Linz (lk) - Europäische Gesellschaften haben in den vergangenen zwei Jahrhunderten große Veränderungen
erfahren, die zu immer mehr Differenzierungsprozessen führen: Verstädterung, Zunahme des gesellschaftlichen
Wohlstands in der Nachkriegszeit, Anstieg an Konsummöglichkeiten, die eng mit unterschiedlichen Lebensstilen
verknüpft werden, Globalisierung - und nicht zuletzt verstärkte Zuwanderung aus dem Ausland. Die zunehmende
kulturelle und religiöse Pluralität in unserem Land verändert nachhaltig das Gefüge unserer
Gesellschaft und fordert uns heraus, mit Unterschieden, Brüchen und Konflikten umzugehen. Ein Ende dieser
Entwicklung ist nicht abzusehen, weil wir einer Explosion der Weltbevölkerung gegenüber stehen. Dazu
kommt, dass die Globalisierung die Menschen mobiler gemacht hat. Derzeit sind weltweit rund 175 Millionen Menschen
Fremde, leben also in anderen Staaten als in jenen, in denen sie geboren wurden oder deren Staatsbürger sie
sind.
In den letzten Jahren wurden bzw. werden in öffentlichen bzw. medialen Auseinandersetzungen Integrationsfragen
häufig unter einem kulturellen oder religiösen Blickwinkel diskutiert und beeinflussen oftmals die Religionen
- ohne Differenzierung der verschiedenen konfessionellen Strömungen oder herkunfts- und alltagsgeprägter
Kultur- und Religionsausübung - die Debatte rund um das komplexe Thema Integration. Integration leben bedeutet,
Unterschiede zu respektieren, gleichzeitig aber den Blick auf das Gemeinsame zu lenken.
Gerade die Religionen können dazu einen wertvollen Beitrag leisten, denn das tragfähigste Fundament für
gelungene Integration sind gemeinsame Werte. Darin liegt die große Aufgabe der Religionen, die in ihren Werten
oftmals nahe beieinander liegen. Dabei ist selbstverständlich, zugleich auch die Vielfalt und die Unterschiedlichkeit
der Religionen und Konfessionen zu achten: Gemeinsame Werte zu haben, bedeutet nicht, dass die Begründung
dieser Werte aus denselben Quellen kommen muss. Religionen geben den Gläubigen Halt, und wer Halt hat, hat
auch die große Chance, weltoffen und geistig "geräumig" zu sein.
Integrationsleitbild des Landes Oberösterreich
Im Dezember 2003 erging ein Grundsatzbeschluss der oberösterreichischen Landesregierung zur Erstellung eines
Integrationsleitbildes des Landes Oberösterreich, um die Integration von und mit ausländischen Zuwanderinnen
und Zuwanderern in Oberösterreich zu verbessern. Dieses Leitbild sollte einerseits Handlungskonzepte und Ziele
formulieren, anderseits aber auch Strategien und konkrete Maßnahmen.
In diesem Sinne wurde zwischen 2005 und 2007 unter Mitwirkung von über 200 Institutionen und Akteurinnen und
Akteuren aus Politik, Verwaltung und Praxis (NGOs, AMS, etc.) das Integrationsleitbild des Landes Oberösterreich
"Einbeziehung statt Einordnen - Zusammenleben in Oberösterreich" erarbeitet, das so etwas wie einen
Kompass oder ein Grundsatzbuch für die nächsten 20 Jahre darstellt. Es enthält sowohl programmatische
Leitlinien für eine zukunftsorientierte Integrationspolitik in Oberösterreich ("Vielfalt leben -
Teilhabe sichern - Zusammenhalt stärken - Gemeinsam Verantwortung tragen") als auch konkrete, aufeinander
abgestimmte strategische und operative Maßnahmenempfehlungen für eine verbesserte Integration von und
mit Zugewanderten, gegliedert nach den Handlungsfeldern
- Sprache
- Bildung, Erziehung, Schule
- Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Ausbildung
- Verwaltung, Gleichstellung, Partizipation, Sicherheit
- Gesundheit und Soziales
- Wohnen, Wohnumfeld, Zusammenleben
- Freizeit und Sport sowie
- Kultur und Religion.
Am 2. April 2009 hat der oberösterreichische Landtag das Integrationsleitbild des Landes Oberösterreich
beschlossen und die oberösterreichische Landesregierung ersucht, dem Landtag erstmals zum 31. Oktober 2010
und in weiterer Folge in Abständen von zwei Jahren vom Stand der Umsetzungsmaßnahmen betreffend das
Integrationsleitbild des Landes Oberösterreich zu berichten.
