PsychologInnen der Uni Graz warnen vor erhöhtem Gesundheitsrisiko
Graz (universität) - Die Anzahl der Menschen in Österreich, die wegen psychischer Störungen
in Krankenstand gehen, steigt derzeit drastisch an. Hierzulande werden außerdem europaweit die meisten Überstunden
gezählt. PsychologInnen der Uni Graz warnen vor dem relativen Gesundheitsrisiko, das 60-Stunden-Arbeitswochen
über einen längeren Zeitraum darstellen: „Eine derart große Beanspruchung ohne entsprechende Regeneration
kommt für den Körper einer Belastung von etwa 20 Zigaretten pro Tag gleich“, stellen Univ.-Prof. Dr.
Wolfgang Kallus und Dr. Paul Jimenez vom Bereich Arbeitspsychologie der Karl-Franzens-Universität fest. Die
Gründe für die kollektive Überanstrengung sehen die Experten einerseits im großen Anteil hoch
leistungsfähiger kleiner und mittlerer Unternehmen in Österreich, andererseits in einer Kombination
aus gestiegenen Anforderungen, wenig Wertschätzung und gleichzeitiger wirtschaftlicher Unsicherheit.
Persönliche Interaktionen sind in der Jobwelt immer wichtiger geworden: „Stand früher die Technologisierung
der Arbeit im Vordergrund, so ist es heute deren Personalisierung“, erklärt Jimenez. Diese aktuellen Arbeitssituationen
verlangen oft Leistungen, die psychische Herausforderungen mit sich bringen. Dazu gehört zum Beispiel, bestimmte
„Rollen“ – etwa „der/die gut gelaunte VerkäuferIn oder der/die verständnisvolle PflegerIn“ – überzeugend
zu übernehmen und dabei die eigenen Gefühle zurückzustellen. Doch: „Diese Art der Emotionskontrolle
stresst“, betont Kallus. Gleichzeitig bleibt aufgrund des gestiegenen Arbeitstempos immer weniger Zeit für
den gegenseitigen Ausdruck von Anerkennung und Wertschätzung, kritisieren die Psychologen. Zudem fällt
die soziale Unterstützung der KollegInnen oft weg: „Viele Jobsituationen, etwa Telearbeit, werden als ‚dynamisch‘
und ‚flexibel‘ beschrieben, können aber auch zu sozialer Isolation führen“, so Kallus und Jimenez. Hinzu
kommt, dass die häufig unsichere wirtschaftliche Situation von ArbeitnehmerInnen als Stress empfunden wird.
Das Fazit der Experten: Diabetes, Burnout- oder Herz-Kreislauferkrankungen nehmen zu, auch, weil das Bewusstsein
für präventive Leistungen in diesem Bereich oft fehle. „Psychische Belastungsstörungen müssen
künftig durch ArbeitspsychologInnen besser evaluiert und in die Gesundheitsprogramme aufgenommen werden“,
unterstreicht Kallus. Außerdem: Sorgfältiges und achtsames Regenerieren in der Freizeit – hier obliegt
die Verantwortung den Einzelnen selbst – sei ein wesentliches Tool, um der alarmierenden Entwicklung gegenzusteuern.
Die Forschungsergebnisse zu „Long working hours“ an der Uni Graz fließen unter anderem auch in die Arbeit
der universitätsübergreifenden Plattform „Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie“ ein. |