Mattl-Wurm: Wienbibliothek verfügt über weltweit bestes Archiv für Max Reinhardt-ForscherInnen
Wien (rk) - Nach langjährigen Verhandlungen ist es der Wienbibliothek im Rathaus gelungen, einen
bedeutenden Teil aus dem Nachlass des berühmten Theatermachers Max Reinhardt zu erwerben. Der 5602 Dokumente
umfassende Bestand aus der Sammlung Leonhard M. Fiedler ist aufgrund seines enormen Umfangs und seiner ganz außergewöhnlichen
Geschlossenheit der eindeutig wichtigste Sammlungsteil zu Max Reinhardt. "Die Stadt Wien verfügt damit
über den weltweit größten Schatz an Reinhardt-Autographen und das definitiv beste Archiv zur Erforschung
der Arbeitsweise des großen Regisseurs", freut sich Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny. "Die
Wienbibliothek im Rathaus ist nunmehr neben dem Archiv der University of Binghamton (USA) eine der zentralen Stellen
für Max Reinhardt-ForscherInnen", unterstrich Sylvia Mattl-Wurm, Direktorin der Wienbibliothek. Der Ankauf
in der Höhe von 750.000 Euro wurde heute, Donnerstag, im Gemeinderatsausschuss für Kultur und Wissenschaft
beschlossen.
"Max Reinhardt ist zweifellos der bedeutendste Theatermacher und - erneuerer des 20.Jahrhunderts im deutschsprachigen
Raum, der mit seinem 'Gesamtkunstwerk Theater' die Bühnenkunst von Grund auf revolutionierte. Er ist einer
der großen Söhne dieser Stadt, dessen Name - ähnlich wie Sigmund Freud oder Adolf Loos - auch heute
noch jene Strahlkraft wie zu seinen Lebzeiten besitzt", so Mailath weiter. Die Wienbibliothek hat bereits
1998 einen Nachlassteil aus der Sammlung Jürgen Stein erworben. "Es ist daher für die Stadt Wien
geradezu eine Verpflichtung, auch diesen bedeutenden Nachlassteil Max Reinhardts als kulturelles Erbe dieser Stadt
vor einer Zersplitterung zu bewahren und zu sichern", unterstrich der Kulturstadtrat. Der Bestand wird im
Frühsommer 2012 von der Wienbibliothek übernommen und soll im Laufe des Jahres 2013 zur Benutzung zur
Verfügung stehen.
Wichtigster Teilnachlass aller bekannten Sammlungen
Im Gegensatz zu anderen Teilen der künstlerischen Hinterlassenschaft Reinhardts, die weltweit über
etliche Institutionen zersplittert ist, blieb der erworbene Teilnachlass stets in der Hand seiner engsten Vertrauten
Gusti Adler (1890-1985), die gerne als Privatsekretärin bezeichnet wird, aber stets sehr viel mehr war als
das. Augusta C. Adler, wie sie sich im US-Exil nannte, in das sie Max Reinhardt 1939 gemeinsam mit ihrer Mutter
folgte, hatte zudem einen berühmten Onkel. Der Bruder ihres Vaters Heinrich war kein geringerer als Victor
Adler, der überaus charismatische Begründer der österreichischen Sozialdemokratie.
Gusti Adler war eine rechte Hand mit archivalischem Blick. Bei ihr haben sich nicht nur über 100 Werkmanuskripte
des Regisseurs und Impresarios erhalten, sondern auch rund 800 Briefe aus seiner Feder an namhafte Adressaten wie
Ferdinand Bruckner, Maximilian Harden, Werner Krauss, Alexander Moissi, Felix Salten oder Richard Strauss. Ein
außergewöhnlicher Schatz sind auch die 1150 Schreiben, die zahlreiche prominente Korrespondenzpartner
wie Colette, Hugo von Hofmannsthal, Carl Lämmle, Otto Preminger oder Stefan Zweig an Reinhardt richteten.
Der Bestand umfasst auch über 3000 Briefschaften, die Gusti Adler im Auftrag Reinhardts verfasst oder empfangen
hat, etwa von Hermann Bahr, Richard Beer-Hofmann, Gertrude Eysoldt, Anton Faistauer, Lion Feuchtwanger, Egon Friedell,
Erich Wolfgang Korngold, Mechthilde von Lichnowsky, Carl Moll, Emil Orlik, Alfred Polgar, Bertha Zuckerkandl oder
Carl Zuckmayer. Zu den unikalen Dokumenten, die Reinhardts Schaffen vielfach neu beleuchten, zählen auch die
Originalverträge zum Theater in der Josefstadt, zahlreiche Fotos von Schloss Leopoldskron sowie den großen
Salzburger Inszenierungen.
Neben vielen Porträtaufnahmen ragt ein Album mit Originalfotos von Reinhardts letztem Wohnsitz im kalifornischen
Corona del Mar heraus. Reinhardts vielfältiges Netzwerk spiegelt sich auch in künstlerischen Zeugnissen
fremder Hand wider, die sich in seinem Nachlass erhalten haben, wie in einem Entwurf von Richard Neutra für
ein nicht realisiertes Festspielhaus in Kalifornien, in eigenhändigen Skizzen von Alfred Roller oder in einem
Drehbuch von Thornton Wilder. Ein absoluter Höhepunkt im Bestand ist das Screenplay zu einem der berühmtesten
Filme, der je in der Traumfabrik Hollywood gedreht wurde: Reinhardts Verfilmung des "Sommernachtstraums"
von William Shakespeare. |