Vertuschter Massenmord   

erstellt am
02. 07. 12

HistorikerInnen der Uni Graz haben ein Grazer NS-Verbrechen aufgeklärt
Graz (universität) - Jahrzehntelang kursierte in Graz das Gerücht, dass auf dem Gelände der Belgierkaserne Massengräber aus der NS-Zeit liegen. Aus diesem Grund beauftragte das Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport eine Grazer HistorikerInnengruppe unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Dieter Binder mit der Klärung der möglichen Kriegsverbrechen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen brachten erschütternde Details eines systematisch geplanten und durchgeführten Massenmords zutage.

„Zwischen 2. April und 2. Mai 1945 wurden in der SS-Kaserne Graz-Wetzelsdorf, der heutigen Belgierkaserne, bis zu 219 Menschen von Angehörigen der Waffen-SS sowie Gestapo-Leuten ermordet“, fasst Projektmitarbeiter Mag. Georg Hoffmann zusammen. „Die Leichen wurden in Bombenkratern auf dem Kasernengelände verscharrt.“ Zu jener Zeit befand sich über die Hälfte der rund 5000 in der SS-Kaserne stationierten Männer – darunter auch ihr Kommandant Wilhelm Schweitzer – an der Front. Die Gestapo begann währenddessen Akten und andere Spuren ihrer Verbrechen zu vernichten und erstellte eine Todesliste der Inhaftierten. Diese Gefangenen wurden – die Abwesenheit des Kommandanten bewusst nutzend – in die nahe SS-Kaserne transportiert, um die Rolle der Gestapo bei den folgenden Ereignissen zu verschleiern. Drahtzieher der Aktion war der Gestapo-Kriminalkommissar Adolf Herz, der auf Weisung des Gauleiters Sigfried Uiberreither die Transporte organisierte. Seine Kontaktpersonen in der Kaserne waren der deutsche SS-Gerichtsoffizier Rudolf Müller und Hauptscharführer Andreas Gulden, welche die Erschießungen anordneten. Durchgeführt wurden diese von 16- und 17-jährigen holländischen „Freiwilligen“.

Als der SS-Kommandant Wilhelm Schweitzer vom Fronteinsatz zurückkam und die Niederlage für die Nazis schon offenkundig war, wollte er wiederum die Verbrechen in „seiner“ Kaserne verschleiern. Er ließ die Leichen aus den Bombenkratern in ein Massengrab auf dem nahen Truppenübungsplatz Feliferhof bringen. „Allerdings wusste er nicht, wie viele Krater mit Ermordeten gefüllt waren. Deshalb wurde nur ein Bruchteil geöffnet“, berichtet Projektmitarbeiterin Mag. Nicole-Melanie Goll. „Es liegen also noch heute die Überreste von bis zu 77 Personen auf dem Kasernengelände.“ Auf Luftbildern, welche die Amerikaner unmittelbar vor und nach jedem Bombenabwurf aufgenommen hatten, und die das Pentagon für die Untersuchungen zur Verfügung stellte, konnten die WissenschafterInnen die Massengräber genau lokalisieren.

Nach intensiven Recherchen in amerikanischen, englischen und österreichischen Archiven fanden die ForscherInnen sogar die Identität eines Teils der Opfer, deren Verbleib sowie die Namen bisher unbekannter Tatverdächtiger heraus. „Die größte Gruppe bestand aus jüdischen Ungarn und Ungarinnen auf ihrem Todesmarsch nach Mauthausen“, so Nicole-Melanie Goll. Die restlichen Opfer standen auf den „Todeslisten“ der Gauleitung und der Gestapo: sowjetische, französische, britische und amerikanische Kriegsgefangene, jugoslawische, rumänische, ungarische und sowjetische ZwangsarbeiterInnen, österreichische und deutsche WiderstandskämpferInnen sowie niederländische Waffen-SS-Männer.

An der Stelle der noch vorhandenen Massengräber auf dem heutigen Kasernengelände wurde letztes Jahr ein Gedenkhain errichtet.
     
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