Aspern bleibt Stadtrand   

erstellt am
07. 02. 12

Wie oft muss man abbiegen, um von A nach B zu kommen? Nach diesem Kriterium wurde an der TU Wien die städtebauliche Qualität der geplanten Seestadt Aspern untersucht.
Wien (tu) - „Ich wohne hier ums Eck, und der Supermarkt ist gleich zwei Straßen weiter.“ Wenn wir Wege beschreiben, reden wir oft nicht von einer Entfernung in Metern - viel wichtiger ist uns, wie kompliziert das Ziel zu erreichen ist. Von dieser Grundidee ging die Verkehrswissenschaftlerin Gerda Hartl von der TU Wien aus, als sie am Institut für Digital Architecture and Planning (IEMAR) der TU Wien das Straßennetz von Wien untersuchte. Sie studierte auch den Masterplan der Seestadt Aspern, die im 22. Wiener Gemeindebezirk entstehen soll. Zu einem echten Zentrum, das man als lokalen Knotenpunkt des öffentlichen Lebens empfindet, wird sich der neugeplante Stadtteil wohl nicht entwickeln, vermutet Gerda Hartl.

Zentrum und Peripherie
Wenn wir einige hundert Meter durch verwirrende, verwinkelte Gassen streifen, haben wir das Gefühl, weit vom Ausgangspunk entfernt zu sein. Dieselbe Strecke auf breiten, gut überblickbaren Boulevards nimmt man als kurzen Spaziergang wahr. „Es ist daher interessant, nicht nur Entfernungen zwischen zwei Punkten zu messen, sondern zu zählen, wie oft man auf dem Weg von A nach B abbiegen muss“, erklärt Gerda Hartl. Ihre Kollegin Claudia Czerkauer hatte an der TU Wien ebenfalls mit dieser Methode gearbeitet: Alle Straßen Wiens wurden in geradlinige Abschnitte eingeteilt, und die durchschnittliche Anzahl der Weg-Stücke von einem Punkt zu allen anderen Punkten im Wiener Stadtgebiet wurde ermittelt. So berechnet man eine „verkehrstechnische Mitte der Stadt“, von der man rasch in die meisten anderen Regionen der Stadt gelangt. Wenig überraschend zeigt sich, dass die Mitte Wiens im ersten Bezirk liegt – doch auch die Gegend westlich davon bis nach Ottakring kann als verkehrstechnisch !
sehr
zentral betrachtet werden. Der neu entstehende Stadtteil in Aspern steht in dieser Bewertung nicht besonders gut da. „Das wäre in dieser Randlage auch gar nicht möglich – so gut lässt sich diese Region einfach nicht an das Zentrum anbinden“, meint Gerda Hartl.

Lokal wichtige Verkehrsadern
Nicht nur die Zentrumslage innerhalb der Stadt lässt sich auf diese Weise in Zahlen fassen, man kann auch abschätzen, wie wichtig eine Straße für die unmittelbare, lokale Umgebung ist. „Wir berechnen, wie viele andere Straßen man von dort auf einfache Weise erreichen kann – zum Beispiel durch zweimal Abbiegen“, erklärt Gerda Hartl. Die Gesamtzahl der Nachbarstraßen und deren Nachbarstraßen sind dann ein Hinweis darauf, ob eine Straße als lokales Zentrum empfunden wird und Fußgängerströme anzieht. Straßenabschnitte mit vielen Quergassen – etwa die langen, geraden Bereiche der Mariahilferstraße – werden als wichtige Verkehrsadern empfunden, abgeschlossene Sackgassen sicher nicht – selbst wenn es dort wichtige Wohn- und Einkaufsmöglichkeiten gibt. Nach diesen Kriterien untersuchte Gerda Hartl die Pläne für die Seestadt Aspern.

„Auch bei dieser lokalen Bewertung schneiden die Pläne für die Seestadt Aspern nicht besonders gut ab“, meint Gerda Hartl. „Die geplante Seepromenade ist eine gebrochene Linie – sie wirkt daher verwinkelt, abgelegen und schwer erreichbar.“ Als natürliches lokales Zentrum (wie etwa Kärntnerstraße, Stephansplatz und Graben im ersten Bezirk) wird man diese Promenade in Aspern also wohl nicht empfinden – zumindest, wenn es nach Gerda Hartls Computersimulationen geht. Auch andere Straßenzüge in Aspern, die dort übergeordnete lokale Bedeutung bekommen sollten, sammeln in der
Computerberechnung nur wenige Pluspunkte.

Über Wohn- und Lebensqualität im neuen Stadtteil sagt das freilich noch nicht viel aus – schließlich kann man sich auch in einer Straße wohlfühlen, die kein zentrales Flair hat. Eines steht fest: Am Schreibtisch einen Masterplan zu entwerfen, der einer natürlich gewachsenen städtischen Struktur nahekommt, ist nicht einfach. Ob eine Straße, ein Platz, ein Stadtteil als Zentrum des öffentlichen Lebens angenommen wird, entscheiden letztlich weder Masterpläne noch Computerprogramme, sondern allein die Menschen, die dort wohnen werden.
     
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