An der TU Wien wurden Pilze mit zusätzlichen Fremd-Genen erzeugt: Sie produzieren nun pharmakologische
Substanzen aus Krabbenschalen.
Wien (tu) - Schimmelpilze sind normalerweise eher kein Grund zur Freude – doch nun können sie
als „chemische Fabriken“ eingesetzt werden: An der Technischen Universität Wien gelang es, Gene von Bakterien
in Pilze der Gattung Trichoderma einzubringen, sodass die Pilze nun in der Lage sind, wichtige Chemikalien für
die Arzneimittelerzeugung herzustellen. Der Rohstoff, den die Pilze dafür brauchen, ist reichlich vorhanden:
Chitin, aus dem zum Beispiel die Panzer von Krustentieren aufgebaut sind. Die neue Methode konnte bereits zum Patent
angemeldet werden.
Fünfzig mal teurer als Gold
Bei viralen Infekten wie etwa der Influenza werden häufig Virustatika eingesetzt, die eine Verbreitung des
Virus im Organismus verhindern sollen. Diese Medikamente sind oft Derivate der N-Acetylneuraminsäure (kurz:
NANA), die heute aus natürlichen Ressourcen gewonnen oder chemisch hergestellt wird – allerdings ist NANA
fünfzig mal teurer als Gold: Die Chemikalie kostet etwa 2000 Euro pro Gramm. Ein Forschungsteam der TU Wien,
geleitet von der Biotechnologin Astrid Mach-Aigner, machte sich daher auf die Suche nach einer neuen umweltfreundlichen
Herstellungsmethode für NANA, und dieses Ziel wurde nun erreicht.
Entscheidend dafür war das umfangreiche Wissen über die Genetik der Trichoderma-Pilze, das man am Institut
für Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und Technische Biowissenschaften der TU Wien schon seit Jahren gesammelt
hatte. Neben einem Team dieses Instituts (R. Gorsche, A. Mach-Aigner, R. Mach, M. Steiger) war auch das Institut
für Angewandte Synthesechemie (M. Mihovilovic) und das Institut für Chemische Technologien und Analytik
(E. Rosenberg) an dem durch den FWF geförderten Projekt beteiligt.
Bakterien-Gene für den Schimmelpilz
Der Schimmelpilz Trichoderma ist weit verbreitet: Er kommt in Böden, Wald und Wiesen vor. „Wir wussten, dass
Trichoderma Chitin abbauen kann – genau das macht der Pilz im Boden mit Chitin“, erklärt Astrid Mach-Aigner.
Dadurch war Trichoderma ein vielversprechender Kandidat für das Forschungsprojekt. Um den Pilz allerdings
dazu zu bringen, das gewünschte chemische Endprodukt zu erzeugen, musste man ihm noch Gene einbauen, die in
Bakterien vorkommen. „Normalerweise baut Trichoderma das Chitin zu monomeren Aminozuckern ab“, sagt Mach-Aigner.
Durch die neuen Gene kommt es nun zu zwei weiteren chemischen Reaktionsschritten – und am Ende entsteht der gewünschte
Arzneimittelrohstoff N-Acetylneuraminsäure.
Chitin als Bio-Rohstoff
Chitin ist nach Zellulose der zweithäufigste Bio-Polymer der Erde. Er kommt in Panzern von Krebsen und Insekten,
aber auch in Schnecken und Kopffüßern sowie in der Zellwand von Pilzen vor. Man schätzt, dass allein
im Meer jährlich zehn Milliarden Tonnen Chitin gebildet werden – einige hundert mal mehr als das Körpergewicht
der gesamten Menschheit. Chitin ist also ein nachhaltiger nachwachsender Rohstoff für chemische Syntheseprozesse.
Der neu entwickelte Trichoderma-Stamm kann nun in Bio-Reaktoren kultiviert werden und dort Chitin in die wertvolle
Säure umwandeln. Das Verfahren wurde von der TU Wien bereits patentiert und soll nun für eine billigere
und umweltfreundliche Produktion von pharmakologischen Substanzen im industriellen Maßstab eingesetzt werden. |