Mindestsicherung  

erstellt am
10. 05. 12

 Hundstorfer: Mindestsicherung bringt zahlreiche Verbesserungen
Über 23.300 Menschen in den Arbeitsmarkt integriert
Wien (bmask) - "Durch die Mindestsicherung haben betroffenen Menschen eine deutlich bessere Chance, wieder auf den Arbeitsmarkt zurück zu kehren. Über 23.300 Menschen konnten seit Einführung der Mindestsicherung wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden", so Sozialminister Rudolf Hundstorfer am 10.05. Außerdem wurden mit der Mindestsicherung über 36.900 Menschen endlich richtig krankenversichert, was auch die Armutskonferenz heute positiv bewertet hat.

Von der Verbesserung bei der Notstandshilfe profitieren 100.000 Personen. Gerade für Alleinerziehende stelle die Mindestsicherung eine deutliche Verbesserung dar, unterstrich Hundstorfer. Ziel der Mindestsicherung seien einheitliche Mindeststandards gewesen, diese wurden auch erreicht. Durch die vorgesehene Möglichkeit, diese Mindeststandards zu übertreffen, sei es aber klar, dass es zu keiner vollständigen Vereinheitlichung komme.

 

Armutskonferenz: Mindestsicherung hält nicht was sie verspricht
Evaluierungsstudie zur Umsetzung der Mindestsicherung: Je nach Bundesland unterschiedliche Ansprüche & Hilfen sachlich nicht gerechtfertigt.
Wien (armutskonferenz) - "Länder und Bund sind mit dem Ziel angetreten die je nach Bundesland unterschiedliche Sozialhilfe zu vereinheitlichen. Von einer österreichweit einheitlichen Regelung kann jedoch nach wie vor nicht die Rede sein. Letztendlich herausgekommen sind Mindestsicherungs-Gesetze, die in ihrer Unübersichtlichkeit den alten Sozialhilfe-Gesetzen in nichts nachstehen", so die Armutskonferenz, die am 10.05. die Ergebnisse einer umfangreichen Erhebung zur Umsetzung der Mindestsicherung in den neun Bundesländern präsentierte. "Nach wie vor gilt: was jemand in welcher Lebenssituation zusteht, wird nach wie vor wesentlich vom Wohnort bestimmt. Das entbehrt sachlich jeder Rechtfertigung. Gehäuft treten Probleme in den Bundesländern Niederösterreich, Kärnten, Burgenland und Steiermark auf."

Wer hier den Überblick bewahren will, braucht viel Geduld - sowie einen langen Atem. Und sollte sich am besten gleich auf einen Marathonlauf einstellen: Denn in Ende des Auseinanderdriftens ist nicht in Sicht. Der Novellierungs-Reigen hat, wenige Monate nach der Einführung der Gesetze, bereits begonnen. Damit droht dem letzten Netz im Sozialstaat ein deja-vu: Als die Bundesländer in den 1970er-Jahren ihre Sozialhilfegesetze verabschiedeten, lehnten sie sich ebenfalls zunächst an einen Musterentwurf an. Durch Novellierungen dieser Gesetze kam es aber zu immer stärker von einander abweichenden Rechtsgrundlagen. Damit war das Substrat geschaffen, auf dem die Idee der Bedarfsorientierten Mindestsicherung wuchs.

Die neue Mindestsicherung ist im Wesentlichen die alte Sozialhilfe. Sie ist im Kern eine Sozialhilfereform mit Mindestsicherungselementen. Sie ersetzt nicht die Sozialhilfe, sondern baut sich in das bestehende System der neun Bundesländerregelungen ein. Es gibt weiter neun verschiedene Standards. Denn in vielen Punkten bleibt die Ausgestaltung zentraler Elemente den Landesgesetzgebern bzw. den Vollzugsrichtlinien der Behörden überlassen.

Die Monitoringstudie der Armutskonferenz, die die Rechtsgrundlagen der Bundesländer zur Mindestsicherung vergleicht, liefert ein realistisches Bild: Es gibt Verbesserungen und Verschlechterungen gleichzeitig, in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen je nach Bundesland und Haushalt - und zudem ungelöste Probleme, die auch in der Mindestsicherung nicht angegangen wurden.

