Sozialbetrug  

erstellt am
27. 06. 12

Hundstorfer: Sozialbetrug darf nicht toleriert werden
Sehr gute interministerielle Zusammenarbeit wird intensiviert – Forschungsprojekt liefert Vorschläge zur Effizienzsteigerung bei der Sozialbetrugs-Bekämpfung
Wien (sk) - Durch Abgabenhinterziehung per Sozialbetrug entstehen nach Schätzungen jährlich Schäden von bis zu einer Milliarde Euro - besonders in der Baubranche durch Scheinfirmen und Nichtanmelden der Arbeitnehmer bei der Sozialversicherung. Hinzu kommt, dass Sozialbetrug die Finanzierung der Sozialversicherung und des Umlageverfahrens gefährdet. "Sozialbetrug darf nicht toleriert werden - und zwar auch im Interesse derer, die sehr ordentlich ihre Beiträge abliefern", betonte Sozialminister Rudolf Hundstorfer in einer gemeinsamen Pressekonferenz am 26.05. mit Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, Univ.-Prof. Susanne Reindl-Krauskopf von der Universität Wien und Rudolf Unterköfler vom Bundeskriminalamt.

Der Sozialminister erklärte, dass die Zusammenarbeit und Vernetzung der betroffenen öffentlichen Einrichtungen im Kampf gegen Abgabenhinterziehung durch Sozialbetrug zwar sehr gut sei. Um aber Sozialbetrug besser und effizienter bekämpfen zu können, wurde ein Forschungsprojekt des Sozialministeriums und der Universität Wien eingerichtet. "Jetzt geht es darum, die dabei gewonnenen Erkenntnisse mit Leben zu füllen", sagte Hundstorfer.

Als eines der Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt wird nun eine Arbeitsgruppe mit Vertretern des Sozialministeriums, des Innenministeriums, des Justizministeriums, des Gesundheitsministeriums, des Finanzministeriums, der Sozialversicherung und der Sozialpartner eingerichtet, die Mitte Juli erstmals tagt. Weitere Ergebnisse und Vorschläge des Forschungsprojekts sind unter anderem: Automationsunterstützte Softwarelösungen zur Früherkennung von Scheinfirmen; Prüfung, ob Erhebungsdienste auch bei anderen Krankenversicherungsträgern als bei der Wiener Gebietskrankenkasse eingeführt werden können; keine Sozialversicherungsanmeldungen in Papierform mehr, sondern nur mehr elektronisch; bessere behördenübergreifende Zusammenarbeit; Einrichtung von Kernkompetenzen für Sozialbetrug bei der Staatsanwaltschaft.

Eine Fortsetzung des Forschungsprojekts ist geplant. Sie dient zur wissenschaftlichen Begleitung der Umsetzung der Ergebnisse und Empfehlungen durch die Ministerien. Andererseits soll eine Analyse der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen von Sozialbetrug erstellt werden - vor allem auch, wie sich der Schaden beziffern lässt. Derzeit geht man von Schätzungen aus, die etwa 800 Mio. bis 1 Mrd. Euro jährlich betragen.

 

Mikl-Leitner: Sagen mit Schulterschluss aller betroffenen Ministerien dem Sozialbetrug den Kampf an
"Der klare Auftrag seitens der Wissenschaft an uns ist, noch enger zusammenzuarbeiten, um so die Phänomene früher erkennen zu können"
Wien (bmi) - Schäden von bis zu einer Milliarde Euro entstehen laut Schätzung jährlich durch Abgabenhinterziehung. Das passiert vor allem in der Baubranche, indem Scheinfirmen gegründet und Arbeitnehmer bei der Sozialversicherung nicht angemeldet werden. Sozialbetrug gefährdet die Finanzierung der Sozialversicherung und des Umlageverfahrens. Für ehrliche Unternehmerinnen und Unternehmer führt er zu Wettbewerbsverzerrungen. Eine vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz in Auftrag gegebene Studie gibt jetzt Empfehlungen.

"Der klare Auftrag seitens der Wissenschaft an uns ist, noch enger zusammenzuarbeiten, um so die Phänomene früher erkennen zu können", sagte Innenministerin Mag. Johanna Mikl-Leitner bei der Präsentation der Studie. Durch ein Frühwarnsystem sollen die Strafverfolgungsbehörden zukünftig rascher einbezogen werden und schneller Ermittlungsschritte einleiten können. Dadurch, dass vier Bundesministerien zuständig sind und neun Gebietskrankenkassen, gibt es oft Informationsdefizite. "Das Bundesministerium für Inneres will hier vorangehen und Lücken schließen", betonte Mikl-Leitner. Ab 1. Juli 2012 wird die interministerielle "Task Force Merlin", die seit April 2010 im Einsatz ist, von eigens geschulten Ermittlern in den Bundesländern abgelöst. "In den Schulungen werden auch unsere Partner, die Staatsanwaltschaften, die Finanzpolizei und die Krankenkassen miteinbezogen", sagte die Innenministerin.

