Innsbruck (universität) - Einer interdisziplinären Arbeitsgruppe unter Leitung der Innsbrucker
Humangenetik an der Medizinischen Universität Innsbruck gelang die Identifizierung des Gendefekts, der für
das Kohlschütter-Tönz-Syndrom (KTS) verantwortlich ist. Die ungewöhnliche genetische Krankheit mit
neurologischen Symptomen und einer gestörten Zahnschmelzbildung konnte bisher nur klinisch diagnostiziert
werden. Die neuen Erkenntnisse finden internationale Beachtung.
Das Kohlschütter-Tönz-Syndrom ist eine seltene genetische Krankheit, die sich klinisch durch das Auftreten
einer frühkindlichen Entwicklungsstörung mit Epilepsie in Kombination mit auffallenden Verfärbungen
an den Milchzähnen und bleibenden Zähnen aufgrund des Fehlens von Zahnschmelz präsentiert. Seit
der Erstbeschreibung des Kohlschütter-Tönz-Syndroms 1974 wurden bis heute 25 Fälle dokumentiert,
darunter auch ein Kind aus einer Tiroler Familie. KTS wird autosomal-rezessiv vererbt, d.h. beide Eltern sind Träger
der Anlage, die sie an ihr Kind weitergeben ohne selbst klinische Symptome zu entwickeln. Verlauf und Ausprägung
des unheilbaren Syndroms sind innerhalb der betroffenen Familien unterschiedlich, wobei zum Zeitpunkt der Geburt
meist ein unauffälliger Befund besteht und die typische – pathophysiologisch jedoch ungeklärte – Verbindung
von fortschreitender Entwicklungsstörung und Zahnschmelzdefekt erst mit der Zeit erkennbar ist.
Gelungene Ursachenforschung durch konsequentes Teamwork
In optimaler Zusammenarbeit mit der Sektion für Bioinformatik unter Univ.-Prof. Zlatko Trajanoski,
der Abteilung für Neuropädiatrie und der Universitätsklinik für Zahnersatz und Zahnerhaltung
an der Medizinischen Universität Innsbruck sowie den Erstbeschreibern Prof. Alfried Kohlschütter (D)
und Prof. Otmar Tönz (CH) und anderen Kooperationspartnern konnte das Team um Univ.-Prof. Johannes Zschocke,
Leiter der Innsbrucker Sektion für Humangenetik an der Medizinischen Universität Innsbruck, nun Mutationen
im bislang wenig erforschten Gen ROGDI als Auslöser von KTS entlarven. „War eine Diagnose bisher nur anhand
der typischen klinischen Auffälligkeiten möglich, so sind wir nun in der Lage, das erbliche Syndrom auch
einwandfrei molekulargenetisch zu diagnostizieren und damit von anderen Krankheitsbildern abzugrenzen. Wir hoffen,
dass sich damit langfristig auch die Therapiesituation für diese seltene Krankheit gezielt verbessern lässt“,
so Prof. Zschocke. Gerade bei seltenen erblichen Krankheiten spielt das Vorhandensein sicherer Diagnosemethoden
eine zentrale Rolle für die optimale Anpassung der Behandlung.
Zielführende Methoden: Kopplungsanalyse und Exomsequenzierung
Die konsequent kooperative Forschung unter Verwendung von neuen Analysemethoden, die an der Medizinischen Universität
Innsbruck zur Verfügung steht, ermöglicht die gezielte Aufklärung seltener klinischer Fragestellungen
und trug auch in der aktuellen Forschungsarbeit wesentlich zum Erfolg bei. „Mit Hilfe von Kopplungsanalysen werden
verschiedene genetische Marker in den betroffenen Familien verglichen, um eine chromosomale Region zu identifizieren,
in der sich die krankheitsverursachende Genveränderung befindet. In dieser Region können dann mit Hilfe
bioinformatischer Datenbanken Kandidatengene bestimmt werden. „Der Nachweis krankheitsauslösender Mutationen
in der Kandidatenregion gelang schließlich mit der Methode der Exomsequenzierung, welche die mehr als 20.000
für die Herstellung von Proteinen notwendigen Gene im Erbgut untersucht“, erklärt Erstautorin Dr.in Anna
Schossig, die unter der Leitung von Prof. Zschocke (damals noch an der Universität Heidelberg) bereits über
das KTS promoviert hat. Die in der renommierten Fachzeitschrift American Journal of Human Genetics veröffentlichten
Forschungsergebnisse stoßen auf internationales Interesse, wie Anfragen aus den USA und verschiedenen europäischen
Ländern bestätigen.
Weitere Einblicke aus Innsbruck
Die Aufklärung des Zusammenhangs von fortschreitender Entwicklungsstörung und Zahnschmelzdefekt sowie
die Rolle des für die seltene genetische Krankheit verantwortlichen Gens ROGDI stehen nun im Zentrum weiterer
Arbeiten der Innsbrucker ForscherInnen. „Bis jetzt existiert eine einzige Publikation, die dieses Gen bei Fruchtfliegen
beschreibt und ihm eine Funktion im olfaktorischen Lernen, also der Riechwahrnehmung, zuweist“, weiß Dr.in
Schossig. In Zusammenarbeit mit Univ.-Prof. Klaus Scheffzek, Leiter der Sektion für Biologische Chemie am
Biozentrum, soll die bislang unbekannte Struktur des ROGDI-Proteins geklärt werden. Der genaueren klinischen
Charakterisierung des KTS diente auch ein Symposium, das im Mai von Prof. Zschocke und Dr.in Schossig zusammen
mit Prof. Kohlschütter und Prof. Tönz in der Schweiz veranstaltet wurde, und an dem auch betroffene Familien
teilnahmen. Dabei wurde auch das Schächental besucht, aus dem die Familie der 1974 erstmals beschriebenen
Patientin stammt.
Hintergrund Humangenetik
Die genetische Charakterisierung erblicher Krankheiten des Kindesalters ist ein langjähriger Schwerpunkt an
der Sektion für Humangenetik unter der Leitung von Univ.-Prof.DDr. med. Johannes Zschocke. Am Institut wurde
für die Durchführung von Kopplungsanalysen und zum Nachweis kleinster Chromosomenstörungen eine
DNA-Array-Station unter der leitenden Oberärztin Dr.in Christine Fauth eingerichtet, unter anderem als Grundlage
für ein Projekt zur systematischen Erfassung und Abklärung von Entwicklungsstörungen im Kindesalter.
Ebenfalls neu in Innsbruck begonnen wurden verschiedene interdisziplinäre klinisch-wissenschaftliche Projekte
u.a. auch zur Diagnose und Betreuung von Personen mit erblichen Tumordispositionen. Die Innsbrucker Humangenetik
erfüllt umfassende Aufgaben in der klinischen Beratung und Betreuung von Menschen mit erblichen Krankheiten
oder Belastungen, sowie der genetischen Labordiagnostik in diesem Bereich. Die Exomsequenzierung wurde kürzlich
an der Medizinischen Universität Innsbruck in der Sektion für Genomik und RNomik unter Univ.-Prof. Alexander
Hüttenhofer etabliert; eine umfassende bioinformatische Auswertung erfolgt an der Sektion für Bioinformatik
unter Prof. Zlatko Trajanoski. |