Wien (wifo) - Die Europäische Kommission veröffentlichte im Frühjahr erstmals den Frühwarnbericht
über makroökonomische Ungleichgewichte in der EU. Österreich überschreitet in diesem Bericht
die Schwellenwerte für drei Indikatoren, von denen einer - Verlust von Weltmarktanteilen - auf ein externes
und zwei - überhöhte Staatsverschuldung und überhöhte private Verschuldung - auf ein internes
Ungleichgewicht hinweisen. Dennoch veranlasste die Kommission keine eingehende Untersuchung Österreichs in
der zweiten Stufe des Verfahrens bei makroökonomischen Ungleichgewichten. Eine Analyse der drei Kennzahlen
für Österreich bestätigt diese Entscheidung und legt einige Verbesserungsvorschläge für
den Frühwarnbericht nahe.
Makroökonomische Ungleichgewichte wurden als eine der Ursachen der jüngsten Finanzmarkt- bzw. Staatsschuldenkrise
identifiziert. Mit dem Verfahren bei makroökonomischen Ungleichgewichten entwickelte die Europäische
Union ein weiteres Instrument zur vertieften Koordination der Wirtschaftspolitik, mit dem solche Ungleichgewichte
frühzeitig erkannt und korrigiert werden sollen.
Das Verfahren bei makroökonomischen Ungleichgewichten besteht aus einem präventiven und einem korrektiven
Arm. Im ersten Schritt des präventiven Arms wird der "Frühwarnbericht" erstellt; erstmals wurde
er von der Europäischen Kommission im Februar 2012 veröffentlicht. Er enthält das "Scoreboard",
das zehn makroökonomische Indikatoren für alle Mitgliedsländer der EU zusammengefasst. Für
jeden Indikator gibt es Schwellenwerte, deren Über- oder Unterschreitung als Hinweis auf das Vorliegen eines
makroökonomischen Ungleichgewichtes gilt. Wenn die Europäische Kommission ein Mitgliedsland aufgrund
des Scoreboards als gefährdet einschätzt, wird für diese Land die nächste Stufe des Verfahrens
- eine eingehende Untersuchung - eingeleitet.
Österreich verletzte im aktuellen Frühwarnbericht die Schwellenwerte von drei Indikatoren:
- Österreichs Exportmarktanteil schrumpfte 2008/2010 um 14,8% (Schwellenwert: -6%).
- Die Staatsschuldenquote betrug 2010 72% des BIP (Schwellenwert: 60%).
- Die Verschuldungsquote des Privatsektors betrug 2010 166% des BIP (Schwellenwert: 160%).
Die Europäische Kommission leitete trotzdem keine eingehende Untersuchung ein, weil der Gesamteindruck des
Scoreboards für Österreich keine Risikosituation anzeigt.
Wie die Analyse der drei von Österreich verfehlten Indikatoren zeigt, weisen diese Kennzahlen einige Mängel
auf. Der Verschuldungsgrad der öffentlichen Hand kann z. B. durch Ausgliederungen gesenkt werden und enthält
keine künftigen ungedeckten Zahlungsverpflichtungen der öffentlichen Hand (z. B. aus öffentlichen
Pensionen). Dadurch wird die öffentliche Verschuldung Österreichs im Scoreboard unterschätzt. Andererseits
überschätzt die Kennzahl für die Privatverschuldung wegen statistischer Unschärfen (konzerninterne
Kredite, Preiseffekte von Wertpapieren, Binnenmarkteffekte) das Risiko für ein internes Ungleichgewicht in
Österreich, und der Rückgang der Exportmarktanteile deckt eher den Unterschied zwischen dem raschen Wachstum
in den Schwellenländern und dem langsameren in den Industrieländern auf als eine Verschlechterung der
internationalen Wettbewerbsfähigkeit.
Keiner dieser Mängel verschlechtert die Signalwirkung des Scoreboards substantiell, dennoch erzwingen sie
eine diskretionäre Interpretation des Frühwarnberichtes und verhindern damit die automatische Überleitung
in die zweite Stufe des präventiven Armes. Die Entscheidung über die Fortsetzung des Verfahrens kann
erleichtert und besser kommuniziert werden, wenn die Indikatoren und ihre Schwellenwerte makroökonomische
Ungleichgewichte glaubhaft
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