Einrichtung eines oö. Religionsbeirates
Im Rahmen des Handlungsfeldes Kultur und Religion, Schwerpunkt Religion sieht das Integrationsleitbild als Maßnahmenempfehlung
die Schaffung eines oberösterreichischen Religionsbeirates vor. Ziel soll die Verbesserung des Informationsaustausches
über Grundsatzpositionen und gelebte Alltagskultur unterschiedlicher Religionsgemeinschaften in Oberösterreich
und die Intensivierung des interkulturellen Austausches sein. Er soll das in Oberösterreich bereits jetzt
bestehende gute Miteinander der Religionen verstärken, den Austausch über Gemeinsamkeiten, aber auch
über Unterschiede auf eine bereite und fachlich fundierte Grundlage stellen und eine Diskussion über
konkrete Alltagsfragen ermöglichen. Die Grundpositionierung eines aufgeklärten europäischen Staatswesens
im Sinne der Gleichstellung der Geschlechter, einer grundsätzlichen Trennung zwischen Religion und Staat wie
auch der Grundpositionierung der Menschenrechte wird dabei als Diskussionsgrundlage außer Zweifel gestellt.
Die fachliche Begleitung dieses Religionsbeirates sollte einem professionellen Religionsexperten bzw. einer professionellen
Religionsexpertin als Moderator bzw. Moderatorin übertragen werden, welchem bzw. welcher die Aufgabe obliegt,
in diesem Gremium die unterschiedlichsten Positionen, Einschätzungen und Kommentare zu allen gesetzlichen
Rahmenbedingungen sowie grundsätzliche Entwicklungen diskursiv zu erfassen und zu kommunizieren. Dabei soll
insbesondere auch auf die Diversität der heutigen Gesellschaft (Jugend - Alter, Mann - Frau, Kinderlose -
Eltern, etc.) Bedacht genommen werden. Darüber hinaus sollte diese Expertin bzw. dieser Experte auch für
eine aktive Informationspolitik über Fragen unterschiedlicher Alltagskulturen der Religionsgemeinschaften
(Vorträge, Seminare, etc.) zur Verfügung stehen.
Als erste Umsetzungsmaßnahme im Bereich des Schwerpunktes Religion fand im Jänner 2011 ein Neujahrsempfang
für religiöse Vertreterinnen und Vertreter der anerkannten Religions- und Glaubensgemeinschaften in Oberösterreich
bei Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Ackerl statt. Von den Anwesenden wurde bei dieser Gelegenheit großes
Interesse an der vorgesehenen Gründung des Religionsbeirates sowie die Bereitschaft, sich in ein solches Gremium
aktiv einzubringen, bekundet.
Konstituierende Sitzung des oö. Religionsbeirates
Am 17.04.2012 wurde nunmehr der Religionsbeirat für Oberösterreich, dessen Geschäftsstelle bei der
Abteilung Präsidium des Amtes der oberösterreichischen Landesregierung eingerichtet ist, im Rahmen einer
konstituierenden Sitzung in den Redoutensälen offiziell gestartet. Um die Diskussion und den Austausch zwischen
den Religionen auf eine möglichst breite Grundlage zu stützen, wurden sowohl die gesetzlich anerkannten
Kirchen und Religionsgesellschaften, als auch die anerkannten Bekenntnisgemeinschaften zur Teilnahme an diesem
Gremium eingeladen.
Künftig soll sich der Religionsbeirat halbjährlich treffen, um insbesondere konkrete Alltagsfragen verschiedener
Religionen in Oberösterreich zu behandeln.
Die eingeladenen Glaubensgemeinschaften zeigten großes Interesse an der Tätigkeit des Religionsbeirates
und der damit geschaffenen Möglichkeit eines verstärkten interreligiösen Austausches, sodass Landeshauptmann
Dr. Josef Pühringer als Vorsitzender sowie Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Ackerl als Vorsitzender-Stellvertreter
bei der konstituierenden Sitzung am 17.04.2012 mehr als dreißig Vertreter und Vertreterinnen der unterschiedlichsten
Religions- und Bekenntnisgemeinschaften begrüßen durften.
Als Religionsexperte konnte der ehemalige Landesdirektor des ORF-Landesstudios, Dr. Helmut Obermayr, gewonnen werden,
welcher nicht nur die konstituierende Sitzung des oberösterreichischen Religionsbeirates leitete, sondern
diesem Gremium bzw. den darin vertretenen Glaubensgemeinschaften auch in Zukunft als Moderator in beratender und
koordinierender Funktion zur Seite stehen wird.
