Wiener Charta: Ein Monat Charta-Gespräche - eine Bilanz   

erstellt am
21. 05. 12

Wien (rk) - Seit rund einem Monat finden in nahezu allen Bezirken Wiens Charta-Gespräche statt. Bisher wurden rund 60 Diskussionen organisiert, ein Großteil der Ergebnis-Protokolle ist bereits unter www.charta.wien.at im Internet nachzulesen. Die Liste der Veranstalter zeigt die breite Palette der BürgerInnenbeteiligung, die im Rahmen der Wiener Charta möglich ist: Charta-Gespräche haben bereits in nahezu allen Wiener Gemeindebezirken stattgefunden. Stark vertreten sind Gruppen, in denen sich MieterInnen von Wohnhausanlagen oder BewohnerInnen bestimmter Stadtteile und/oder Bezirke getroffen haben. Auch Menschen, die einen Arbeitsplatz oder einen gemeinsamen Beruf teilen, haben gemeinsam diskutiert. Beispiele dafür sind Diskussionen am Großgrünmarkt, in einem Bezirksgesundheitsamt, unter LehrerInnen und SozialarbeiterInnen und ein Charta-Gespräch des gastronomischen Managements der Wiener Pensionistenwohnhäuser. Auch Vereine und Interessensgruppierungen waren im Rahmen der Wiener Charta bereits aktiv: Hier gab es Diskussionen mit religiösem Hintergrund, in Frauengruppen und Elterncafes aber auch bei WITAF, einer Organisation, die die Interessen Gehörloser vertritt und bei Asyl in Not. Jugendliche der Hanssonsiedlung diskutierten ebenso wie BewohnerInnen des Pensionisten-Wohnhauses Margareten. Charta-Gespäche wurden auch in Volkshochschulen durchgeführt und waren Ergebnis von Privatinitiativen, so etwa eine Diskussion im Eissalon "Le Sette Fontana" im 5. Bezirk.

Was die Wienerinnen und Wiener bewegt
Der Beirat der Wiener Charta hat Mitte April drei Themenfelder definiert, zu denen diskutiert werden kann: "Miteinander auskommen", das etwa Verhalten im Straßenverkehr und in den öffentlichen Verkehrsmitteln und Umgangsformen im Alltag, Rücksicht im Zusammenleben u.a. umfasst. "Nicht immer dasselbe" mit den Themen jung und alt, Deutsch sprechen – andere Sprachen sprechen und: Ich und die, die anders sind als ich. Und: "aufgeräumt wohlfühlen", wo es um die Sauberkeit in der Stadt und um die Gestaltung des öffentlichen Raums geht.

Knapp die Hälfte der Gruppen hat im ersten Monat zum Themenbereich "Miteinander auskommen" diskutiert. Freundlichkeit, Verständnis und Hilfsbereitschaft sind hier wichtige Aspekte. "Grüßen nicht als Pflicht, sondern weil es schön(er) ist", formulieren es die DiskutantInnen im Regionalforum Floridsdorf. Dabei wird viel Gewicht auf jeden einzelnen gelegt, der eine Vorbildfunktion übernehmen kann, indem gute Umgangsformen an den Tag gelegt und direkte Kontakte auf Eigeninitiative hergestellt werden. Viele Gruppen stellen fest, dass es nicht darum geht, Probleme nicht anzusprechen – im Gegenteil: aber es wird vorgeschlagen, offen, respektvoll und höflich miteinander umzugehen. Das betrifft unterschiedliche Religionen und Kulturen ebenso wie Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung oder unterschiedlichen Alters. Bei Problemen – so etwa hinsichtlich der Frage, ob Regeln eingehalten werden - soll die Kommunikation möglichst auf die Sachebene verlegt werden, d.h. man kann möglichst höflich darauf hinweisen, wenn jemand die Hausordnung oder andere Regeln nicht einhält. Es wird auch als wichtig erachtet, mehr Zivilcourage zu zeigen. "Der echte Dialog heißt nicht nur zuhören sondern auch die Bereitschaft, die eigene Meinung zu ändern", formuliert es die Initiative Weltethos Österreich.

Fast ebenso viele Gruppen haben sich dem Themenbereich "Nicht immer dasselbe" gewidmet. Viele DiskussionsteilnehmerInnen erachten Information über andere Gruppierungen als wesentlich, um ein gutes Zusammenleben gewährleisten zu können. Sie treten dafür ein, eine größere Offenheit für anderes und gegenseitige Toleranz und Verständnis zu zeigen. Die Gruppe des gastronomischen Managements der Wiener Pensionistenwohnhäuser schlägt zum Thema Jung und Alt vor, "in den Schuhen anderer" zu gehen, "um deren Sichtweise zu verstehen". Dass durch offene Kommunikation Vorurteile an Frauen mit Kopfbedeckung abgebaut werden kann, meinen die Teilnehmerinnen eines Mama lernt Deutsch-Kurses. Wichtig ist es aber auch, die eigene Meinung zu sagen und Probleme direkt anzusprechen. Dabei geht es – und da sind sich die unterschiedlichen Gruppen einig - immer um das "Wie": Einander respektvoll wahrnehmen, grüßen, lächeln sind die Vorschläge, die hier gemacht werden. "Wir wünschen uns mehr Humor im Umgang miteinander", ist ein Ergebnis der Diskussion von ANIMA. Oftmals wird vorgeschlagen, hilfsbereiter zu sein und Solidarität mit den Schwächeren aktiv zu zeigen – von vielen wird mehr Zivilcourage gewünscht. Deutsch als gemeinsame Sprache wird ebenso angesprochen wie der positive Effekt, wenn man über Grundkenntnisse in anderen Sprachen verfügt.

