HistorikerInnen der Uni Graz haben ein Grazer NS-Verbrechen aufgeklärt
Graz (universität) - Jahrzehntelang kursierte in Graz das Gerücht, dass auf dem Gelände
der Belgierkaserne Massengräber aus der NS-Zeit liegen. Aus diesem Grund beauftragte das Bundesministerium
für Landesverteidigung und Sport eine Grazer HistorikerInnengruppe unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Dieter
Binder mit der Klärung der möglichen Kriegsverbrechen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen brachten
erschütternde Details eines systematisch geplanten und durchgeführten Massenmords zutage.
„Zwischen 2. April und 2. Mai 1945 wurden in der SS-Kaserne Graz-Wetzelsdorf, der heutigen Belgierkaserne, bis
zu 219 Menschen von Angehörigen der Waffen-SS sowie Gestapo-Leuten ermordet“, fasst Projektmitarbeiter Mag.
Georg Hoffmann zusammen. „Die Leichen wurden in Bombenkratern auf dem Kasernengelände verscharrt.“ Zu jener
Zeit befand sich über die Hälfte der rund 5000 in der SS-Kaserne stationierten Männer – darunter
auch ihr Kommandant Wilhelm Schweitzer – an der Front. Die Gestapo begann währenddessen Akten und andere Spuren
ihrer Verbrechen zu vernichten und erstellte eine Todesliste der Inhaftierten. Diese Gefangenen wurden – die Abwesenheit
des Kommandanten bewusst nutzend – in die nahe SS-Kaserne transportiert, um die Rolle der Gestapo bei den folgenden
Ereignissen zu verschleiern. Drahtzieher der Aktion war der Gestapo-Kriminalkommissar Adolf Herz, der auf Weisung
des Gauleiters Sigfried Uiberreither die Transporte organisierte. Seine Kontaktpersonen in der Kaserne waren der
deutsche SS-Gerichtsoffizier Rudolf Müller und Hauptscharführer Andreas Gulden, welche die Erschießungen
anordneten. Durchgeführt wurden diese von 16- und 17-jährigen holländischen „Freiwilligen“.
Als der SS-Kommandant Wilhelm Schweitzer vom Fronteinsatz zurückkam und die Niederlage für die Nazis
schon offenkundig war, wollte er wiederum die Verbrechen in „seiner“ Kaserne verschleiern. Er ließ die Leichen
aus den Bombenkratern in ein Massengrab auf dem nahen Truppenübungsplatz Feliferhof bringen. „Allerdings wusste
er nicht, wie viele Krater mit Ermordeten gefüllt waren. Deshalb wurde nur ein Bruchteil geöffnet“, berichtet
Projektmitarbeiterin Mag. Nicole-Melanie Goll. „Es liegen also noch heute die Überreste von bis zu 77 Personen
auf dem Kasernengelände.“ Auf Luftbildern, welche die Amerikaner unmittelbar vor und nach jedem Bombenabwurf
aufgenommen hatten, und die das Pentagon für die Untersuchungen zur Verfügung stellte, konnten die WissenschafterInnen
die Massengräber genau lokalisieren.
Nach intensiven Recherchen in amerikanischen, englischen und österreichischen Archiven fanden die ForscherInnen
sogar die Identität eines Teils der Opfer, deren Verbleib sowie die Namen bisher unbekannter Tatverdächtiger
heraus. „Die größte Gruppe bestand aus jüdischen Ungarn und Ungarinnen auf ihrem Todesmarsch nach
Mauthausen“, so Nicole-Melanie Goll. Die restlichen Opfer standen auf den „Todeslisten“ der Gauleitung und der
Gestapo: sowjetische, französische, britische und amerikanische Kriegsgefangene, jugoslawische, rumänische,
ungarische und sowjetische ZwangsarbeiterInnen, österreichische und deutsche WiderstandskämpferInnen
sowie niederländische Waffen-SS-Männer.
An der Stelle der noch vorhandenen Massengräber auf dem heutigen Kasernengelände wurde letztes Jahr ein
Gedenkhain errichtet. |