Diskussionspunkte bzw. Ergebnisse der konstituierenden Sitzung
Anlässlich der konstituierenden Sitzung äußerten sämtliche Vertreterinnen und Vertreter ihre
Freude über die bzw. ihr Interesse an der Einrichtung des oö. Religionsbeirates. Einzigartig daran ist
insbesondere die breite Einbeziehung sämtlicher in Oberösterreich aktiven Religions- und Bekenntnisgemeinschaften.
Vergleichbare Initiativen von Kirchen, Religionsgesellschaften oder Bekenntnisgemeinschaften beschränkten
sich bis dato auf jeweils ausgewählte Gruppen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer begrüßten daher
diese Einrichtung auch als Möglichkeit des Kennenlernens bisher wenig(er) bekannter Glaubensrichtungen.
Seitens der Vertreterinnen und Vertreter wurden insbesondere folgende Themen angesprochen:
- Anerkennungsverfahren
- gegenseitiges (persönliches) Kennenlernen, Herstellen von Kontakten
- Kinder- und Jugendarbeit
- Vermittlung gemeinsamer Werte
- Fragen des Alltags, zB (außerschulischer) Religionsunterreicht
- (schwierige) mediale Berichterstattung
- Abbau von Vorurteilen
- Religion im öffentlichen Raum
- Integrationsarbeit - Austausch über best practice
Als mögliche konkrete Diskussionspunkte für künftige Sitzungen wurden vorgeschlagen:
- Herstellung eines Netzwerks von Ansprechpersonen: Als erster Schritt wird hierfür den Mitgliedern ein
vollständiges Adressenverzeichnis mit den jeweiligen Ansprechpersonen zur Verfügung gestellt. Dies erleichtert
den informellen Austausch bzw. dient in weiterer Folge dem Religionsbeirat als Grundlage zur Errichtung von allfälligen
Arbeitsgruppen.
- Grundinformationen über Glaubensrichtungen: Von einer Mehrzahl der Vertreterinnen und Vertreter wurde
der Wunsch nach Erstellung von Grundinformationen, wie etwa religiöse Feiertage, geäußert. Diese
Grundinformationen könnten insbesondere in der allseits als zentral betrachteten Kinder- und Jugendarbeit
Verwendung finden.
- Seelsorge im Kranken- und Pflegebereich: Besonders in sensiblen Bereichen wie in Krankenhäusern oder Pflegeheimen
stellen sich im Alltag regelmäßig Fragen im Umgang mit verschiedenen Glaubensrichtungen. Diese Anlassfälle
könnten im Rahmen des Beirats gesammelt und entsprechende Lösungsvorschläge erarbeitet werden.
Liste der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften und der anerkannten Bekenntnisgemeinschaften
Gesetzlich anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften:
- Katholische Kirche; Diözese Linz
- Evangelische A.B.
- Evangelische Kirche H.B.
- Griechisch-orientalische Metropolis von Austria
- Griechisch-orientalische Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit
- Griechisch-orientalische Kirchengemeinde zum Hl. Georg
- Serbisch-griechisch-orientalische Kirchengemeinde zum Hl. Sava
- Rumänisch-griechisch orientalische Kirchengemeinde zur Hl. Auferstehung
- Russisch-orthodoxe Kirchengemeinde zum Hl. Nikolaus
- Bulgarisch orthodoxe Kirchengemeinde zum Hl. Iwan Rilski
- Armenisch-Apostolische Kirche
- Syrisch-orthodoxe Kirche
- Koptisch-orthodoxe Kirche
- Altkatholische Kirche
- Evangelisch methodistische Kirche in Österreich
- Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen)
- Neuapostolische Kirche
- Israelitische Religionsgesellschaft
- Islamische Glaubensgemeinschaft
- Österreichische Buddhistische Religionsgesellschaft
- Jehovas Zeugen
Anerkannte Bekenntnisgemeinschaften
- Bahá? i - Religionsgemeinschaft
- Bund der Baptistengemeinden
- Bund Evangelikaler Gemeinden
- Die Christengemeinschaft - Bewegung für religiöse Erneuerung
- Elaia Christengemeinden (ECG)
- Freie Christengemeinde / Pfingstgemeinde (FCGÖ)
- Hinduistische Religionsgesellschaft
- Islamische Alevitische Glaubensgemeinschaft
- Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten
- Mennonitische Freikirche Österreich (MFÖ)
- Pfingstkirche Gemeinde Gottes
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