Obwohl die Themenbereiche Sauberkeit und Gestaltung des öffentlichen Raums in der Phase des Themensammelns oftmals genannt wurden, haben erst zwei Gruppen explizit zum Thema "Aufgeräumt wohlfühlen" diskutiert. Trotzdem wird dieser Bereich des Zusammenlebens auch in anderen Gruppen thematisiert. Hier geht es vor allem um das Miteinander im Wohnumfeld. "Wenn ich mit einer Situation nicht zufrieden bin, soll ich selbst 'Stein des Anstoßes' sein und das Thema ins Rollen bringen", steht im Protokoll der Diskussionsgruppe der VHS Simmering. Wichtig ist es dann aber, das Miteinander gemeinsam zu erarbeiten. Das kann die Frage betreffen, zu welcher Zeit im Hof Ball gespielt werden kann/darf/soll. Dabei ist es wünschenswert, auch die Information, die hinter Verboten steht, gut aufzubereiten und zu kommunizieren. Die TeilnehmerInnen sind überzeugt, dass Verbote dann besser verstanden und leichter akzeptiert werden können. Trotzdem soll man sich nicht nur auf Verbote berufen, sondern diese auch in Frage stellen. Möglicherweise hilft auch ein Umdenken: "Was kann ich erlauben?” und nicht "Was muss ich verbieten?” sollte die Maxime sein. Auch hier ist mehr Zivilcourage der einzelnen gefragt, um "Nicht-Wissende" anzusprechen, zu informieren und aufzuklären. Die DiskutantInnen der Jugendplattform Leopoldstadt wünschen sich die Unterstützung von NutzerInnengruppen (z.B. Jugendliche, Familien,...) zwecks Mitsprache und Durchsetzung deren Interessen im "halböffentlichen" und öffentlichen Raum.

Weitere Schwerpunkte von Gruppen, die über alle Themen diskutiert haben, sind mehr Respekt, Nachbarschaftshilfe und eine positive Einstellung gegenüber den Mitmenschen. "Wir wollen ältere NachbarInnen unterstützen, u.a. beim Einkaufen und wünschen uns, wenn wir auf Urlaub sind, dass auch sie uns u.a. beim Blumen gießen unterstützen", sagen die Diskutierenden im Hubyarlilar Verein, die sich vornehmen, mehr zu lächeln, im Stiegenhaus zu grüßen und aktiv auf NachbarInnen zuzugehen. "Veränderung beginnt bei mir selbst. Eine Veränderung bei mir bewirkt auch eine Veränderung im gesamten System", stellen auch die Diskutierenden eines Charta-Gesprächs in Wieden fest.

"Wie man in den Wald ruft so kommt es zurück", stellt eine Frauengruppe aus dem Karl Wrba-Hof fest, die im Rahmen der Diskussion zum ersten Mal bereits seit langer Zeit bestehende Missverständnisse zur Sprache bringt. Ihr Ergebnis ist, dass man bei Fehlern von anderen nachsichtiger sein - oder sich entschuldigen könnte. Türkische Frauen, die im Jakob-Winter-Park ein Charta-Gespräch geführt haben, wünschen sich einen respektvollen Umgang, auch wenn sie ein Kopftuch tragen und ihre Muttersprache sprechen. Sie schlagen aber auch vor, dass TürkInnen leiser sprechen könnten, wenn das laute Sprechen als unangenehm aufgefasst wird. Für die Frauen ist es wichtig, dass sich Menschen, die in Österreich leben, mit diesem Land identifizieren und "eine Art Liebe für das Land entwickeln" können.

Zusammengefasst zeigt sich, dass es in vielen Gruppen darum ging, selbst initiativ und aktiv zu werden und eine gewisse Sensibilität hinsichtlich anderer Sichtweisen zu bekommen. Inhaltlich werden in vielen Diskussionen trotz unterschiedlicher TeilnehmerInnen ähnliche Themen angesprochen, die Lösungsvorschläge sind oft auf das ganz persönliche Umfeld und die jeweilige Problemlage zugeschnitten.

Wie kann ich mitmachen?
Charta-Gespräche finden noch bis Mitte Oktober statt. Derzeit gibt es Anmeldungen für rund 150 Gespräche - eine Zahl, die sich täglich ändert, da kontinuierlich neue Anmeldungen einlangen. Nicht nur die 287 Partner der Wiener Charta, das sind Organisationen, Vereine, Firmen usw., werden Gespräche organisieren. Auch Privatpersonen können selbst eine Gruppe organisieren.
     
Informationen: http://www.charta.wien.at    
     
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