Gesamter Medizinbereich des internationalen Projekts wird von Graz aus koordiniert
Graz (med uni) - Die Entwicklung eines speziellen Computermodells, eines "Virtuellen Patienten",
welches eine personalisierte Diagnose und Therapie ermöglicht, das ist das Ziel der EU-Großforschungsinitiative
ITFoM (IT Future of Medicine). Die Planungsphase wird bereits mit rund 1,5 Million Euro gefördert. Ende des
Jahres wird von der EU entschieden, ob das Pilotprojekt als "Flagship-Projekt" ausgewählt und dann
mit rund 1 Milliarde Euro über 10 Jahre gefördert wird.
Simulationen am Computermodell eines Patienten
Kein Mensch gleicht dem anderen. Nicht nur Aussehen und Charakter, sondern auch die biologischen Prozesse
in einer Zelle sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Will man die Wirksamkeit und Effizienz medizinischer
Therapien steigern, muss diese Tatsache berücksichtigt werden. Ein großes Bestreben der heutigen Medizin
ist es Patientengruppen zu definieren, bei denen ein Medikament entweder besonders gut oder überhaupt nicht
wirksam ist. Dieses Konzept berücksichtigt jedoch nur begrenzt die Komplexität der biologischen Vorgänge
und Umweltfaktoren, die in einem einzelnen Patienten letztlich den individuellen Krankheitsverlauf bestimmen.
Das Projekt ITFoM geht einen großen Schritt weiter und entwickelt mathematische Modelle, mit deren Hilfe
simuliert werden kann, wie ein Medikament bei einem individuellen Patienten wirkt. Durch ein Modell, welches auf
jedes Individuum optimal zugeschnitten ist und seine anatomischen, physiologischen und genetischen Eigenschaften
berücksichtigt, soll es möglich werden, Krankheiten auf einer individuellen Ebene zu verstehen und optimierte
Therapien zu finden. Mathematische Modelle benötigen sehr zuverlässige Daten um korrekte Aussagen zu
treffen. Aufgrund der enormen Fortschritte der Analysetechnik ist es möglich, dass die Sequenzierung eines
Genoms, die vor wenigen Jahren noch 50.000 Euro gekostet hat, schon bald Teil der medizinischen Routine wird. Aber
nicht nur die Gene geben Auskunft über uns. Auch Transkriptome (Gesamtheit aller in einer Zelle hergestellten
RNA-Moleküle), Proteome (Gesamtheit der in einer Zelle vorliegenden Proteine) und Metabolome (Gesamtheit aller
Stoffwechselprodukte in einer Zelle) zusammen mit klinischen Daten und Umweltfaktoren bilden die Grundlage für
ein an jeden Patienten spezifisch angepasstes Computermodell. Einige wenige dieser Faktoren werden heute schon
routinemäßig bestimmt, es fehlt jedoch die Integration in ein Gesamtmodell sowie Vergleichbarkeit und
Qualitätsstandards, wie sie für solch große Datenmengen notwendig sind. Im Rahmen des ITFoM Projektes
wird daher ein umfangreicher Referenzdatensatz bestehend aus allen oben beschrieben Daten erstellt, welcher in
Folge die Basis für alle weiteren Forschungstätigkeiten bildet. Die Erstellung dieses Referenzdatensatzes
wird von der Medizinischen Universität Graz koordiniert und wesentliche Teile der biologischen Proben und
Daten werden in Graz gesammelt und erstellt.
Partner aus 15 Ländern
An dem Projekt arbeiten derzeit 24 Kernmitglieder und 32 Kooperationspartner aus 15 Ländern. Das Team
hochrangiger Grundlagenforscher aus Europa und internationaler Industriepartner wird von Prof. Hans Lehrach, dem
Direktor des Max-Planck-Instituts für Molekulare Genetik in Berlin, koordiniert. Der gesamte Medizinbereich
des internationalen Projekts wird von der Med Uni Graz abgewickelt. Die Aufgaben in diesem Bereich umfassen die
Definition der medizinischen Anforderungen an die mathematischen Modelle, die Erstellung eines Referenzdatensatzes
und die Validierung der Ergebnisse in einem medizinischen Umfeld. Begleitend werden ethische und soziale Fragestellungen
sowie mögliche Auswirkungen auf das europäische Gesundheitssystems untersucht.
Ein Blick in die Zukunft
"War in der Vergangenheit die Physik ein treibender Motor in der Entwicklung der Computerindustrie,
man denke nur an die Hochleistungscomputer und das Internet quasi als Nebenprodukt der Forschung des CERN, so wird
diese treibende Kraft in Zukunft von der Medizin ausgehen", sagt Prof. Zatloukal. Ein kleines Beispiel aus
der Krebsbehandlung soll dies verdeutlichen. Eine bestimmte häufig eingesetzte Chemotherapie bei Darmkrebs
führt in der Regel bei etwa 45% der Patienten zu einer Verkleinerung des Tumors. Da man aber nicht unterscheiden
kann, bei welchen Patienten dies der Fall ist, wird die Therapie natürlich allen angeboten. Dies führt
einerseits zu hohen Kosten von bis zu 30.000 Euro und bringt andererseits nicht immer den gewünschten Erfolg.
Die Medizin wird sich aber nicht einfach dadurch verändern, dass neue Daten verfügbar sind. Bei einem
komplexen Gesundheitssystem gilt es innovative Prozesse anzustoßen, zu motivieren, und einen Diskussionsprozess
zu moderieren. Wie ändert sich das Berufsbild eines Arztes, wenn zukünftig "Kollege Computer"
auf den Plan tritt? Wird ein Arzt seine vorgeschlagene Therapie am "Virtuellen Patienten" erproben, und
welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Diese und verwandte Fragestellungen werden in ITFoM durch die medizinische
Plattform bearbeitet, wobei "außer Frage steht, dass die letztgültige Entscheidung, wie gut eine
Simulation am Computer auch sein mag, immer durch einen Arzt getroffen wird", sagt Prof. Zatloukal.
Facts & Figures
- Ziel: Konzept-Entwicklung für das Flagship-Projekt ITFoM
- EU-Programm: Future and Emerging Technologies (FET), http://cordis.europa.eu/fp7/ict/programme/fet_en.html
- EU-Förderung: rund 1,5 Millionen Euro
- Laufzeit: 1 Jahr
- Mögliche Förderung als "Flagship-Projekt": 1 Milliarde Euro über 10 Jahre
- Projektpartner: 56 akademische Einrichtungen und Industriepartner
- Projektkoordination: Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik Berlin
- Für den gesamten Medizin-Bereich verantwortlich: Medizinische Universität Graz
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