  • Sozialhilfe-Bezieher waren teilweise in den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen, Mindestsicherungs- Bezieher sind es zur Gänze. Dennoch fallen ihnen im Krankheitsfall oft Kosten an: nur wenige Bundesländer sehen vor, dass Selbstbehalte für Heilbehilfe und Hilfsmittel von der Mindestsicherung übernommen werden müssen.
  • AlleinerzieherInnen erhalten nun in allen Bundesländern mehr Geld als früher - allerdings in der Regel nur, wenn die Kinder, die ihnen gegenüber unterhaltsberechtigt sind, noch minderjährig sind.
  • Alle Bundesländer haben das Recht auf ein unbefristetes Schonvermögen eingeführt dafür sind in fast allen Bundesländern Rechtsansprüche auf Zusatzleistungen in besonderen Notlagen weggefallen. Und die Pflicht zur grundbücherlichen Sicherstellung des Eigenheims, mit dem das Sozialamt ein Pfandrecht erhält, besteht nach wie vor (wenn auch "erst" nach 6 Monaten Leistungsbezug).
  • Verwandte sind nicht mehr zum Regress (Pflicht, erhaltene Mittel wieder zurück zu zahlen) verpflichtet - allerdings sehen einige Bundesländer für Verwandte de facto Regress-Pflichten vor: Unterhaltsrechte gehen auf das Land über, wenn nach dem ABGB Unterhaltsverpflichtungen bestehen, in anderen Ländern sind die Mitglieder eines Haushaltes wechselseitig zum solidarischen Ersatz der Leistungen verpflichtet.
  • Fast alle Bundesländer haben die Pflicht zum schriftlichen Bescheid eingeführt - die Frist, um gegen einen Bescheid zu berufen, haben aber nur die wenigsten über die vorgeschriebenen 2 Wochen hinaus ausgedehnt.
  • Minderjährige, alleinstehende Jugendliche haben in fast allen Bundesländern kein eigenständiges Antragsrecht.
  • Lebensgemeinschaften werden wie Ehen behandelt - obwohl in Lebensgemeinschaften keine Unterhaltspflichten bestehen und vor keinem Gericht eingeklagt werden können.
  • Grundsätzlich ist es möglich, die gesamte Leistung für den Lebensunterhalt (Ausnahme: Wohnen) im Zuge von Sanktionen zu streichen - in einigen Bundesländern eine Verschlechterung. Selbst wenn die Leistungen von Haushaltsangehörigen nicht gekürzt werden dürfen, ist doch klar: Der ganze Haushalt muss unter den Folgen von Leistungskürzungen leiden, die ein Mitglied als Sanktionsmaßnahme hinnehmen muss - können Drittstaatsangehörige den richtigen Aufenthaltstitel (Daueraufenthaltstitel) nicht vorweisen, haben sie keinen Anspruch auf Leistungen, auch wenn Drittstaatsangehörige schon seit langem legal in Österreich leben und als Aufenthaltsverfestigte nicht wegen Mittellosigkeit abgeschoben werden dürfen.


Die Ergebnisse der Evaluierung machen klar: Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung ist weder "bedarfsorientiert", noch ist sie eine "Mindestsicherung". Wo reale Lebenshaltungskosten links liegen bleiben, kann von "Mindestsicherung" keine Rede sein. Wo sich Ansprüche auf zusätzliche Leistungen in konkreten Notsituationen unter dem neuen Zauberwort "Pauschalisierung" in Luft auflösen, steht es um die "Bedarfsorientierung" schlechter denn je. Und wo man verschiedene Bevölkerungsgruppen ohne Ansprüche im Regen stehen lässt, entpuppt sich der "Meilenstein der Armutsbekämpfung" als Stolperstein in den sozialen Abstieg.

Mit der Mindestsicherung wird jetzt das Sozialsystem "armutsfest" gemacht. Sagen die einen. Jetzt wird ja keiner mehr arbeiten gehen. Sagen die anderen. Nichts von beiden ist eingetreten. Die Mindestsicherung macht weder das Sozialsystem armutsfest, noch führt sie dazu, dass keiner mehr arbeiten geht. Man kann rhetorisch und ideologisch wieder abrüsten. Mit der Mindestsicherung wurden völlig falsche Erwartungen geweckt. Bei den Hilfesuchenden ebenso wie bei den prinzipiellen Gegnern von Sozialtransfers für Arme.

Besser präventiv verhindern, dass Menschen in Mindestsicherung fallen
Wien (OTS) - "Angesichts der wachsenden sozialen Notlagen kann es keine halben Lösungen für ganze Probleme geben.", zieht die Armutskonferenz Schlüsse aus der ersten Evaluierungsstudie zur Mindestsicherung, die heute präsentiert wurde. "Es kann keine Mindestsicherung geben, die diesen Namen verdient, ohne dass die tatsächlichen Wohnkosten für Armutsbetroffene abgedeckt werden, ohne die Sicherung österreichweiter Standards bei existentiellen Nöten in besonderen Lebenslagen (kaputter Boiler, Geburt eines Kindes, Schulsachen etc), ohne eine bürgerfreundliche Reform des Vollzugs in den Ländern. Die Mindestsicherung ist nur dann "bedarfsorientiert" wenn es passende Angebote für die jeweilige Notlage der Betroffenen gibt. Wenn "workless poor" nicht in "working poor" verwandelt werden mit prekären, nachhaltig dequalifizierenden Jobs. Wenn die vielfältigen Problemlagen wie Wohnen, Kinderbetreuung, gesundheitliche Beeinträchtigungen, Schuldenregulierung bearbeitet werden. Wenn der ganze Mensch in den Blick kommt."

