Orte des Gedenkens und steinerne Archive der Kulturgeschichte
Wien (pk) - Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Epstein-Vorlesungen" wurde am 21.03. das
Thema jüdische Friedhöfe in Österreich unter den Gesichtspunkten ihrer Sanierung und Bewahrung behandelt.
Die damit verbundenen komplexen Fragestellungen wurden aus Sicht der jüdischen Gemeinden, der öffentlichen
Hand, privater Initiativen und der Wissenschaft diskutiert. Im "Washingtoner Abkommen" hat sich Österreich
2001 zur Erhaltung der jüdischen Friedhöfe verpflichtet. Im Dezember 2010 wurde der Fonds zur Instandsetzung
der jüdischen Friedhöfe in Österreich eingerichtet, der dazu für zwanzig Jahre Mittel bereitstellt.
Jüdische Friedhöfe sind nicht nur besondere Gedächtnisorte mit religiöser Bedeutung, sondern
stellen auch steinerne Archive jüdischer Gemeinden und der österreichischen Kulturgeschichte dar.
Nationalratspräsidentin Barbara Prammer brachte in ihren Begrüßungsworten ihre Freude zum Ausdruck,
dass für diese Podiumsdiskussion eine Reihe prominenter und sachkundiger Vortragender gewonnen werden konnte.
Es sei ihr ein besonderes Anliegen, das Palais Epstein regelmäßig für Veranstaltungen, welche Aspekte
der Geschichte des Hauses und des österreichischen Judentums beleuchten, zur Verfügung zu stellen. Das
Thema der Erhaltung jüdischer Friedhöfe passe hier nicht nur gut in dieses Konzept, es habe auch aktuelle
Aspekte, da schnell grundlegende Entscheidungen über das weitere Vorgehen bei der Sanierung dieser bedeutsamen
Orte fallen müssen.
Paul Chaim Eisenberg, Oberrabbiner der IKG Wien, erläuterte die religiöse Bedeutung des Friedhofs für
eine jüdische Gemeinde. Er sei ein Ort der Erinnerung an verstorbene Familienmitglieder und an bedeutende
Personen. Nach der Shoah gebe es jedoch in vielen Fällen niemanden mehr, der die Pflege der Grabstätte
übernehmen könne. Nach jüdischer Auffassung besitzen die Verstorbenen ein Recht auf die dauernde
Wahrung der Integrität ihrer Grabstätten. Das schaffe spezielle Probleme in der Sanierung, etwa wenn
Baumwurzeln entfernt werden müssen, die tief in den Boden reichen. Das Rabbinat der Kultusgemeinde stehe daher
für die Arbeiten beratend zur Verfügung.
Ariel Muzicant, Ehrenpräsident der IKG Wien, hielt fest, dass für die IKG Wien ihre Friedhöfe lange
am untersten Ende der Prioritätenliste standen. Es galt, erst die Infrastruktur des Gemeindelebens aufzubauen.
Nun sei auch in der jüdischen Gemeinde das Bewusstsein gewachsen, dass alte Friedhöfe die Erinnerung
an die jüdischen Gemeinden vor dem Zweiten Weltkrieg bewahren. Muzicant zeigte sich erfreut darüber,
dass es seit einigen Jahren gelinge, hier im Zusammenwirken vieler Institutionen und Personen konkrete Ergebnisse
zu erzielen. Lange Zeit sei das Problem der Regelung einer dauerhaften Pflege ungelöst gewesen. Hier stehe
man aber kurz vor einer umfassenden Lösung, berichtete er.
Barbara Neubauer, Präsidentin des Bundesdenkmalamts, stellte den Beitrag die Denkmalpflege zur Erhaltung jüdischer
Friedhöfe dar. Prinzipiell stehe man immer vor der Frage, welche Arbeiten der Sicherung und Wiederherstellung
technisch notwendig und durchführbar seien, aber auch, wie weit man dabei gehen solle. Eine völlige Restaurierung
von Grabstätten sei weder in allen Fällen möglich, noch sei sie unbedingt wünschenswert. Für
den Friedhof St. Marx, der viele ähnliche gelagerte Probleme aufweise, habe man aber ein Konzept erarbeitet,
das sich gut auf die anstehenden Arbeiten auf jüdischen Friedhöfen übertragen lasse.
Ida Olga Höfler sprach als Präsidentin des Vereins "Helikon" für die vielen engagierten
Freiwilligen, die sich seit Jahren um jüdische Friedhöfe kümmern. Sie berichtete, wie die Tätigkeiten
ausgehend vom jüdischen Friedhof Gänserndorf allmählich immer umfangreicher und komplexer wurden.
Derzeit betreue der Verein 11 Friedhöfe in der Region Weinviertel. Neben der Durchführung grundlegender
Pflege- und Sanierungsarbeiten sei es auch gelungen, bereits verschollene Gräberfelder und markante Details
der Lokalgeschichte dem Vergessen zu entreißen, berichtete sie.
Die Historikerin Tina Walzer berichtete von ihrer Arbeit zur Dokumentation jüdischer Friedhöfe. Diese
dauere bereits zwei Jahrzehnte und habe allmählich ein breiteres Bewusstsein dafür geschaffen, worum
es hier gehe. Es sei sicher schwierig, einen Ausgleich zwischen der Tatsache zu finden, dass es sich einerseits
um Orte des Kultus, aber auch um Stätten der Kulturgeschichte handle. So wichtig bei der Sanierung der Beitrag
Freiwilliger sei, könne dieser doch nicht alle Probleme lösen, da es oft um schwierige technische Fragen
gehe. Gerade die beiden schwierigsten Fälle, der Friedhof in Währing und die jüdische Abteilung
am Tor 1 des Wiener Zentralfriedhofs, bergen die Grabstätten von Menschen, die entscheidend dazu beigetragen
haben, dass Wien im 19. und 20. Jahrhundert zu dem wurde, worauf wir heute stolz sind. Es sei daher wichtig, Konzepte
zu entwickeln, die auch nach dem Abschluss der Arbeiten des Sanierungsfonds sicherstellen, dass diese steinernen
Archive der Kulturgeschichte bewahrt und im öffentlichen Bewusstsein verankert bleiben, betonte Walzer.
Moderiert wurde die Diskussion von Günther Schefbeck, dem Leiter des Parlamentsarchivs. |