Wien (idw) - Wissenschafter der Universität Wien und des National Astronomy Observatory of China (NAOC)
der Chinesischen Akademie der Wissenschaften modellieren die Entstehung einer Galaxie am Computer. Im Rahmen des
Projekts wurde erstmals ein numerischer Code zur Simulation von Galaxien entwickelt. Das ist eine unglaublich komplexe
Aufgabe, die immense Rechenleistungen erfordert. Unterstützt werden sie dabei von einem der weltweit größten
Rechen-Cluster für Graphical Processing Units (GPU) in Beijing und vom schnellsten Rechner Österreichs,
dem Vienna Scientific Cluster.
Das Leben und die Wechselwirkung von Galaxien mit ihrer Umgebung sind Gegenstand eines Projekts in "Computational
Astrophysics", das im Rahmen des Austauschprogramms für Wissenschaftlich-Technische Zusammenarbeit (WTZ)
vom Österreichischen Austauschdienst (OeAD) und dem chinesischen Ministerium für Wissenschaft und Technologie
durchgeführt wird. Leiter des Forschungsvorhabens sind der Astrophysiker Gerhard Hensler von der Universität
Wien und sein Kollege in China, Rainer Spurzem vom NAOC der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Beijing
(zeitweise auch Universität Heidelberg). Darüber hinaus ist Weipeng Lin, Professor am NAOC in Shanghai,
ein weiteres Institut der Akademie, Partner. Im Rahmen des Kooperationsprojekts "High-Performance Computational
Astrophysics" wird die Entwicklung und Anwendung eines "chemo-dynamischen Mehr-Phasen smoothed particle
hydrodynamic Code" (cdSPH) auf die Entstehung und Entwicklung von Zwerggalaxien durchgeführt. Das erfordert
Berechnungen auf Hochleistungscomputern und gegenseitige Kooperationsbesuche.
Die Dimensionen der astronomischen Objekte – Sterne und Galaxien –, die in der Gruppe um Gerhard Hensler, Dekan
der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie der Universität Wien, erforscht werden,
sind für das normale menschliche Vorstellungsvermögen schwer fassbar. Alleine die Milchstraße,
die "Heimatgalaxie" unseres Planetensystems, misst im Durchmesser rund 100.000 Lichtjahre und beherbergt
100 Milliarden Sterne und wahrscheinlich zig Millionen Planetensysteme wie das unsere. "Die einzige Möglichkeit
Galaxien und ihre permanenten Veränderungsprozesse zu beschreiben, ist die Simulation bzw. Modellierung am
Computer. Und diese wollen wir im Zuge der neuen Kooperation mit China optimieren", erklärt Hensler.
Die numerische Behandlung einer Galaxie
Als Ausgangspunkt dienen Objekte im All, die nur durch Teleskope betrachtet werden können. Diese Beobachtungen
werden am Computer "nachgebaut", um beide – Realität und Modell – miteinander zu vergleichen. Hierzu
ist es notwendig, die Komponenten der Galaxien, Gas, Sterne und – falls existent – Dunkle Materie, so detailliert
wie möglich zu beschreiben. So findet man Sterne im Bereich von ein Zehntel bis zu rund dem Hundertfachen
der Sonnenmasse und mit Lebensdauern von 10 Mio. Jahren bis (eigentlich) über das Alter des Universums hinaus,
also 13,7 Mrd. Jahre. Die "kurzlebigen" Sterne explodieren als Supernovae und werfen dabei über
90 Prozent ihrer Masse in das Universum zurück.
Sterne wiederum entstehen aus einer kühlen Komponente des Gases, auch interstellares Medium genannt, das den
Raum zwischen den Sternen ausfüllt. Dabei erreicht es z.T. Dichten, wo sich nur ein Atom in einem Kubikmeter
des Raumes befindet, also 0,(mit 26 Nullen)16 kg, wohingegen unsere Atmosphäre an der Erdoberfläche rund
1 kg pro Kubikmeter besitzt. Darüber hinaus schwanken die Temperaturen des interstellaren Mediums von 10 Kelvin,
also knapp oberhalb des absoluten Nullpunkts bei -273 Grad Celsius, bis zu mehreren 10 Mio. Grad Celsius.
Modellierung von Galaxien
Da eine Galaxie von ihrer Umgebung beeinflusst wird, also mit anderen Galaxien wechselwirkt oder extragalaktisches
Gas einfängt, muss in numerischen Simulationen eine Dimension von weit mehr als 100.000 Lichtjahren "überschaut"
werden, während die Sternentstehung in "kleinen" Gaswolken von wenigen bis zu zig Lichtjahren Durchmessern
vorkommt. "Galaxien sind unglaublich komplexe Systeme. Zuerst bereiten wir die Galaxienbedingungen für
den Computer vor. Dazu zerteilen wir sie in ihre Komponenten, repräsentiert durch Millionen von Massenpaketen,
dann geben wir die sie beeinflussenden inneren und äußeren Kräfte und Prozesse ein, wie etwa Gravitation,
Abkühlung, Erwärmung oder Gaszusammensetzung und die Wechselwirkungen zwischen ihnen, wie Sternentstehung
und stellaren Massenverlust. Anschließend werden die Bereiche oder Teilchen für einen begrenzten Zeitschritt
auf die Prozessoren des Computers verteilt, entsprechend den Kräften und Prozessen durchgerechnet und danach
mit allen anderen wieder verbunden. Dadurch werden die globalen Einflüsse der einzelnen Bereiche ermittelt,
bevor alles wieder parallel auf die Prozessoren verteilt wird. Der jeweilige Status des Modells ist während
des Rechenvorgangs jederzeit abrufbar. Am Schluss steht das fertige Modell der Entwicklung einer Galaxie",
so Astrophysiker Hensler.
Vienna Scientific Cluster (VSC)
Der Vienna Scientific Cluster, der schnellste Rechner Österreichs, wird von der Gruppe um Hensler für
große Modellrechnungen mit hoch-parallelisierten Gitterverfahren genutzt und "ist in allen seinen bisherigen
Ausbaustufen eine immense Hilfe bei der Bewerkstelligung von High-performance Computing (HPC)". Der Supercomputer
wurde im Herbst 2009 von der Universität Wien, der Technischen Universität und der Universität für
Bodenkultur in Betrieb genommen, 2011 wurde die Ausbaustufe VSC2 eröffnet.
"In den Grafikkarten normaler PCs befinden sich allerdings auch bereits sehr leistungsfähige Prozessoren,
sogenannte Graphical Processing Units (GPU), die zwar weniger 'intelligent' sind, beim Zusammenfassen zu einem
Cluster aber unschlagbar schnell", so Hensler.
Zusätzliche Rechenleistung in China
Am National Astronomical Observatory of China (NAOC) der Chinese Academy of Sciences (CAS) in Beijing wurde 2009
einer der schnellsten GPU-Cluster mit 171 GPUs (bei 1.368 sogenannten Threads) für nur rund 5 Mio. Yuan installiert,
der 2011 für seine Leistung von 50 Teraflops (das sind 50.000 Mrd. floating-point Operationen pro Sekunde)
mit dem "PRACE Award of the International Supercomputing Conference ISC11" ausgezeichnet wurde. Zusätzlich
haben die projektbeteiligten Wissenschafter aus Beijing Zugriff auf das Mole-8.5-System am Institute of Process
Engineering (IPE, CAS) mit über 2.000 GPUs, die eine Leistung im Petaflop-Bereich erzielen. |