"Monti II-Verordnung"  

erstellt am
22. 03. 12

EU-Kommission stärkt Schutz für entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
Brüssel (ec.europa) - Damit der EU-Binnenmarkt für Arbeitnehmer und Unternehmen besser funktioniert, hat die Kommission neue Regeln vorgeschlagen, um vorübergehend ins Ausland entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besser zu schützen. Wenn es um den EU-Binnenmarkt geht, sind Arbeitnehmerschutz und fairer Wettbewerb zwei Seiten ein und derselben Medaille. Studien zeigen jedoch, dass für die rund eine Million entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der EU die Mindestarbeits- und Beschäftigungsbedingungen häufig nicht eingehalten werden. Durch Umgehung der Vorschriften werden die Arbeitnehmer vor allem im Baugewerbe daran gehindert, ihre vollen Rechte, zum Beispiel bei Bezahlung oder Urlaub, in Anspruch zu nehmen. Als Antwort auf diese spezielle Problematik hat die Kommission konkrete, praktische Vorschläge in eine Durchsetzungsrichtlinie gepackt, mit der die Überwachung und Einhaltung der Bestimmungen verstärkt und die Anwendung der für entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geltenden Bestimmungen in der Praxis verbessert werden sollen. Damit werden gleiche Ausgangsbedingungen für die betroffenen Unternehmen geschaffen und Firmen, die sich nicht an die Regeln halten, ausgeschlossen.

Um deutlich zu machen, dass Arbeitnehmerrechte und das Streikrecht auf einer Stufe mit der Dienstleistungsfreiheit stehen, hat die Kommission auch eine neue Verordnung vorgelegt, die die derzeitige Rechtsprechung berücksichtigt. Dies spielt vor allem für die Entsendung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Rahmen der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen eine Rolle. Das gemeinsame Ziel beider Vorschläge ist die Förderung hochwertiger Arbeitsplätze und die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in der EU, und zwar dadurch, dass die Mechanik des Binnenmarktes verbessert und auf den neuesten Stand gebracht wird und gleichzeitig die Arbeitnehmerrechte geschützt werden.

Nach der Annahme des Legislativpaketes erklärte Präsident Barroso: „Ich habe dem Europäischen Parlament 2009 versprochen, dass wir die Ausübung sozialer Rechte im Rahmen der Entsendung von Arbeitnehmern klären werden. Die Dienstleistungsfreiheit innerhalb des Binnenmarktes ist eine wichtige Wachstumschance. Aber die Vorschriften müssen für alle in gleicher Weise gelten. Das ist nicht immer der Fall, wenn es um Arbeitnehmer geht, die in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wurden. Heute setzt die Europäische Kommission konkrete Maßnahmen, um den inakzeptablen Missbrauch der Vorschriften zu beenden. Wir wollen gewährleisten, dass entsandte Arbeitnehmer ihre vollen Sozialrechte in ganz Europa genießen.“

László Andor, EU-Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Integration sprach über die Bedeutung der Vorschläge sowohl für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch Unternehmen und betonte: “Die vorübergehende Entsendung von Arbeitnehmern ist eine Win-Win-Situation für die Arbeitsmärkte und die Unternehmen in der EU, aber sie kann nicht zur Umgehung sozialer Mindeststandards eingesetzt werden.“ Kommissar Andor unterstrich, dass der Binnenmarkt nur mit fairem Wettbewerb effizient funktionieren könne, und erklärte: „Mit den heute vorgelegten Vorschlägen werden die Vorschriften in Bezug auf entsandte Arbeitnehmer für alle Beteiligten geklärt und praktische Vorkehrungen gegen Sozialdumping und schlechte Arbeitsbedingungen getroffen – vor allem im Bausektor, in dem es besonders viele Entsendungen gibt und die Vorschriften am häufigsten umgangen werden.“

Hintergrund
Die vorgeschlagene Durchsetzungsrichtlinie soll die Art und Weise verbessern, wie die Entsenderichtlinie von 1996 in der Praxis angewendet wird, ohne deren Bestimmungen zu ändern. Die Durchsetzungsrichtlinie würde Folgendes bewirken:

