BIP der Eurozone schrumpft 2012 mit 0,3 Prozent; für 2013 Wachstum von 0,8 Prozent prognostiziert
Wien (rzbgroup) - „Selbst Spaniens Flüchten unter den Rettungsschirm und der optimalste Wahlausgang
in Griechenland bringen keine wesentliche Entspannung im Schuldenkarussell. Nach der Umsetzung von Konsolidierungsmaßnahmen
und der Verschlechterung der wichtigsten Wirtschaftsindikatoren ist eine Rezession in weiten Teilen der Eurozone
zu erwarten“, berichtet Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen Bank International AG (RBI) in der quartalsweise
erscheinenden Raiffeisen Research-Studie „Strategie Globale Märkte“. Brezinschek geht davon aus, dass die
Eurozone 2012 mit einem BIP-Rückgang von 0,3 Prozent schrumpfen wird und erst wieder 2013 mit einem Plus von
0,8 Prozent zum Wachstum zurückfinden wird.
Die aktuellen Entwicklungen in der Eurozone haben weiterhin Auswirkungen auf die Renditen bei Staatsanleihen der
peripheren Eurozone-Länder aus. „Während deutsche Staatsanleihen noch in der Sicherheitsgunst der Anleger
liegen, bleibt der Renditeaufschlag für Spanien weiterhin kritisch“, so Brezinschek. Auf der Aktienseite rechnet
Helge Rechberger, Leiter der RBI-Aktienmarktanalyse, mit einem Aufatmen über die temporäre Beruhigung
in Griechenland und Spanien.
„Wachstum statt Sparen“ keine Lösung für Schuldenkrise der Eurozone
Brezinschek ist der Meinung, dass der Ruf einiger Politiker nach „Wachstum statt Sparen“ nicht der richtige
Weg für die Eurozone ist: „Diese provokante These ist grundfalsch, weil Sparen Investitionen finanziert und
damit langfristiges Wachstum erst ermöglicht.“ Der Raiffeisen-Chefanalyst geht aber davon aus, dass ungeachtet
dieser Tatsache die EU mit zum Beispiel Projektbonds für Infrastruktur oder erhöhter Co-Finanzierung
von Struktur- und Kohäsionsfondsprojekten in den Euro-Peripheriestaaten einen Kompromiss auf die Beine stellen
wird.
Richtungskampf zwischen Deutschland und Frankreich entscheidend für Eurozone
Die Analysten von Raiffeisen Research erwarten, dass nun der spanische Finanzbedarf in den Vordergrund
der Diskussionen rücken wird, nachdem ein unmittelbarer Austritt Griechenlands aus dem Euro nicht droht. Besonders
spannend wird laut Brezinschek die Rolle Frankreichs: „In den kommenden Wochen wird sich herauskristallisieren,
ob Präsident Hollande eine starke Achse mit Deutschland bildet, oder sich als Fürsprecher einer Allianz
mit Spanien, Italien und den übrigen Peripheriestaaten etabliert. Dieser Richtungskampf wird entscheidend
für die langfristige Ausrichtung der Eurozone.“ Ersteres wäre nach Meinung des Analysten Garant für
die Umsetzung einer auf Stabilität und striktem Regelwerk basierenden Fiskalunion – mit Abtretung von Souveränitätsrechten
sollten nationale Budgetvorgaben nicht eingehalten werden. Letzteres birgt die Gefahr, dass die Vergesellschaftung
der Schulden in der Eurozone rasch vorangetrieben, die Bekämpfung der Ursachen aber tendenziell vernachlässigt
wird.
Die Kernprobleme der Eurozone sieht der Raiffeisen Chefanalyst vor allem darin, dass essenzielle Punkte für
das Funktionieren eines gemeinsamen Währungsraums bis heute nicht umgesetzt sind. „Die wesentlichen Defizite
liegen im Faktum einer einheitlichen Geldpolitik und nunmehr 17 verschiedenen Wirtschafts- und Budgetpolitiken“,
erklärt Brezinschek. Er bemängelt aber auch das Fehlen flexibler Arbeitsmärkte und unterschiedlicher
Wettbewerbsfähigkeit, die für die Divergenz zwischen der Kern-Eurozone um Deutschland und den Peripherieländern
von hoher Relevanz sind.