Besser: Präventiv verhindern, dass Menschen in Mindestsicherung fallen
Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung liegt uns am Herzen. Weil sie das letzte Netz im Sozialstaat ist, nach der nichts mehr kommt. Doch dieses Netz trägt nicht nur schlecht, weil es schlecht geknüpft ist. Es trägt auch schlecht, weil viel zu viel darauf abgeladen wird. Die Mindestsicherung kann nicht Staubsauger für alle strukturellen Probleme sein, die in der Mitte der Gesellschaft angelegt sind: Arbeitslosigkeit, Pflegenotstand, prekäre Jobs, mangelnde soziale Aufstiegschancen im Bildungssystem. Die Mindestsicherung sollte wie schon die alte Sozialhilfe nur jene auffangen müssen, die spärlich durch die eng geknüpften Maschen der vorgelagerten Netze rutschen. Die vorgelagerten Netze aber, allen voran die Sozialversicherung, haben Risse bekommen. Risse, die immer breiter werden. Erwerbslose, working poor, AlleinerzieherInnen: wo der Sozialstaat mit den Veränderungen in Ökonomie und Gesellschaft nicht Schritt hält und keine oder nur mickrige Sozialleistungen bereit hält, soll die Bedarfsorientierte Mindestsicherung gerade stehen. Besser ist es, präventiv zu verhindern, dass Leute in die Mindestsicherung fallen.

Wir können viel tun. Es gibt genügend Instrumente und Möglichkeiten, im Vollzug der Mindestsicherung, in der Schule, beim Wohnen, in der Ressourcenstärkung der Betroffenen und mit sozialen Dienstleistungen gegenzusteuern. Armut ist kein Naturereignis, das es mit jeder neuen Erhebung frisch zu bestaunen gilt.

Wer ist betroffen?
173.000 Menschen in Privathaushalten leben unter Sozialhilfe-Bedingungen, darunter 30 Prozent Kinder und Jugendliche. (aktuell verfügbare Zahlen der Statistik Austria). Die Anzahl hat sich seit Ende der 90er Jahre verdoppelt. Gründe dafür sind prekäre Jobs, fehlende oder nicht existenzsichernde Sozialleistungen bei Arbeitslosigkeit, psychische Erkrankungen und hohe Lebenshaltungskosten beim Wohnen. Prekäre Jobs mit daraus folgendem nicht existenzsichernden Arbeitslosengeld nehmen zu. Die neuen 'working poor' erhalten von der Mindestsicherung 'Mindeststandardergänzungen', um zu überleben.

Weiters haben Personen mit physischen oder psychischen Beeinträchtigungen auf dem Arbeitsmarkt schlechte Chancen. Besonders nehmen depressive Erschöpfungszustände zu: Erste Studien zeigen: 4 von 10 MindestsicherungsbezieherInnen haben gesundheitliche Beeinträchtigungen. Und die steigenden Lebenshaltungskosten beim Wohnen wirken sich bei geringem Einkommen überproportional stark aus. Eine aktuelle Studie über BezieherInnen von Sozialhilfe hat auf eindrückliche Weise die schwindende soziale Integrationskraft von Erwerbsarbeit gezeigt. Sie handelt von Menschen, die zwischen letztem sozialen Netz und schlechten, desintegrativen Jobs hin und her pendeln. Sogenannte "Pendler" und 'Wiedereinsteiger' machen bereits 42 Prozent der Mindestsicherungsbezieher aus. Sie pendeln zwischen der 'Zone der Entkoppelung' und der 'Zone der Verwundbarkeit' wie der Soziologe Robert Castel formuliert. Aus der Armut ohne Arbeit geht es in die Armut mit Arbeit - und umgekehrt. Hier verkommen die Sprüche von der 'Integration in den Arbeitsmarkt' zu realitätsleeren Parolen. Hier findet keine soziale Integration statt. Im Gegenteil. Hier entsteht soziale Ausgrenzung durch die Arbeit selbst.

Wenn wir genau hinschauen, entlarven sich Gewissheiten als Klischees. Es trifft viele, die es sich 'nie gedacht hätten'. Daten aus Wien zeigen, dass für die große Mehrheit die Mindestsicherung eine kurzfristige Überbrückungshilfe darstellt. Die durchschnittliche Bezugsdauer betrug rund 7 Monate, bei 25 Prozent bloß 1 bis 3 Monate. Nur rund 10 Prozent der Mindestsicherungs-Haushalte leben zur Gänze und dauerhaft von der Leistung.
http://www.armutskonferenz.at

     

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