  • ehrgeizigere Standards bei der Information von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie Unternehmen über ihre Rechte und Pflichten;
  • klarere Regeln für die Zusammenarbeit nationaler Behörden, die für die Entsendung zuständig sind;
  • Elemente für eine bessere Durchführung und Überwachung des Begriffs Entsendung, um so die Ausbreitung von Briefkasten-Firmen zu unterbinden, die die Entsendung zur Umgehung von Beschäftigungsvorschriften nutzen;
  • Festlegung des Umfangs und der Zuständigkeiten der relevanten nationalen Behörden im Hinblick auf die Überwachung;
  • bessere Durchsetzung der Arbeitnehmerrechte, u. a. durch die Einführung der gesamtschuldnerischen Haftung für die Löhne und Gehälter entsandter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Baugewerbe, und verbesserte Bearbeitung von Beschwerden.


In der vorgeschlagenen Monti II-Verordnung geht es um die Sorge, dass im Binnenmarkt die wirtschaftlichen Freiheiten das Streikrecht aushebeln könnten. Daher wird betont, dass das Recht auf Kollektivmaßnahmen und die Dienstleistungsfreiheit gleichrangig sind. Darüber hinaus enthält der Vorschlag einen neuen Warnmechanismus für grenzüberschreitende Arbeitskämpfe mit gravierenden Auswirkungen. Die Verordnung lässt die nationalen Rechtsvorschriften zum Streikrecht unberührt; sie würde auch das Streikrecht nicht behindern.

Jedes Jahr entsenden Unternehmen im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen rund eine Million Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer innerhalb der EU (0,4 % der EU-Erwerbstätigen). Die größten „Entsende“länder sind PL, DE, FR, LU, BE und PT. Diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind wichtig, um einen Arbeits- und Fachkräftemangel in verschiedenen Regionen und in Branchen wie dem Baugewerbe, der Landwirtschaft und dem Transport auszugleichen. Entsendungen spielen auch eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, spezialisierte, hoch qualifizierte Dienstleistungen, z. B. in der Informations­technologie, zu erbringen.

Im EU-Binnenmarkt genießen Unternehmen die Freiheit, Dienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten zu erbringen. Das schließt die Möglichkeit ein, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorübergehend in andere Mitgliedstaaten zu entsenden, damit sie dort bestimmte Projekte durchführen. Unternehmen haben so die Möglichkeit, ihre besonderen Dienstleistungen innerhalb des gesamten EU-Binnenmarktes anzubieten, was wiederum zu größerer Effizienz und Wirtschaftswachstum beiträgt.

Entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer treten nicht in den Arbeitsmarkt des Aufnahmelandes ein, da sie weiterhin beim Unternehmen im Entsendemitgliedstaat beschäftigt bleiben.

In der Richtlinie von 1996 ist ein harter Kern an Beschäftigungsbedingungen festgelegt, die der Dienstleistungserbringer während der Dauer der Entsendung im Aufnahmeland einzuhalten hat, um die Entsendung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu erleichtern und fairen Wettbewerb sowie angemessenen Schutz für entsandte Arbeitnehmer zu gewährleisten. Dazu zählen die geltenden Bestimmungen für Mindestentgeltsätze, Mindesturlaub, Höchstarbeitszeit und Mindestruhezeit sowie Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz.

In der Praxis wird dieser Kern der Beschäftigungsbedingungen im Aufnahmemitgliedstaat häufig falsch angewendet oder nicht durchgesetzt. Die Möglichkeit der Entsendung kann von Unternehmen missbraucht werden, die sich künstlich im Ausland niederlassen, nur um von einem niedrigeren Arbeitsschutz­niveau und geringeren Sozialversicherungsbeiträgen zu profitieren. Entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind aufgrund der Tatsache, dass sie sich im Ausland befinden, häufig in einer schwächeren Position. Der neue Vorschlag würde schlagkräftigere Rechtsvorschriften einführen, die dafür sorgen, dass die Entsenderichtlinie von 1996 vor Ort wirksamer angewendet wird.

Die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union in den Rechtssachen Viking Line und Laval haben eine intensive Debatte darüber ausgelöst, in welchem Umfang Gewerkschaften in grenzüberschreitenden Situationen, in denen Entsendungen oder die Standortverlagerung von Unternehmen eine Rolle spielen, in der Lage sind, die Rechte der Arbeitnehmer zu verteidigen. Die Urteile wurden von einigen Stakeholdern so interpretiert, dass wirtschaftliche Freiheiten Vorrang vor sozialen Rechten und insbesondere dem Streikrecht hätten. Die neue Durchsetzungsrichtlinie und die Monti II-Verordnung bestätigen, dass dies nicht der Fall ist.


