Brüssel (ec.europa) - Die Europäische Kommission hat ein Paket von Empfehlungen für haushaltspolitische
Maßnahmen und Wirtschaftsreformen zur Förderung der Finanzstabilität, zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums
und zur Schaffung von Arbeitsplätzen in der EU angenommen. Die Empfehlungen sind länderspezifisch, tragen
also der Situation der einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung. Die Kommission hat zudem Empfehlungen für den gesamten
Euro-Raum ausgearbeitet und ihre Vorstellungen von den politischen Maßnahmen dargelegt, die auf EU-Ebene
ergriffen werden müssen, um die Maßnahmen der Mitgliedstaaten zu ergänzen, so dass eine ehrgeizige,
von zwei Säulen getragene EU-Wachstumsinitiative entsteht. Sie hat zudem die Schlussfolgerungen von zwölf
eingehenden Überprüfungen im Zusammenhang mit dem Verfahren bei einem makroökonomischen Ungleichgewicht
vorgestellt und an den Rat gerichtete Empfehlungen zu dem Verfahren bei einem übermäßigen Defizit
abgegeben.
Dazu Kommissionspräsident Barroso: „Die Kommission hat heute eine Reihe wichtiger Beschlüsse über
Maßnahmen gefällt, die die Mitgliedstaaten und die EUergreifen müssen, um unsere Wettbewerbsfähigkeit
zu verbessern, das Wachstum anzukurbeln, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und die Wirtschafts- und Währungsunion
nachhaltig zu stärken. Diese Beschlüsse spiegeln die zentrale Rolle wider, die die Kommission bei der
wirtschaftlichen Steuerung Europas spielt. Die von der Kommission ausgesprochenen Empfehlungen sind auf die einzelnen
Mitgliedstaaten zugeschnitten, aber Teil eines Gesamtkonzepts zur Wiederherstellung des Gleichgewichts der europäischen
Wirtschaft. Die EU befindet sich diesbezüglich bereits auf einem guten Weg: Die öffentliche Finanzlage
bessert sich wieder, und die bestehenden Ungleichgewichte lösen sich allmählich auf. Was das weitere
Vorgehen anbelangt, steht eines fest: Wir müssen unsere Anstrengungen nunmehr sowohl auf mitgliedstaatlicher
als auch auf EU-Ebene verdoppeln und noch schneller und weiter voranschreiten.“
Diese zweite Reihe jährlicher länderspezifischer Empfehlungen beinhaltet bestimmte Kernbotschaften: Auf
dem Gebiet der öffentlichen Finanzen ergreifen die Mitgliedstaaten im Großen und Ganzen die erforderlichen
Maßnahmen zur Wiederherstellung der Tragfähigkeit, doch sollte die Konsolidierung in verschiedenen Fällen
wachstumsfreundlicher gestaltet werden. Die Arbeitslosigkeit – insbesondere unter Jugendlichen – ist ein ernstes
Problem, und auch wenn es keine rasche Lösung hierfür gibt, sollten unverzüglich Maßnahmen
zur Steigerung der Produktivität und zur besseren Anpassung von Qualifikationen und Ausbildungsmaßnahmen
an die Anforderungen des Arbeitsmarkts ergriffen werden. Viele Mitgliedstaaten haben bereits umfassende Strukturreformen
eingeleitet, die auch dem Arbeitsmarkt gelten. Diese Reformen tragen dazu bei, die Wettbewerbsfähigkeit zu
verbessern und makroökonomische Ungleichgewichte in Europa abzubauen. Um das gesamte Wachstumpotenzial der
EU zu mobilisieren, neue Chancen für unternehmerische Entfaltung zu schaffen und die Möglichkeiten, die
der Dienstleistungs- und der Energiesektor sowie die digitale Wirtschaft für die Schaffung von Arbeitsplätzen
bieten, nutzen zu können, bedarf es jedoch noch weit größerer Anstrengungen in der gesamten EU.
Darüber hinaus hat die Kommission die wichtigsten weiteren Schritte auf dem Weg zu einer vollständigen
Wirtschafts- und Währungsunion vorgestellt, darunter eine Bankenunion, eine Finanzaufsicht für den Euro-Raum
und im gesamten Euro-Raum geltende Einlagengarantien. Dieser Prozess wird zwar bestimmte rechtliche Fragen wie
Änderungen von EU-Verträgen und nationalen Verfassungen berücksichtigen müssen, aber gleichzeitig
die demokratische Legitimität und die Verantwortbarkeit von nachfolgenden, noch weiter gehenden Integrationsmaßnahmen
erhöhen.
