An der TU Wien wurde eine Methode entwickelt, in kürzerer Zeit mehr Information als bisher
über den Stoffwechsel von Mikroorganismen herauszufinden, um damit ihre Produktivität zu steigern.
Wien (tu) - Ein bisschen Stress kann die Produktivität erhöhen – das ist keine Erkenntnis
aus der modernen Arbeitswelt, sondern aus dem Labor des Instituts für Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und
technische Biowissenschaften der TU Wien. Wenn man Mikroorganismen (etwa Hefepilze) einsetzen will, um gezielt
Biomoleküle herzustellen, muss man zunächst in langwierigen Versuchen die optimale chemische und physiologische
Umgebung dafür finden. Im Gegensatz zur konventionellen Tests setzt man an der TU Wien die Mikroorganismen
gezielt zeitlich veränderlichen, dynamischen Bedingungen aus, um in kürzerer Zeit mehr über ihren
Stoffwechsel zu erfahren. Erstaunlicherweise wird genau durch den dadurch erzeugten Stress die Effizienz der Mikroorganismen
deutlich gesteigert.
Mikroorganismen als lebende Chemiefabriken
Pilze oder Bakterien zur Herstellung von bestimmten wertvollen Stoffen einzusetzen ist heute ganz alltäglich.
In der pharmazeutischen Industrie werden häufig genmanipulierte Organismen verwendet, etwa um Proteine und
Enzyme zu erzeugen. Einen solchen Prozess aufzusetzen und zu optimieren ist jedoch recht aufwendig: Welchen Pilz-
oder Bakterienstamm soll man verwenden? Wie müssen die Umgebungsbedingungen sowie die Kontrollstrategien ausgelegt
sein, damit die Mikroorganismen möglichst effizient arbeiten? „Bisher musste man all das in vielen einzelnen
Versuchen ausprobieren, von denen jeder einzelne viele Tage oder Wochen dauern kann“, sagt Oliver Spadiut (TU Wien).
Daher machte man sich in an der TU Wien auf die Suche nach besseren Alternativen. Anstatt eine Kultur in einem
konstanten Gleichgewichtszustand zu beobachten, führt man ihr immer wieder in kurzen Pulsen unterschiedliche
Mengen bestimmter Stoffe zu. „Wir beobachten dann die zeitabhängige Reaktion der Kultur auf diese gepulsten
Veränderungen“, erklärt Christian Dietzsch, der im Rahmen dieses Projektes seine Dissertation verfasste.
Zeitliche Änderung bringt nützlichen Stress
Während dieser Charakterisierungs-Experimente wurde eine erstaunliche Entdeckung gemacht: genau diese zeitlichen,
dynamischen Veränderungen von Prozessbedingungen erwiesen sich als positiv für die Produktivität
der Zellen. „Abrupte Änderungen der physiologischen Bedingungen setzen die Zellen unter Stress, und eigentlich
hätte man eher vermuten können, dass Stress schädlich für die Zellen ist“, sagt Oliver Spadiut.
„Doch genau dieser Stress lässt die Mikroorganismen effektiver arbeiten. In einer dynamisch veränderten
Umgebung produzieren sie mehr als in einem konstanten Gleichgewichtszustand.“
„Unsere Taktik, die chemische Zusammensetzung immer wieder gezielt zu ändern hat also zwei wesentliche Vorteile“,
erklärt Professor Christoph Herwig, Leiter der Forschungsgruppe Bioverfahrenstechnik. „Wir können in
kürzerer Zeit mehr Information gewinnen als bisher – und gleichzeitig erhöhen wir genau durch diese Dynamik
auch die Produktivität.“
Medizin bis Alternativenergie
In Rahmen dieses Forschungsprojektes wurde mit Pichia pastoris gearbeitet – einem Hefepilz, mit dem man wertvolle
Enzyme herstellen kann, unter anderem für gezielte Krebstherapie. „Das Anwendungsgebiet der neuen Methode
ist aber viel breiter“, betont Christoph Herwig. „In unserer Arbeitsgruppe entwickeln wir Methoden, die generisch
anwendbar sind. Unsere dynamische Strategie ist sowohl für mikrobielle als auch für tierische Zellen,
für die man die optimalen Umgebungsbedingungen schaffen will, anwendbar. Dadurch erspart man sich nicht nur
wochenlange, mühevolle Versuchsreihen, sondern auch die dadurch entstehenden Kosten.“ Wichtige Einsatzgebiete
gibt es im Bereich Energie und Umwelt (einer der Forschungsschwerpunkte der TU Wien) – etwa die Methanproduktion
aus Biomasse. „Von der pharmazeutischen Industrie bis zu erneuerbarer Energie – mit unserer Taktik zur Bioprozess-Optimierung
werden in vielen Bereichen deutliche Verbesserungen möglich“, ist Christoph Herwig sicher. |