 

Regner: Streikrecht muss ohne Einschränkungen garantiert werden
EU-Abgeordnete fordert generelle Überarbeitung der Entsenderichtlinie
Wien (sk) - Am 21.03. hat die EU-Kommission eine Verordnung bezüglich der Ausübung sozialer Grundrechte im Binnenmarkt (Monti II-Verordnung) und eine Richtlinie zur Durchsetzung der Bestimmungen für entsendete Arbeitnehmer vorgestellt. "Der vorliegende Monti II-Vorschlag ist klar abzulehnen. Es ist nicht akzeptabel, dass das Streikrecht in irgendeiner Weise eingeschränkt wird", betont die stv. Delegationsleiterin der SPÖ-EU-Abgeordneten, Evelyn Regner, gegenüber dem Pressedienst der SPÖ. "Den europäischen Beschäftigten muss garantiert werden, dass sie zu Arbeitskampfmaßnahmen greifen können, ohne Restriktionen befürchten zu müssen", so Regner weiter.

Sie erläutert, dass die Monti II-Verordnung ursprünglich als Reaktion auf die Urteile des Europäischen Gerichtshofes in den Fällen Laval und Viking gedacht war, durch welche grundlegende soziale Rechte der Freiheit der Wirtschaft untergeordnet wurden. "Nun wird aber auch bei Monti II festgehalten, dass Menschenrechte keinen Vorrang vor wirtschaftlichen Rechten haben sollen. Mit diesem Vorschlag wird nur eine Verlängerung der momentanen Situation erreicht", sagt Regner.

"Kommissionspräsident Barroso hat zu Beginn seiner Amtszeit verkündet, die soziale Dimension des Binnenmarktes stärken zu wollen. Bezüglich Arbeitnehmer, die von Zeitarbeitsfirmen in andere Mitgliedstaaten entsandt werden, gibt es noch immer die Möglichkeit des Sozialdumpings und Gewerkschaften und Mitgliedstaaten werden daran gehindert, die Gleichbehandlung von entsandten Arbeitnehmern durchzusetzen", betont die EU-Abgeordnete, stv. Mitglied im Sozial- und Beschäftigungsausschuss. Sie fordert daher eine generelle Überarbeitung der Entsenderichtlinie, um die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu stärken. Darüber hinaus verlangt Regner, dass ein Gerichtsstand für Arbeitskampfmaßnahmen geschaffen wird, sodass diesbezügliche Gerichtsverfahren in jenen Mitgliedstaaten ausgeführt werden, in denen ein Streik stattfindet oder stattgefunden hat.

 

Becker: EU-Dienstleistungsmarkt ausbauen, nicht einschränken
ÖVP skeptisch gegenüber Änderung der EU-Entsende-Richtlinie
Brüssel (övp-pd) - "Weder die Kommission noch Österreichischer Gewerkschaftsbund und Arbeiterkammer können mit Zahlen belegen, in welcher Größenordnung überhaupt ein Problem besteht", so Heinz K. Becker, Sozialsprecher der ÖVP im EU-Parlament zum Vorschlag der Europäischen Kommission, die sogenannte EU- Entsende-Richtlinie zu ändern. Die Richtlinie regelt, zu welchen Bedingungen Arbeitnehmer, die in einem EU-Land angestellt sind, von ihrer Firma zu Dienstleistungen in einem anderen EU-Land entsandt werden können. "Wir wollen den EU-Binnenmarkt weiterentwickeln. Österreich profitiert seit Jahren massiv davon. Jetzt ohne Grundlage die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung mit zusätzlicher Bürokratie zu erschweren, ist genau das falsche Signal zu einem Zeitpunkt, zu dem wir Wachstum und Beschäftigung fördern müssen", wundert sich Becker nach einer ersten Durchsicht des heute vorgelegten Gesetzesvorschlags.