Inhalt des Pakets
Das Paket besteht aus drei miteinander verbundenen Komponenten. Die erste Komponente wird von länderspezifischen
Empfehlungen für die 27 Mitgliedstaaten sowie von Empfehlungen für den gesamten Euro-Raum gebildet, die
sich auf die Haushalts- und auf die Wirtschaftspolitik beziehen. Die Analysen, auf die sich die Empfehlungen gründen,
werden in 28 einschlägigen Arbeitsdokumenten der Kommissionsdienststellen dargelegt, und die das Paket überspannenden
politischen Überlegungen sind in einer Mitteilung über die geplanten Maßnahmen für mehr Stabilität,
Wachstum und Arbeitsplätze zusammengefasst.
Als zweite Komponente veröffentlicht die Kommission die Ergebnisse der Anfang des Jahres eingeleiteten eingehenden
Überprüfungen der zwölf Mitgliedstaaten, bei denen sie die Gefahr makroökonomischer Ungleichgewichte
sah. Die Kommission ist zu dem Schluss gekommen, dass die zwölf Mitgliedstaaten zwar mit Ungleichgewichten
zu kämpfen haben, diese aber in keinem Mitgliedstaat übermäßig hoch ausfallen. Die länderspezifischen
Empfehlungen enthalten Hinweise zur Vorbeugung.
Als dritte Komponente empfiehlt die Kommission dem Rat, die Defizitverfahren gegen Bulgarien und Deutschland einzustellen.
Darüber hinaus legt sie einen Vorschlag für einen Beschluss des Rates vor, dem zufolge Ungarn wirksame
Maßnahmen zur Korrektur seines übermäßigen Defizits ergriffen hat und die Aussetzung der
Kohäsionsfondsmittel für 2013 aufgehoben werden sollte.
1. Länderspezifische Empfehlungen 2012
Die heute von der Kommission vorgestellten länderspezifischen Empfehlungen enthalten operative Leitlinien
für die Mitgliedstaaten zur Vorbereitung ihrer Haushaltsstrategien und für Wirtschaftsreformen, die in
den kommenden zwölf Monaten in die Wege geleitet werden sollen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu fördern
und Arbeitsplätze zu schaffen. Die Annahme der Empfehlungen ist die letzte Phase des Europäischen Semesters
der wirtschaftspolitischen Koordinierung, das mit dem Jahreswachstumsbericht der Kommission vom 23. November 2011
eingeleitet wurde. Die Empfehlungen sollen vom Europäischen Rat vom 28./29. Juni bestätigt und im Juli
vom Rat formal angenommen werden.
Die Grundlage der Empfehlungen bildet eine sorgfältige Bewertung der Umsetzung der im letzten Jahr angenommenen
Empfehlungen, die sich auf eine detaillierte Analyse der Nationalen Reformprogramme und Stabilitäts- oder
Konvergenzprogramme1 stützt, die von den Mitgliedstaaten bis 30. April 2012 übermittelt wurden. Die den
Empfehlungen zugrunde liegende Analyse wird in 28 Arbeitsdokumenten der Kommissionsdienststellen erläutert
(ein Dokument pro Mitgliedstaat und eines für das Euro-Währungsgebiet). Zum ersten Mal spiegeln die Empfehlungen
dieses Jahr auch die Ergebnisse der zwölf eingehenden Überprüfungen wider, die vor dem Hintergrund
des Verfahrens bei einem übermäßigen Ungleichgewicht durchgeführt wurden (s. u.).
Die Empfehlungen decken eine Vielzahl von Themen ab, darunter öffentliche Finanzen sowie Strukturreformen
in den Bereichen Besteuerung, Renten, öffentliche Verwaltung, Dienstleistungen und arbeitsmarktpolitische
Fragen, insbesondere Jugendarbeitslosigkeit. An die Programmländer (Griechenland, Portugal, Irland und Rumänien)
richtet sich lediglich eine Empfehlung – sie sollen die im Rahmen des Programms vereinbarten Maßnahmen umsetzen.