Der Volkswirt erwartet, dass die Rettungsschirme und die Programme der Europäischen Zentralbank (EZB) als
Feuerwehraktionen legitim bleiben, solange strukturelle Reformmaßnahmen nicht ausreichend implementiert oder
noch nicht Markt wirksam sind. „Es wird jedoch über das Jahr 2013 hinaus dauern, die Reformanstrengungen fortzusetzen.
Gleichzeitig sollte aber auch eine fiskalische Konsolidierung in Europa stattfinden“, so Brezinschek.
EZB wird Liquidität weiterhin hoch halten
Brezinschek geht davon aus, dass die EZB auch in den kommenden Monaten an vorderster Linie bei kurzfristigen Löschvorhaben
an den Finanzmärkten stehen wird, sei es durch Senkung des Einlagensatzes für die Banken auf zumindest
0 Prozent, um die hohen Liquiditätspolster der Banken von EUR 750 Milliarden bei der EZB zu mobilisieren,
über langfristige Finanzierungshilfen (LTRO) oder ein Wiederaufleben der Staatsanleihenkäufe. „Letzteres
ist eine starke Option, damit die spanischen und italienischen Renditen wieder zurückgeführt werden können.
Eine Änderung des Hauptrefinanzierungssatzes halten wir dagegen für wenig wahrscheinlich“, berichtet
der Experte, der auch in den USA mit einer Liquiditätsschwemme rechnet.
Euro-Wechselkurs relativ stabil
Die Abnahme der Euro-Exit-Gefahr Griechenlands, die Spanien-Thematik und die US-Geldpolitik sind für Brezinschek
ein Mix an Faktoren, der den EUR/USD Wechselkurs ziemlich stabil halten sollten: „Eine Bandbreite von EUR/USD 1,20
bis 1,30 mit leichter Tendenz zum oberen Ende erscheint daher im Herbst plausibel. An der EUR/CHF Schranke von
1,20 wird von der Schweizerischen Nationalbank weiterhin festgehalten.“
Deutsche Staatsanleihen bleiben gefragt
Die Renditen deutscher Anleihen liegen auf niedrigen Rekordniveaus. Quer über die Renditekurve bieten allerdings
nur Laufzeiten weit über zehn Jahre eine Inflationsabgeltung. Über die Sommermonate rechnen die Analysten
von Raiffeisen Research mit einer Fluktuation im Bereich dieser tiefen Renditeniveaus. Sie gehen davon aus, dass
deutsche Anleihen als sicherer Hafen weiter gefragt bleiben.
Vor dem Hintergrund der im zweiten Quartal stark angestiegenen Renditeaufschläge italienischer
und spanischer Staatsanleihen ist der Blick der Marktteilnehmer einmal mehr auf die EU-Politik gerichtet. „Die
trotz der Bereitstellung von EU-Hilfsgeldern zur Bankenrekapitalisierung zuletzt äußerst steile spanische
Zinskurve mit 10-jährigen Renditen weit über 6 Prozent verdeutlicht, dass die bislang gesetzten Schritte
der Politik und der EZB nicht ausreichen, um die Marktstimmung nachhaltig ins Positive zu drehen“, erklärt
Brezinschek. Da die Politik den Hoffnungen der Investoren auf einen „Masterplan“ seiner Meinung nach auch in den
nächsten Monaten nicht gerecht werden dürfte, sieht er vorerst geringes Potenzial für nachhaltig
tiefere Renditen bei spanischen und italienischen Staatsanleihen.
