Museen als Projekte der Teilnahme   

erstellt am
06. 04. 12

Internationale Tagung in Hall über neue Konzepte für Stadtmuseen
Hall (promedia) - Ob in Rio de Janeiro oder Frankfurt, im Schweizer Küsnacht oder in Hittisau in Vorarlberg: Städtische Museen vollziehen international einen weitreichenden konzeptionellen Wandel. Sie werden zu Projekten von Partizipation, Orten der Teilnahme, beziehen die Bevölkerung als Fachleute mit ein. Beispiele für partizipativ arbeitende Museen aus ganz unterschiedlichen sozialen und kulturellen Kontexten standen im Mittelpunkt der Tagung „Mein, dein, unser Museum – Identifikation durch Beteiligung“ in Hall in Tirol (22.–23. März 2012). Die Tagung, die im Rahmen des Interreg IV-Projekts „Revita – Alte Städte: Neues Leben“ veranstaltet wurde, bot auch reichhaltige Anregungen für die geplante Erneuerung und Neupositionierung des Haller Stadtmuseums.

Europas einzige Stadtpsychologin, Cornelia Ehmayer (Wien), sieht in der künftigen Museumsarbeit eine Wechselwirkung zwischen der neuen „Beteiligungskultur“ und der „Stadt-Identität“: „Wer soll sich mit wem identifizieren? Warum soll wer beteiligt werden?“, diese Grundfragen gelte es zu stellen. Die Kulturwissenschaftlerin Angela Janelli (Historisches Museum, Frankfurt) und die Museumsberaterin Petra Paolazzi (büro54, Innsbruck) wählten in Kooperation mit der Museumsakademie Joanneum ein vielfältiges Spektrum partizipativer Museumsarbeit für die Haller Tagung aus: Vom Museu da Marè in einem Slum in Rio bis zum kleinen Heimatmuseum in Küsnacht bei Zürich, vom „Stadtlabor“ in Frankfurt bis zum Frauenmuseum in Hittisau und dem Open City Museum in Klausen (Südtirol), der Partnerstadt von Hall beim Interreg IV-Projekt „Altstadtrevitalisierung“.

Die brasilianische Museologin Paula Assuncao dos Santos unterstrich anhand des Museu da Marè in Rio de Janeiro, des ersten Museums in einem Slum, die kommunikative Funktion der Teilnahme von Slumbewohnern an Museumsarbeit. Nach 20 Jahren Vorlaufzeit werden im Museu da Marè die Geschichte der Favela „Marè“ mit ihren rund 200.000 Bewohnern, deren soziale Kämpfe und die Mühen des täglichen Lebens anhand von Gegenständen der Bewohner und deren eigenen Recherchen erzählt. Die professionelle Arbeit im Museum, das seine soziale Rolle verändert, enthält hier auch Aspekte von Sozialarbeit.

"Stadtlabor“ nennt sich ein Ausstellungsformat des Historischen Museums Frankfurt, das die Bevölkerung einlädt, sich anlässlich des Museumsneubaus, der 2015 stehen soll, inhaltlich an der Neukonzeption zu beteiligen. Die Frankfurterinnen und Frankfurter werden als ExpertInnen angesprochen, um ihr Wissen und ihre Sichtweisen einzubringen. Bis zur Neueröffnung ist das Stadtlabor mit Ausstellungen etwa zum Wandel des Stadtteils Ostend in einem Bauwaggon „unterwegs“ und wird im Neubau einen festen Ort erhalten. Die Besucher und Benutzer erhalten die Möglichkeit, das Museum mitzugestalten. Für Museumsmitarbeiter ergeben sich neue Anforderungen, neue Aufgabenverteilungen insbesondere zwischen Kurator und Museumspädagogen: „Das partizipative Museum zeichnet sich in erster Linie durch seine kommunikative Ausrichtung aus“, schreiben Angela Janelli und die Frankfurter Kuratorin und Kunstpädagogin Susanne Gesser.

Das Ortsmuseum Küsnacht, eines der größeren der kleinen Museen in der Schweiz, entschied sich bei der im Herbst 2011 eröffneten Sonderausstellung „Küsnacht stellt sich aus“ für einen Mix aus experimentellen Beteiligungsmöglichkeiten, wie die Kulturvermittlerin Bettina Riedrich ausführte. Die Themen waren hier vorgegeben. So konnten Besucher etwa bei der Station „Mein Küsnacht“ in leeren Bilderrahmen eigene Objekte, Fotos und Texte, Erinnerungsstücke, Notizen, persönliche Geschichten oder Zeichnungen deponieren. In Vitrinen fanden Erinnerungen an die „Kindheit in Küsnacht“ Platz. Bei „Küsnacht im Bild“ waren Bewohner eingeladen, zu den digitalisierten Fotos im Museumsarchiv Informationen und persönliche Erinnerungen beizusteuern.

Das Frauenmuseum Hittisau im Bregenzerwald, das einzige Frauenmuseum in Österreich, setzt auf ehrenamtliche Vermittlungsarbeit durch eine Gruppe von Frauen zwischen 18 und 80 Jahren mit unterschiedlichem sozialem Hintergrund. Das Ausstellungs-Projekt „Dorf und Frauen“ (Eröffnung ist im Februar 2013) ist als Zeitreise konzipiert, ausgehend vom örtlichen Friedhof. Ausgehend von den Lebensgeschichten von zehn bis zwölf verstorbenen Hittisauerinnen, die von den Museumsfrauen mithilfe von Fachleuten recherchiert werden, soll eine Dorfgeschichte anhand von Frauenbiografien entstehen, berichtete die Kuratorin Elke Krasny.

Mit sozialen Interventionen arbeitet die Wiener Künstlergruppe WochenKlausur. Die Gruppe entstand 1993 anlässlich der Ausstellung „11 Wochen in Klausur“ in der Wiener Secession, während der die Künstler in Klausur gingen, um eine medizinische Versorgung Obdachloser sicherzustellen. Seither betreut eine fahrende Ambulanz monatlich mehr als 600 Patienten kostenlos. Am Beispiel der strittigen Pfarrplatzgestaltung in Krems erläuterte der Kulturwissenschaftler Wolfgang Zinggl die Rolle der Gruppe als Moderatorin bei Konflikten. WochenKlausur gelang es, in einem intensiven Prozess mit Einzelgesprächen, Fragebögen, verbindlich zu besuchenden Fachvorträgen die Blockaden gegen die Neugestaltung des Platzes aufzuheben und Bewohner in einen konstruktiven Prozess der Meinungsbildung einzubinden.

Eine Installation mit einem Workshop im Stadtraum, am Oberen Stadtplatz von Hall, animierte schließlich die Passanten, sich mit Vorschlägen für die Neugestaltung des Haller Stadtmuseums einzubringen. Die Teilnehmer waren eingeladen, ein „Musèe imaginaire“ aus gemeinsamen Erwartungen und Wünschen an ein Stadtmuseum zu entwickeln. Im Workshop der Berliner Ausstellungsgestalter der Gruppe „museeon“ wurden experimentell Strategien der Partizipation entwickelt und in einer temporären Ausstellung umgesetzt. Die Vorstellungen der Bevölkerung werden die Grundlage bilden für die nächsten konzeptionellen Schritte und für Veranstaltungen, bei denen das Projekt der Neugestaltung des Haller Stadtmuseums weiterentwickelt wird.

Im Herbst 2012 sind weitere Veranstaltungen geplant. Insgesamt läuft das Interreg IV-Projekt bis Mai 2013.
     
Informationen: http://www.hall-in-tirol.at/    
     
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