationen eine schnelle Hilfe zu bieten“, analysierte Soziallandesrat Theiner.

Für nachhaltige Lösungen müsse laut Theiner strukturelle Maßnahmen ergreifen wie Zusatzverträge in der Arbeitswelt und ein gerechteres Steuersystem. Eine größtmögliche Steuerhoheit für Südtirol könnte daher einige Missstände korrigieren, so Theiner.

Das geplante Familienförderungsgesetz wird laut Landerat verschiedene abfedernde Maßnahmen zugunsten der Familien setzen und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf schaffen. „Zudem arbeiten wir an einem bedarfsgerechten Mindestsicherungssystem, das verschiedene Leistungen bündelt, damit nicht wie bisher unterschiedliche Akteure wie Staat, Region, Land und andere öffentliche Körperschaften voneinander losgekoppelt Leistungen verteilen“, erklärte Theiner.

Auf die zentrale Rolle des Arbeitsplatzes für Einkommen und Wohlstand wies Handelskammerpräsident Michl Ebner hin. Viele Arbeitsplätze seien während der Wirtschaftskrise verloren gegangen und gerade gering Qualifizierte hätten dies mit voller Wucht zu spüren bekommen, erläuterte Ebener. Im Sinne einer sozialen Verantwortung könnten Unternehmen einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie offen gegenüber Personen mit Einschränkungen sind, auf gesunde Arbeitsplätze achten und eine lebenslange Weiterbildung der Mitarbeiter unterstützen, so der Handelskammerpräsident. Ebner unterstrich, dass nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Unternehmer von Armut betroffen sein können. Vorrangig sei es, die Ursachen der Armut zu bekämpfen, nicht nur die Auswirkungen, betonte Ebner.

Verstärkte Anstrengungen bei der Wiedereingliederung von über 50-Jährigen, Frauen, Einwanderern und Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt forderte der AGB-Generalsekretär Lorenzo Sola. Zudem machte er die aktuelle Wohnbaupolitik, die stark auf Eigentumswohnung abziele und damit Spekulationen anfeuerte, als einen der Faktoren für die Armutsgefährdung aus. „Familien der Mittelschicht sind oft gezwungen, die Hälfte ihres Einkommens für die Rückzahlung von Wohnungsdarlehen auszugeben“, sagte Sola. Der Bau von leistbaren Mietwohnungen könnte seiner Meinung nach das Problem lindern.

Aus dem Publikum kamen zahlreiche Hinweise, wo derzeit der Schuh drückt, von den niedrigen Renten über die Forderung nach einfacheren bürokratischen Prozeduren bis hin zum gleichen Zugang für alle zu Arbeitsplätzen und Wohnungen.

Einig war man sich am Ende, dass der Dialog zwischen den Sozialpartnern im Rahmen der Sozialgespräche eine sehr nützliche Plattform sei, um bedenkliche Entwicklungen zu orten und mögliche Lösungen in einem breiten Umfeld anzureißen und auch verschiedene soziale Kräfte mit in den Dialog einzubinden.
     
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