Neue Methode zur Behandlung von Gesichtsfeldausfällen Forscher der RUB und aus Durham berichten
Bochum (ruhr universität) - Patienten mit einem halbseitig blinden Sehfeld profitieren davon,
Schallreize auf der beeinträchtigten Seite zu hören. Nachdem sie eine Stunde lang passiv Tönen gelauscht
hatten, verbesserte sich ihre Wahrnehmung von Lichtreizen in der blinden Sehfeldhälfte signifikant. Verantwortlich
für diesen Effekt sind Nervenbahnen, die Informationen verschiedener Sinne gleichzeitig verarbeiten. "Wir
haben damit einen völlig neuen Weg der Therapie beschritten", sagt PD Dr. Jörg Lewald aus der RUB-Arbeitseinheit
Kognitionspsychologie. In PLoS ONE beschreibt er die Ergebnisse gemeinsam mit Kollegen der Neurologischen Universitätsklinik
am Bergmannsheil (Prof. Dr. Martin Tegenthoff) und der Universität in Durham (PD Dr. Markus Hausmann).
Passives Hören statt aufwendigem Sehtraining
Um die Wirksamkeit der Schallreize zu untersuchen, führte das Forscherteam vor und nach der akustischen
Stimulation einen Sehtest durch. Aufgabe der zehn Patienten war es, die Position von Lichtblitzen im gesunden und
im blinden Sehfeld zu bestimmen. Während die Leistung in der intakten Sehfeldhälfte konstant blieb, steigerte
sich die Anzahl an richtigen Antworten in der blinden Hälfte nach der Schalldarbietung. Dieser Effekt hielt
1,5 Stunden an. "Bei anderen Therapien absolvieren die Patienten ein anstrengendes und zeitaufwendiges Sehtraining",
erzählt Lewald. "Die Erfolge sind dabei mäßig und schwanken stark von Patient zu Patient.
Unser Ergebnis deutet darauf hin, dass allein durch passives Hören zeitweilig das Sehen verbessert werden
kann."
Die Ursache von Gesichtsfeldausfällen
Wenn Schlaganfälle oder Verletzungen den Gehirnbereich schädigen, der Informationen des Sehsinns
verarbeitet, kommt es zu einem Gesichtsfeldausfall. Am häufigsten betroffen ist der primäre Sehkortex,
die erste Verarbeitungsstation für visuelle Eingänge in der Großhirnrinde. Je mehr Nervenzellen
hier absterben, desto größer ist der erblindete Teil des Sehfeldes. Meist ist eine ganze Hälfte
betroffen; man spricht von Hemianopsie. "Die Hemianopsie schränkt die Patienten im Alltagsleben enorm
ein", erklärt Lewald. "Wenn Gegenstände oder Personen auf der blinden Seite übersehen
werden, kann es schnell zu Unfällen kommen."
Wie Sinnesinformationen im Gehirn zusammenspielen
"Es gibt zunehmend Belege dafür, dass unser Gehirn eingehende Sinnesinformationen nicht strikt
getrennt verarbeitet", so der Bochumer Psychologe. "Auf verschiedenen Stufen gibt es Verbindungen zwischen
den Sinnessystemen". Insbesondere die Nervenzellen im so genannten Colliculus Superior, einem Teil des Mittelhirns,
verarbeiten Hör- und Sehinformationen gleichzeitig. Dieser Bereich ist bei Gesichtsfeldausfällen meist
nicht betroffen, analysiert also weiter visuelle Reize. Daher bleiben in der blinden Hälfte Rest-Sehfunktionen
erhalten, die dem Patienten aber nicht bewusst sind. "Da die gleichen Nervenzellen auch Hörinformation
erhalten, entstand die Idee, mit akustischen Reizen ihre Empfindlichkeit für Lichtreize zu erhöhen",
sagt Lewald.
Neue Forschungsfragen
In weiteren Studien wollen die Wissenschaftler nun klären, ob sie die Sehfunktion anhaltend verbessern
können, wenn sie ihren neuen Therapieansatz wiederholt anwenden. Außerdem werden sie testen, ob sich
die Stimulation des Gehörsinns auch auf komplexere Sehfunktionen als die Detektion von Lichtblitzen auswirkt.
Zusätzlich wollen sie die Mechanismen ergründen, die dem beobachteten Effekt zugrunde liegen.
Titelaufnahme
J. Lewald, M. Tegenthoff, S. Peters, M. Hausmann (2012): Passive auditory stimulation improves vision in hemianopia,
PLoS ONE, doi: 10.1371/journal.pone.0031603 |