Wirtschafts- und Familienminister bei Diskussion zum Thema "Warum Durchschnitt keine Zukunft
hat": Frühkindliche Betreuung weiter forcieren - Potenziale optimal nützen
Wien (bmwfj) - Auf Initiative von Wirtschafts- und Familienminister Reinhold Mitterlehner diskutierte
am Abend des 19.06. eine hochkarätige Expertenrunde in der Hofburg zum Thema "Warum Durchschnitt keine
Zukunft hat". "Unser Ziel muss es sein, Begabungen frühzeitig zu fördern und Stärken zu
stärken. Denn so wie wir mit unseren Talenten umgehen, so wertvoll ist unsere Gesellschaft insgesamt",
sagte Mitterlehner in seiner Eröffnungsrede. "Es ist kein Zufall, dass wir gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise
besonders darüber nachdenken, wie denn unsere Zukunftsfähigkeit ausschaut. Wirtschaft und Gesellschaft
sind darauf angewiesen, dass es gut ausgebildete junge Menschen gibt, die eingefahrene Wege verlassen und neue
Schwerpunkte setzen. Innovationen sind in unserer globalisierten Welt wichtiger denn je", so Mitterlehner.
Umso wichtiger sei es, die bildungs- und familienpolitischen Rahmenbedingungen laufend zu überprüfen.
"Wir dürfen uns mit Durchschnitt nicht zufrieden geben. Es geht dabei aber nicht um einen rein elitären
Anspruch, sondern um das optimale Ausschöpfen der Potenziale aller Kinder."
Neben der Weiterentwicklung des Bildungssystems nannte Mitterlehner vor allem die Elternbildungsangebote sowie
den quantitativen und qualitativen Ausbau bei der Kinderbetreuung als wichtige Maßnahmen. "Durch eine
gute frühkindliche Betreuung und Förderung erhöhen sich die individuellen Bildungschancen",
sagte Mitterlehner unter Verweis auf eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. "Daher braucht es neben dem Forcieren
von Qualitätsstandards in Kinderbetreuungseinrichtungen auch ein Scharnier für den Übergang vom
Kindergarten in die Schule. Kindergartenpädagogen sollten die Lehrer verstärkt über die besonderen
Begabungen der Kinder informieren können", so Mitterlehner.
Nach der Eröffnung durch Mitterlehner hielt der Genetiker Markus Hengstschläger ein Impulsreferat zu
seinem Erfolgsbuch "Die Durchschnittsfalle". Demnach ist Durchschnitt ungerecht, weil er keinem Individuum
wirklich entspricht. "Durchschnitt ist die größte Gefahr für eine erfolgreiche Zukunft, weil
er keine Spitzenleistungen zulässt. Vielmehr sind Individualität und Flexibilität der Schlüssel
zum Erfolg", sagte Hengstschläger. "Das Beste was wir haben, ist die nächste Generation",
so Hengstschläger. Anschließend diskutierte der Genetiker darüber mit dem Jugendforscher Philipp
Ikrath, der Psychologin Ulla Konrad, dem Sportmanager Ronnie Leitgeb, der Unternehmerin Waltraud Schinko-Neuroth
sowie dem Mathematiker Rudolf Taschner.
Markus Hengstschläger: "Es gibt keinen Durchschnitt - Individualität und Flexibilität
verhindern die Angst vor der Zukunft"
"Der Durchschnitt geht mir deshalb so gegen den Strich, weil er für Gleichmacherei verwendet wird",
sagte Hengstschläger. Die Menschen seien aber seit je her Individuen mit unterschiedlichen Fähigkeiten
und einem persönlichen Rüstzeug. Daher könne man aber auch nicht von "Eliten" sprechen,
so Hengstschläger: "Es gibt so viele Eliten wie es Menschen gibt. Und wenn jeder verschieden ist, ist
keiner anders." Gerade in dieser Individualität liege aber die Chance, die unvorhersehbaren Herausforderungen
der Zukunft zu meistern. "Wir müssen jetzt in diesem Land die Voraussetzungen dafür schaffen, dass
jeder seinen Beitrag leisten kann, aber auch versteht, dass es eine unglaubliche Verschwendung wäre, all die
Arbeit nur für etwas aufzuwenden, das es schon gibt. Wir müssen unsere Arbeit vielmehr in etwas umsetzen,
was innovativ ist", setzte Hengstschläger fort. "Jedes Kind hat ein Talent, und es ist unser Job,
den Besten, die wir haben, die Chance zu geben, dieses umzusetzen", sagte Hengstschläger. Nur so könne
aus Millionen von Fäden ein starkes Seil gedröselt werden, "das nicht reißen wird, wenn wir
unseren Karren in die Zukunft ziehen". Abschließend betonte Hengstschläger: "Es gibt etwas,
was wir in diesem Land wirklich wieder brauchen, um sich den Fragen der Zukunft zu stellen, und das ist eine ordentliche
Portion Mut."
