DINGE. schlicht & einfach   

erstellt am
21. 05. 12

Wien (mak) - In einer außergewöhnlichen Herangehensweise erforscht die MAK-Ausstellung DINGE. schlicht & einfach das Ideal der Einfachheit epochen- und kulturübergreifend als ein prägendes und bedeutendes Element der Stilgeschichte. Die breit angelegte Sammlungsausstellung, die ab 13.06. im MAK Wien zu sehen ist, beschäftigt sich aus verschiedenen Perspektiven mit dem Prinzip der Reduktion, wobei Einfachheit nicht nur als Prämisse der Ästhetik sondern auch im Kontext gesellschaftspolitischer und soziologischer Phänomene diskutiert wird.

DINGE. schlicht & einfach vereint in einem bemerkenswerten kuratorischen Experiment drei parallel laufende Themenausstellungen. Kuratiert von drei Sammlungsleitern des MAK, spürt die Ausstellung der Ästhetik der Einfachheit sowohl in der europäischen als auch in der asiatischen Kunstgeschichte nach. Eindrucksvoll belegen die gezeigten Exponate, wie Reduktion über die Jahrhunderte in nahezu periodischen Wellen immer wieder stilgebend ist. Während Einfachheit in der Aufarbeitung des Möbeldesigns vor allem als gestalterisches Problem der Moderne untersucht wird, konzentriert sich der Ausstellungsteil zur Schlichtheit von alltäglichen Dingen auf die Gegenpole der Funktionalität im Gebrauch sowie der Mäßigung im Luxus. Die Erforschung der asiatischen Kunstgeschichte setzt Einfachheit in Relation zu Lebensart und Weltanschauung und gleichzeitig zu europäischen Tendenzen.

Einfache Möbel
Funktionalismus und Purismus, Bescheidenheit und Mäßigung, Ärmlichkeit und Luxus: Der Streifzug durch die einfache Möbelgestaltung vom Biedermeier über Möbel des frühen 20. Jahrhunderts und der Zwischenkriegszeit bis zu heutigen Positionen stellt im Ausstellungsteil Einfache Möbel die Fülle der Assoziationsfelder des Ideals der Einfachheit zur Schau. Exemplarisch liest sich diese stilistische Vielfalt dabei an einer Auswahl von Tischsituationen - Wohnzimmer- und Küchentische, aber auch Schreib- und Arbeitstische samt Stühlen und Hockern - seit dem frühen 19. Jahrhundert: Damals gewann einfache Zweckmäßigkeit erstmals als eigene ästhetische Qualität an Relevanz bei der Gestaltung von Gebrauchsgegenständen.reduzierten Formen, Verzicht auf Dekor und strenger Funktionalität, konnten sich etwa die Bugholzmöbel der Firma Gebrüder Thonet gegen den opulenten Zeitgeschmack des Historismus durchsetzen. Einfachheit gewann allerdings quer durch alle Bevölkerungsschichten an Relevanz. So wurden die um 1900 - entsprechend den beengten Wohnverhältnissen und geringen finanziellen Mitteln der Arbeiterklasse - vermehrt einfach entworfenen Möbel durchaus auch von der wohlhabenden Schicht geschätzt.

Das Paradoxon des "Reichtums der Einfachheit" ist heute aktueller denn je. Die minimalistische Ästhetik der amerikanischen Minimal Art, einer der bedeutendsten Künstlerbewegungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, gilt als stilbildend für Architektur und Design der Gegenwart. In einer Zeit, in der alles verfügbar zu sein scheint, schmückt man sich mit Einfachheit.

Schlicht im Gebrauch / Einfach im Luxus
Exponate aus Keramik, edlem und unedlem Metall, Glas und Textil skizzieren im Ausstellungsteil Schlicht im Gebrauch / Einfach im Luxus die Entwicklung der Schlichtheit im Gebrauchsgegenstand vom 15. Jahrhundert bis heute. An den Dingen des Alltags wird die der Einfachheit innewohnende Dichotomie zwischen Kargheit und Luxus besonders evident. So orientierten sich Gebrauchsdinge ab dem 15. Jahrhundert mit klaren Formen und äußerst sparsamem Dekor an der gewünschten Funktion und den vorherrschenden handwerklichen Fähigkeiten. Als ästhetisches Ideal fand Einfachheit allerdings schon damals Einlass in das Design des luxuriösen, repräsentativen und aus hochwertigen Materialien gefertigten Tafelgeräts. Mit einer unübertroffenen Einfachheit im Ausdruck üben undekorierte Silbergegenstände als Tischgerät und Toilettengarnituren, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Wien ausgeführt wurden, noch heute eine besondere Wirkung aus. Eine ähnliche Ästhetik findet sich bei zeitgleichen Erzeugnissen der Wiener Porzellanmanufaktur. Produkte beider Materialgruppen könnten Impulsgeber für die Entwerfer der Wiener Werkstätte gewesen sein. Einfache Gitterobjekte in Eisenblech und Silber nach Entwürfen von Josef Hoffmann und Koloman Moser sind ebenso einzigartige Beispiel der schlichten Form wie Bestecke, Kassetten oder Tee- und Kaffeeservice.

Dieser Ausstellungsteil zeigt darüber hinaus Schmuck der 1980er und 1990er Jahre des 20. Jahrhunderts, mit einer charakteristischen Reduktion im Entwurf bei gleichzeitiger Perfektion in der Ausführung. Mit den Protagonisten Peter Skubic, Manfred Nisslmüller, Gert Mosettig und Helfried Kodré nimmt Wien hier eine wichtige Position ein.

Einfachheit: der ostasiatische Weg
Die Zuwendung zur Einfachheit lässt sich in den ostasiatischen Ländern erstmals in China ab dem 11. Jahrhundert, parallel zum Übergang vom Militärstaat zur Zivilverwaltung, durch Gelehrte und Beamte festmachen. In Anlehnung an den florierenden Chan-Buddhismus sowie an die eigene antike Denktradition schuf sich die neue regierende Schicht ihre eigene, vor allem gesellschaftspolitisch motivierte Ästhetik. Reduktion wurde zum Ausdruck einer vorbildhaften Bescheidenheit und fand auch ihren Niederschlag in der Gestaltung von Alltagsgegenständen. Die Song-Kultur übte einen starken Einfluss auf die Nachbarstaaten aus, die wiederum in Verbindung mit ihren eigenen Traditionen eigenständige Weiterentwicklungen hervorbrachten.

Auch wenn sich Japan mit einem bis ins 19. Jahrhundert regierenden Militärstand politisch konträr zu China entwickelte, fand auch dort die "Bescheidenheit" in einer entpolitisierten Ebene ihre eigene Ausprägung. Das nicht wörtlich übersetzbare Begriffspaar "wabi-sabi" deutet eine raffinierte, aber simple Schönheit an.

Lange Zeit war Europa vom Dekor- und Formenreichtum asiatischer Kulturen fasziniert; der ästhetische Gestaltungswille der neu importierten schlichten Dinge aus China, Japan und Korea regte in Europa ebenso zur Nachahmung an. Mit ausgewählten Objekten verfolgt dieser Ausstellungsteil ostasiatische Gestaltungsprinzipien durch die Jahrhunderte. Zur Ausstellung erscheint ein MAK/zine in deutscher und englischer Sprache.
     
Ínformationen: http://www.mak.at    
     
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