Forscherteam mit RUB-Beteiligung erzeugt fliegende Quantenbits
Bochum (idw) - Das Alphabet der Datenverarbeitung könnte in Zukunft mehr Elemente als die „0“
und „1“ umfassen. Ein internationales Forscherteam hat mit einzelnen Elektronen eine neue Art von Bits realisiert,
die so genannten Quantenbits. Mit ihnen lassen sich weitaus mehr als zwei Zustände definieren. Bislang existierten
Quantenbits nur in relativ großen Vakuumkammern, das Team erzeugte sie nun in Halbleitern. So setzten sie
einen Effekt in die Tat um, den RUB-Physiker Prof. Dr. Andreas Wieck bereits vor 22 Jahren theoretisch vorhergesagt
hatte. Damit ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Quantencomputer getan. Gemeinsam mit Kollegen aus Grenoble
und Tokyo berichtet Wieck vom Lehrstuhl für Angewandte Festkörperphysik über die Ergebnisse in der
Zeitschrift Nature Nanotechnology.
Herkömmliche Bits
Die Grundeinheit der heutigen Datenverarbeitung sind die Bit-Zustände „0“ und „1“, die sich in ihrer elektrischen
Spannung unterscheiden. Um diese Zustände zu codieren, ist nur die Ladung der Elektronen entscheidend. „Elektronen
haben aber auch noch andere Eigenschaften“, sagt Wieck und genau die braucht man für Quantenbits. „Die Erweiterung
von Bits auf Quantenbits kann die Rechenleistung von Computern dramatisch steigern“, so der Physiker.
Die neue Bit-Generation
Ein Quantenbit entspricht einem einzigen Elektron in einem bestimmten Zustand. Gemeinsam mit seinen Kollegen nutzte
Wieck die Flugbahnen eines Elektrons durch zwei dicht beieinander liegende Kanäle für die Codierung.
Prinzipiell sind zwei verschiedene Zustände möglich: Das Elektron bewegt sich entweder im oberen Kanal
oder im unteren Kanal – das wäre dann aber wieder nur ein binäres System. Laut Quantentheorie kann sich
ein Teilchen jedoch gleichzeitig in mehreren Zuständen befinden, also quasi zur selben Zeit durch beide Kanäle
fliegen. Diese überlagerten Zustände können ein umfangreiches Alphabet der Datenverarbeitung bilden.
Ein Rezept für Quantenbits
Um Quantenbits mit unterschiedlichen Zuständen zu erzeugen, ließen die Forscher einzelne Elektronen
mit sich selbst interferieren. Das funktioniert mit dem so genannten Aharonov-Bohm-Effekt: Angetrieben von einer
äußeren Spannung fliegen die Elektronen durch einen halbleitenden Festkörper. Innerhalb dieses
Festkörpers wird ihre Flugbahn erst gegabelt und schließlich wieder zusammengeführt. Dabei fliegt
jedes Elektron gleichzeitig auf beiden möglichen Wegen. Vereinen sich die beiden Wege wieder, kommt es zur
Interferenz, das heißt die beiden Elektronenwellen überlagern sich und es entstehen Quantenbits mit
verschiedenen überlagerten Zuständen.
Elektronen auf definierte Wege lenken
Normalerweise bewegt sich eine Elektronenwelle gleichzeitig auf vielen verschiedenen Pfaden durch einen Festkörper.
Durch Verunreinigungen im Material verliert sie ihre Phaseninformation und somit ihre Fähigkeit, einen bestimmten
Zustand zu codieren. Um die Phaseninformation zu erhalten, züchteten die Forscher an der RUB einen hochreinen
Galliumarsenid-Kristall und nutzten den von Wieck vor über 20 Jahren vorgeschlagenen Doppelkanal.
So funktioniert der Doppelkanal
Ein Elektron erreicht die Weggabelung über zwei dicht beieinander liegende Kanäle. Diese sind miteinander
gekoppelt (Tunnelkopplung), so dass das Elektron gleichzeitig auf zwei verschiedenen Pfaden fliegt. Die Phasen
der Elektronenwellen bleiben durch die Kopplung erhalten. Den gleichen Doppelkanal verwendete das Team auch, nachdem
die Elektronenwellen sich am Ende der Weggabelung wieder vereinten. So erzeugten sie Quantenbits mit eindeutigen
Zuständen, die sich eignen, um Information zu codieren. „Leider nehmen noch nicht alle Elektronen an diesem
Prozess teil, bislang nur ein paar Prozent“, kommentiert Wieck. „Einige Doktoranden an meinem Lehrstuhl sind aber
schon dabei, Kristalle mit höheren Elektronendichten wachsen zu lassen.“
Titelaufnahme
M. Yamamoto, S. Takada, C. Bäuerle, K. Watanabe, A.D. Wieck, S. Tarucha (2012): Electrical control of a solid-state
flying qubit, Nature Nanotechnology, doi:10.1038/nnano.2012.28 |