Phillip Ikrath: "Zum Durchschnitt bekennt sich niemand mehr"
Der Jugendforscher Phillip Ikrath brachte aus seinen Forschungsarbeiten die Beobachtung in die Podiumsdiskussion
ein, dass in den jugendlichen "Lebenswelten" der Begriff "Durchschnitt" fast schon zu einem
Schimpfwort geworden sei, zu dem sich niemand bekennen wolle. "In ästhetischen Präferenzen und in
der Selbstdarstellung will niemand durchschnittlich sein", so Ikrath. Anders sei es auf der Werteebene: Die
Jugendlichen fühlen sich in einer unübersichtlich gewordenen Welt zunehmend auf sich alleine gestellt.
Daher würden wieder die "eher langweiligen grauen Durchschnittsdinge" wie die Sicherheit im Beruf
und auch im Privatleben ins Zentrum gestellt. Selbstverwirklichung um jeden Preis genieße kein sehr hohes
Ansehen mehr.
Ulla Konrad: "Wir brauchen den Durchschnitt"
Die Psychologin Ulla Konrad sieht den Begriff des Durchschnitts nicht so negativ konnotiert wie Markus Hengstschläger.
Die Wissenschaft brauche den Durchschnitt zur Orientierung, und auch sonst setzte Konrad zum Widerspruch an: Man
könne ein Talent und eine Begabung durchaus beschreiben, das sei eine der Aufgaben für die Psychologie.
"Natürlich ist der einzelne Patient als Individuum zu betrachten und ist das Individuum wichtig, aber
die ganz andere zentrale Seite ist die Tatsache, dass wir auch soziale Wesen sind. Wir brauchen den Rückhalt
in der Gruppe und ein Netzwerk", sagte Konrad.
Ronnie Leitgeb: "Talent ist mir ein suspekter Begriff"
Der erfolgreiche Sportmanager Ronnie Leitgeb sieht aufgrund der Erfahrungen in seiner Laufbahn den Begriff
"Talent" als suspekt an. Er verwies in der Debatte auf den Weg von Thomas Muster zur Tennis-Weltspitze,
obwohl diesem in der Frühzeit wenig Talent zuerkannt wurde. "Talent" könne nur äußerst
subjektiv definiert werden. "Das Meisterstück kam dann nach dem Autounfall 1989 in Miami, wo alle mit
Hinweis auf das beschädigte Knie, das Alter und die eingeschränkte Bewegungsfreiheit weitere Karriereschritte
verneinten, dann aber Thomas Muster zum besten Thomas Muster aller Zeiten geworden ist", merkte Leitgeb an.
In weiterer Folge machte sich Leitgeb in der Diskussion für eine tägliche Bewegungseinheit an Schulen
stark, weil es hier Defizite gebe.
Waltraud Schinko-Neuroth: "Begeisterung ist das Wichtigste für junge Menschen"
Die Unternehmerin Waltraud Schinko-Neuroth sieht in der Begeisterungsfähigkeit eines der wichtigsten
Elemente, das man jungen Menschen einpflanzen müsse: "Begeisterung ist etwas, was uns über Berge
versetzt, wo wir Kräfte entwickeln können und wohl auch Talente, die uns das Schöne im Leben geben
können." Wichtig sei die Kontaktaufnahme mit und das Sprechen mit den Kindern. Vielfach sei das nicht
mehr vorhanden, und dort könne die Seele des Kindes, dessen Wünsche und Empfindungen nicht mehr ausreichend
wahrgenommen werden.
Rudolf Taschner: "Durchschnitt gibt uns Sicherheiten"
Der renommierte Mathematiker Rudolf Taschner hielt in der Diskussion ein Plädoyer für den Durchschnitt:
"Durchschnitt gibt uns gewisse Sicherheiten, und das ist schon sehr wichtig." Der Durchschnittsmensch
könne sich in der Menge verstecken und werde nicht mehr erkannt. Nicht der Durchschnitt sei abzulehnen, sondern
die Uniformisierung. "Wenn wir nichts anderes sind als uniform, verlieren wir das, worauf es ankommt, nämlich
Individualität." Bei dieser könne es gar keinen Durchschnitt geben, weil sie gar nicht messbar sei.
Dieses Nicht-Messbare ist für Taschner das Entscheidende, nur das werde den Erfolg bringen. "Wo Durchschnitt
vorkommt, ist es gut, aber es muss auch Platz geben, wo Durchschnitt nicht vorkommt", schloss Taschner seinen
Diskussionsbeitrag. |