Auch bei Unternehmensanleihen ist laut Brezinschek nur für starke Bonitäten ein attraktives Marktumfeld
zu erwarten. Darüber hinaus muss mit deutlichen Renditeunterschieden zwischen Anleihen aus den Eurozone-Kernländern
und der Peripherie gerechnet werden. „Da wir mit einem Anstieg der Ausfallsraten rechnen, raten wir hier nur zu
einer selektiven Vorgehensweise“, erklärt Brezinschek. In Anbetracht des negativen Ratingtrends und erwarteter
steigender Ausfallsraten geht der Chefanalyst in den kommenden Monaten nicht von starken Spreadrückgängen
aus. „Für das dritte Quartal rechnen wir bei den Spreads von Investment Grade und High Yield Unternehmensanleihen
mit stabilen beziehungsweise nur geringfügigen Anstiegen und geben daher eine Neutral-Empfehlung ab“, so Brezinschek.
Auf Sicht der nächsten zwölf Monate erwartet er moderate Rückgänge der Risikoprämien und
spricht auf Spreadbasis für beide Segmente eine Kaufempfehlung aus.
Kaufempfehlung für Aktien
„Auf den Aktienmärkten konnten sich zwischen Oktober 2011 und April 2012 besonders die US-Aktienindizes behaupten
und haben sich deutlich stabiler entwickelt als ihre europäischen oder japanischen Pendants“, erklärt
Rechberger. Er erwartet für das dritte Quartal 2012 durch eine tendenzielle Beruhigung der Krise in der Eurozone,
weitere liquiditätsstützende Maßnahmen der Notenbanken und eine beginnende Stabilisierung der Konjunkturindikatoren
ein Umfeld, das für freundliche Börsen sorgen sollte. „Erst nach den Wahlen wird eine neue, oder vielleicht
auch alte, US-Regierung dann mehr in Richtung Haushaltskonsolidierung tun müssen, was das Potenzial der Aktienmärkte
dann doch wieder beschneiden dürfte“, so Rechberger, der damit eine Kaufempfehlung für US-Aktien ausspricht.
Aufgrund der nach wie vor angespannten Situation in der Eurozone erwartet der Experte über die kommenden Wochen
hinweg noch keinen überproportional starken Anstieg der Aktienmärkte der Eurozone. Er geht allerdings
aufgrund der oben genannten Faktoren von einer sichtbaren Erholung bei den wichtigsten Indizes aus.
In Bezug auf Branchen, setzt der Experte klar auf eine zyklische Positionierung und empfiehlt daher eine Übergewichtung
des Energie-, Finanz-, Grundstoff-, Industrie- und IT-Sektors, sowie des zyklischen Konsumsektors.
Asset Allocation: Ausgewogene Positionierung von Aktien und Anleihen
„Unser Portfolio setzt sich aus 50 Prozent Aktien, 5 Prozent Immobilien und 45 Prozent Anleihen zusammen“, erklärt
Rechberger. Grund dafür ist ein recht ausgeglichenes Verhältnis zwischen Erholungstendenzen und ausstehenden
Risken, wodurch er auf eine ausgewogene Positionierung zwischen Aktien und Anleihen setzt.
„Die ausstehenden Risken sind primär in Europa zu finden. Hier sind wir damit konfrontiert, dass sobald ein
Krisenherd der Eurozone vorübergehend gelöscht ist – ich denke hier an einen Austritt Griechenlands aus
der Eurozone – schon ein anderer, wie zum Beispiel das spanische Bankenproblem, in den Vordergrund rückt.
Daraus ergibt sich ein schwerfälliger Weg aus der Krise, der mit zahlreichen Stolpersteinen gepflastert ist“,
analysiert Rechberger. Die womöglich nur vorübergehende Schwäche des US-Arbeitsmarkts und das erwartete
Wirtschaftswachstum von real 2,2 Prozent in Japan, das relativ hoch ausfällt, lassen aber ausgehend von diesen
Märkten in der zweiten Jahreshälfte auf eine zumindest vorübergehende Beruhigung des Marktsentiments
hoffen. |