2. Schlussfolgerungen der zwölf eingehenden Überprüfungen
Die eingehenden Überprüfungen sind Bestandteil des Verfahrens bei einem makroökonomischen Ungleichgewicht,
das eingeführt wurde, um makroökonomischen Ungleichgewichten vorzubeugen und diese zu korrigieren. Das
Verfahren wird dieses Jahr zum ersten Mal umgesetzt. Es wurden zwölf Mitgliedstaaten überprüft,
die dem Warnmechanismus-Bericht vom 14. Februar 2012 zufolge einer weiteren ökonomischen Analyse bedurften,
um festzustellen, ob makroökonomische Ungleichgewichte vorliegen oder die Gefahr besteht, dass sich Ungleichgewichte
ergeben. Bei den betroffenen Mitgliedstaaten handelt es sich um Belgien, Bulgarien, Dänemark, Finnland, Frankreich,
Italien, Ungarn, Schweden, Slowenien, Spanien, das Vereinigte Königreich und Zypern. In allen zwölf eingehenden
Überprüfungen werden Ursprung, Art und Umfang der potenziellen makroökonomischen Ungleichgewichte
untersucht, und es wird bewertet, ob in dem betreffenden Land tatsächlich ein Ungleichgewicht besteht und
welcher Art dieses Ungleichgewicht ist.
Die Überprüfungen bestätigen, dass in den zwölf Mitgliedstaaten makroökonomische Ungleichgewichte
existieren, die korrigiert und genau überwacht werden müssen. Darüber hinaus wird festgestellt,
dass bei der Korrektur der Ungleichgewichte generell Fortschritte erzielt wurden, was sich in den geringeren Leistungsbilanzdefiziten,
konvergierenden Lohnstückkosten, schwächeren Kreditströmen oder Korrekturen bei Immobilienpreisen
widerspiegelt. Bei einigen Mitgliedstaaten ist jedoch nicht klar, wie umfassend und tragfähig diese Korrektur
ist und ob sie in einem angemessenen Tempo voranschreitet. In vielen Fällen stellen die akkumulierten binnen-
und außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte weiterhin eine große Herausforderung dar, z. B. im Hinblick
auf die Verschuldung des privaten und des öffentlichen Sektors.
3. Vorschläge im Zusammenhang mit dem Defizitverfahren
Neben den länderspezifischen Empfehlungen und den Schlussfolgerungen der eingehenden Überprüfungen
legt die Europäische Kommission dem Rat heute außerdem drei Vorschläge im Zusammenhang mit dem
Defizitverfahren vor.
Erstens empfiehlt die Kommission dem Rat, die Defizitverfahren gegen Bulgarien und Deutschland gemäß
Artikel 126 Absatz 12 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union einzustellen. Im März
hatten Bulgarien und Deutschland für 2011 ein gesamtstaatliches Defizit von unter 3 % des BIP vermeldet. Nach
der Prüfung der Berechnungen durch Eurostat am 23. April 2012 und unter Berücksichtigung der Frühjahrsprognose
2012 der Kommissionsdienststellen, der zufolge die Defizite dauerhaft unter 3 % des BIP liegen werden, kam die
Kommission zu dem Schluss, dass die Korrektur der übermäßigen Defizite gewährleistet ist.
Zweitens wird die Kommission dem Rat vorschlagen, die Aussetzung von Kohäsionsfondsmitteln für Ungarn
aufzuheben, da das Land ihrer Feststellung nach die erforderlichen Maßnahmen zur Korrektur seines übermäßigen
Defizits im Einklang mit der Empfehlung des Rates vom 13. März 2012 ergriffen hat. Die Kommission ist in ihrer
Bewertung insbesondere zu dem Schluss gekommen, dass der Zielwert für das Haushaltsdefizit von 2,5 % des BIP
2012 erreicht werden dürfte und das Defizit 2013 – wie in der Frühjahrsprognose 2012 der Kommissionsdienststellen
erläutert – trotz der leicht schwächeren makroökonomischen Kennzahlen erwartungsgemäß
deutlich unter dem Richtwert von 3 % des BIP liegen wird. Die Kommission wird die Haushaltsentwicklung in Ungarn
im Einklang mit dem Vertrag und dem Stabilitäts- und Wachstumspakt weiterhin aufmerksam verfolgen. |