Ähnlichkeit der Bonobos zum Menschen ist teilweise größer als zu anderen Affen
Wien (universität) - Die Populationsgenetikerin Ines Hellmann vom Department für Biochemie
und Zellbiologie der Universität Wien (Max F. Perutz Laboratories) war Mitglied des internationalen ForscherInnen-Teams,
das die Genomsequenz von Bonobos entschlüsselt hat. Mit der Decodierung der letzten unbekannten Sequenz einer
Menschenaffen-Spezies hat sie überraschende Verbindungen zwischen der Populationsgenetik und dem Sozialgefüge
der Bonobos festgestellt. Die Studie wird aktuell im renommierten Wissenschaftsjournal "Nature" präsentiert.
Das Genom der Bonobo-Affen war das letzte noch unbekannte Genom der Familie der Menschenaffen. Ein Team aus WissenschafterInnen
des Max-Planck-Institutes für Evolutionäre Anthropologie – dem auch Ines Hellmann angehörte – hat
es nun entschlüsselt und in Sequenzvergleichen festgestellt, dass rund drei Prozent der genetischen Information
von Schimpansen und Bonobos dem menschlichen Genom ähnlicher sind als die Genome dieser Menschenaffen zueinander.
Sex zur Entspannung
Bonobos und Schimpansen unterscheiden sich in einigen Verhaltensweisen: Bonobos sind z.B. verspielter und
Schimpansen aggressiver. Bonobos sind auch bekannt dafür, dass sie Sex nicht nur zur Fortpflanzung, sondern
auch zur Lösung von Anspannung haben. Im Sozialgefüge der Bonobos stehen die Weibchen über den Männchen,
was bei Schimpansen umgekehrt ist. Alle diese Unterschiede könnten ihre Ursache in der genetischen Differenz
von Schimpansen und Bonobos haben und damit auch für den Menschen Erklärungsansätze für jenes
Verhalten liefern, in dem wir Schimpansen oder Bonobos ähneln.
Genom gibt Hinweise auf soziale Strukturen
Als Populationsgenetikerin der Universität Wien interessiert sich Ines Hellmann besonders dafür,
wie sich das soziale Gefüge einer Population in den Genen widerspiegelt. "Anhand genetischer Information
können wir zum Beispiel nachvollziehen, ob sich in einer Gruppe von Gorillas mehr Weibchen als Männchen
fortpflanzen", so Hellmann und erklärt: "Der Silberrücken hat nämlich als dominantes Männchen
mit den meisten Weibchen der Gruppe Nachkommen, die anderen Männchen nicht.“ Hellmann hat dafür die Diversität
von Gensequenzen von geschlechtsspezifischen Chromosomen – XX und XY – zu den restlichen Chromosomen verglichen.
Alle Chromosomen ändern durch den Fortpflanzungsprozess über mehrere Generationen ihre Gensequenz. Im
Falle der Geschlechtschromosomen passiert das durch die einzigartige XX/XY Aufteilung zwischen Weibchen und Männchen
unterschiedlich schnell. Über diesen Effekt lässt sich im Genom feststellen, wie viele Weibchen bzw.
Männchen einer Gruppe sich über mehrere Generationen fortgepflanzt haben.
X-Chromosom der Bonobos ist vielfältiger als erwartet
Hellmann hat nach der Entschlüsselung des Bonobo-Genoms überraschend festgestellt, dass die X-Chromosomen
der Bonobos eine hohe Varianz aufweisen: In Bonobo-Populationen ist die Fluktuation in der Anzahl der Nachkommen
bei Männchen doppelt so hoch wie bei Weibchen. Allerdings gibt es in Bonobo-Gruppen – im Gegensatz zu Gorillas
– kein dominantes Männchen, das diesen Effekt erklären würde. "Warum das so ist, wissen wir
noch nicht genau", so Hellmann. "Eine Erklärung für unsere Forschungsergebnisse ist, dass weibliche
Bonobos öfter in eine andere Bonobo-Gruppe wechseln, während Männchen in der gleichen Gruppe bleiben".
Ines Hellmann bleibt dem Rätsel weiter auf der Spur und möchte als nächstes die Diversität
des Schimpansen-Genoms analysieren.
Max F. Perutz Laboratories (MFPL)
Die Max F. Perutz Laboratories (MFPL) sind ein gemeinsames Forschungs- und Ausbildungszentrum der Universität
Wien und der Medizinischen Universität Wien am Campus Vienna Biocenter. An den MFPL beschäftigen sich
rund 530 WissenschaftlerInnen aus 40 Nationen in über 60 Forschungsgruppen mit Grundlagenforschung im Bereich
der Molekularbiologie.
Publikation in "Nature"
The bonobo genome compared with the chimpanzee and human genomes: Kay Prüfer, Kasper Munch, Ines Hellmann,
Keiko Akagi, Jason R. Miller, Brian Walenz, Sergey Koren, Granger Sutton, Chinnappa Kodira, Roger Winer, James
R. Knight, James C. Mullikin, Stephen J. Meader, Chris P. Ponting, Gerton Lunter, Saneyuki Higashino, Asger Hobolth,
Julien Dutheil, Emre Karakoç, Can Alkan, Saba Sajjadian, Claudia Rita Catacchio, Mario Ventura, Tomas Marques-Bonet,
Evan E. Eichler, et al. Nature (Juni 2012)
doi:10.1038/nature11128 |