Der Vorschlag von EU-Sozialkommissar László Andor sieht vor, dass nur in der Baubranche die Generalunternehmer für direkte Subunternehmer haften, wenn diese ihren eingeflogenen Arbeitnehmern Lohn, Lohnsteuern oder Sozialversicherungsabgaben nicht bezahlen. "Dass alle Beteiligten die Gesetze einhalten müssen, ist eh klar. Der neue Vorschlag führt aber bloß neue Kontrollen, Nachweispflichten und Verwaltungsaufwand ein, ohne die Relevanz des Problems zu belegen", so Becker. Das EU-Parlament werde sich den Gesetzesvorschlag sehr genau anschauen. "Ein sinnvoller und angemessener Schutz der Arbeitnehmer muss zweifelsohne gewährleistet sein. Wir verändern die Regeln aber nur, wenn es Handlungsbedarf gibt", so Becker.

"Wenn es Probleme bei der Verfolgung von schwarzen Schafen in der Baubranche gibt, dann muss man die Zusammenarbeit zwischen Justizbehörden in der EU verbessern und nicht mit der Begründung, dass das zu schwierig sei, grenzüberschreitende Dienstleistungen verkomplizieren", so Becker abschließend.

 

 Foglar: Soziale Grundrechte müssen über wirtschaftlichen Freiheiten stehen
Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping darf von EU-Entsenderichtlinie nicht infrage gestellt werden
Wien (ögb) - Der ÖGB befürchtet, dass durch die von der Europäischen Kommission beschlossene Monti-II-Verordnung in soziale Grundrechte wie das Streikrecht eingegriffen werden könnte. Die Marktfreiheiten sollen zwar dem Streikrecht nicht übergeordnet sein, aber die Pläne laufen auf eine Prüfung der "Verhältnismäßigkeit" hinaus.

"Die Vorschläge sind vielleicht gut gemeint, aber im Ergebnis gefährlich für Gewerkschaften in ganz Europa", warnt ÖGB-Präsident Erich Foglar vor den Kommissionsplänen. "Der ÖGB lehnt wie alle europäischen Gewerkschaften Eingriffe der EU in soziale Grundrechte wie vor allem das Streikrecht entschieden ab. Eine ,Verhältnismäßigkeitsprüfung\x{2588} von Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber der Dienstleistungsfreiheit oder ein von der EU vorgegebenes Schlichtungsverfahren bei Tarifauseinandersetzungen, wie sie offenbar nun geplant sind, kann der ÖGB nicht akzeptieren", so Foglar weiter.

Der ÖGB fordert seit langem eine Korrektur der EuGH-Rechtsprechung, die die sozialen Grundrechte und vor allem dem das Recht auf Arbeitskampfmaßnahmen den wirtschaftlichen Grundfreiheiten untergeordnet hat. In der Vergangenheit haben zahlreiche EuGH-Entscheidungen eine völlig inakzeptable Beschränkung gewerkschaftlicher Rechte gebracht, in dem den wirtschaftlichen Grundfreiheiten Vorrang eingeräumt wurde, vor allem der Dienstleistungsfreiheit.

"Wir brauchen eine Korrektur der EuGH-Rechtsprechung, denn soziale Grundrechte dürfen den wirtschaftlichen Freiheiten nicht länger untergeordnet werden. Deshalb fordern ÖGB und EGB seit langem die Verankerung eines sozialen Fortschrittsprotokolls als Primärrecht im EU-Vertrag", so ÖGB-Präsident Foglar: "Man braucht einen Sozialpakt, damit das entstandene Ungleichgewicht korrigiert wird und wir nicht eine reine Wettbewerbs-, Sozial- und Lohn-Dumping-Union sind."

Keine Eingriffe in nationale Kontrollbefugnisse durch EU-Entsenderichtlinie
Die ebenfalls heute präsentierten neuen Vorschläge der Kommission zur Entsenderichtlinie müssen nun genau analysiert werden. Für den ÖGB gilt weiterhin, dass die Entsenderichtlinie eine effektive Kontrolle der ausländischen Dienstleistungsunternehmen ermöglichen muss, um Missbrauch zu vermeiden. Auch die Durchsetzung der Ansprüche der ArbeitnehmerInnen muss erleichtert und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Behörden verbessert werden. Sollten die neuen Vorschläge nationale Kontrollbefugnisse einschränken, wird dies auf den entschiedenen Widerstand des ÖGB stoßen. Auch das Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping darf nicht von EU-Bestimmungen infrage gestellt werden.
     

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