Erdbebensicherheit historischer Gebäude berechnen   

erstellt am
05. 03. 12

Innsbruck (universität) - Das Erdbebenrisiko wurde in Österreich bis vor relativ kurzer Zeit unterschätzt. Der verstärkte Ausbau von Gründerzeithäusern in Ballungszentren macht es heute aber notwendig, die Erdbebensicherheit historischer Gebäude zu kennen. Wissenschaftler der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck entwickelten ein Rechenmodell, das die plastischen Tragreserven dieser Gebäude aufzeigt. Berechnet werden diese Daten am neuen Supercomputer MACH.

Mittels normaler statischer Methoden ist in vielen Fällen der Nachweis der Erdbebensicherheit historischer Gebäude nicht möglich. Da das Wiener Becken aufgrund zahlreicher Untersuchungen als eine der seismisch aktivsten Regionen Österreichs eingestuft wurde, rückte diese aber vermehrt ins Zentrum des Interesses. Auch die Einführung einer EU-Norm (Eurocode 8) zur Risikoeinschätzung der seismischen Gefährdung von Bauwerken in Österreichs Ballungszentren hat die Lage verändert. „Die Erdbebensicherheit hat sich beim Umbau von historischen Bauwerken sehr oft zum entscheidenden Kosten- und Planungsfaktor entwickelt“, erklärt Prof. Christoph Adam vom Arbeitsbereich Angewandte Mechanik am Institut für Grundlagen der Bauingenieurwissenschaften der Universität Innsbruck. „Diese Tatsache erwies sich in Wien vor allem beim Dachgeschoßausbau von Gründerzeithäusern als Problem.“ Im Rahmen des Forschungsprojekts SEISMID, das vom ZIT, der Technologieagentur der Stadt Wien, gefördert wurde, entwickelte er mit seinem Team ein Rechenmodell, das die plastischen Tragreserven dieser Gebäude nachweisen kann. „Mit den Ergebnissen solcher Berechnungen können sich Bauherren unter Umständen teure Baumaßnahmen zur Steigerung des seismischen Widerstands ersparen“, so Adam.

Umfangreiche Materialtests
Um Materialkennzahlen für die historische Bausubstanz zu entwickeln, entnahmen die Innsbrucker Bauingenieure Mauerwerksproben und unterzogen diese verschiedenen Tests. „Diese Materialkennzahlen gab es vor unseren Untersuchungen nicht, da solche Gebäude noch aus Vollziegeln bestehen, welche wiederum andere Eigenschaften als die heute verwendeten Hohlziegel haben“, beschreibt Prof. Adam. Die gewonnenen Kennzahlen implementierten die Wissenschaftler dann in ein eigens für diese Gebäudeart adaptiertes Rechenmodell. „Diese Methode ermöglicht es uns, das nicht lineare Tragverhalten dieser alten Gründerzeitmauern zu berechnen und ihre für die Einschätzung der Erdbebensicherheit nötigen plastischen Tragreserven zu identifizieren“, so Adam.

Supercomputer ermöglicht komplexe Berechnungen
Im Rahmen des vierjährigen Projektes SEISMID, das 2011 für den Österreichischen Staatspreis nominiert wurde, ist das Rechenmodell für jeweils eine repräsentative Wand – die schwächste lastabtragende Wand im Gebäude – getestet worden. „Unser weiteres Ziel ist es nun, ein ganzes Gebäude einschließlich des Stiegenhauses, der Holzdecken und der Zwischenwände zu simulieren, um zum einen unsere Methode zu verifizieren und zum anderen noch detailliertere Ergebnisse in Bezug auf die Erdbebensicherheit historischer Gebäude zu erhalten. Ohne den Supercomputer MACH wäre diese hochkomplexe Berechnung nicht möglich“, betont Prof. Adam

4.000fache Kapazität
Neben der Berechnung der Erdbebensicherheit von Gebäuden ermöglicht der Großrechner – ein Kooperationsprojekt zwischen der Johannes-Kepler-Universität Linz und der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck – zahlreichen weiteren Wissenschaftlern beider Universitäten die Möglichkeit, Spitzenforschung zu betreiben. Der Supercomputer findet beispielsweise in der Mathematik, der Mechatronik, der Meteorologie, der Volkswirtschaftslehre, der Biologie, der Pharmazie, der Physik und der Chemie Verwendung. 2.048 Prozessoren mit 2,66 Gigahertz Taktfrequenz sowie 16 Terrabyte Hauptspeicher erlauben dabei 21,3 Billionen Rechenoperationen pro Sekunde. Das entspricht in etwa der 4.000-fachen Kapazität eines PCs. Finanziert wurde der nach dem österreichischen Physiker und Philosophen Ernst Mach benannte Hochleistungsrechner aus Mitteln des Konjunkturpaketes II des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung.
     
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