Die "Task Force Merlin" geht derzeit von mindestens zehn Tätergruppierungen in Österreich aus. "In den letzten Monaten haben wir feststellen können, dass die Betrüger neben dem derzeitigen Brennpunkt Wien und Wien Umgebung auch in den anderen Bundesländern Fuß fassen wollen", sagte Mag. Rudolf Unterköfler, Leiter der Abteilung II/BK/7 (Wirtschaftskriminalität) im Bundeskriminalamt. "Mit eigenen Teams in den Bundesländern wollen wir dem entgegenwirken."

Vorgehensweise der Tätergruppen
Hinter den Tätergruppen des organisierten Sozialbetrugs steht immer ein Organisator. Dieser verfügt über ein Netzwerk, über das Scheingeschäftsführer oder Strohmänner akquiriert werden. Über diese wiederum werden dubiose Firmen gegründet, unzählige Scheinanmeldungen getätigt, jedoch keine Abgaben und Steuern gezahlt. Die Scheinfirmen werden binnen Monaten insolvent. Wird über eine solche Firma ein Konkursverfahren eingeleitet, ist es meist unmöglich, offene Gläubigerforderungen auszugleichen, da diese Unternehmen über keinen Eigenwert verfügen, sondern aus Privatwohnungen betrieben werden. Das Geld aus diversen Aufträgen wird sofort via Mittelsmänner von den Bankkonten in bar behoben und an Hintermänner transferiert. "Der Konkurs solcher Firmen ist bereits im Vorhinein beabsichtigt. Die Arbeitskräfte werden dann bei einer anderen dubiosen Gesellschaft angemeldet und der Zyklus beginnt von vorne", erläutert Unterköfler.

Die Tätergruppen sind tief in der organisierten Kriminalität verwurzelt. "Die mit dem Sozialbetrug verbundenen zahlreichen Nebenerscheinungen wie Urkundenfälschung und Kreditbetrug, das Erschleichen von Aufenthaltstiteln und die Vergabe von Sub-Sub-Sub-Aufträgen zur Verschleierung der Tatbestände sind hier Alltag", sagte Unterköfler. "Zudem sind die Tätergruppen unter anderem in die Rotlichtszene, in den Suchgifthandel, in die Verschiebung von veruntreuten Fahrzeugen und in Frachtbetrug verstrickt."

Dr. Friedrich Schneider von der Johannes-Kepler-Universität Linz beziffert den finanziellen Schaden durch die Schattenwirtschaft in Österreich 2010 auf rund 25 Milliarden Euro. Ein beachtlicher Teil dieser Schadenssumme macht der Handel mit Schein- und Deckungsrechnungen aus, neben dem Einkassieren von "Gebühren" für die jeweilige Scheinmeldung. "Diese Umstände hemmen einen fairen, wirtschaftlichen Wettbewerb, da seriöse Unternehmen mit höheren Kosten kalkulieren müssen, insbesondere da sich diese die fälligen Lohnnebenkosten durch Scheinmeldungen einsparen können", sagte Unterköfler.

 

 Schatz warnt vor haarsträubenden Entwicklungen
Grüne: Die Zahlen sind alarmierend
Wien (grüne) - "Die Entwicklung im Bereich des Sozialbetrugs ist haarsträubend und eine Ermahnung an die Regierung. Die intensivere Zusammenarbeit der Behörden ist ein wichtiger Schritt, aber bei weitem nicht genug", kommentiert Birgit Schatz, ArbeitnehmerInnensprecherin der Grünen, die Ergebnisse einer Studie zur effektiveren Bekämpfung von Sozialbetrug.

"Der Vorstoß von Minister Hundstorfer und Ministerin Mikl-Leitner gegen Sozialbetrug ist zu begrüßen, aber es gibt noch viele wichtige Gesetzeslücken und Grauzonen in den Bereichen Arbeitsrecht, Kontrollen und Strafen, die geschlossen werden müssen", fordert Schatz und ergänzt: "Unsere Vorschläge dazu liegen im Parlament vor, stoßen jedoch bisher auf taube Ohren." Unter anderem fordern die Grünen eine Nachbesserung im Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping, die Ausweitung der Auftraggeberhaftung auf andere Problembranchen und die Reform des ArbeitnehmerInnenbegriffs.

"Ein Schwerpunkt wird auch auf die in der Studie genannten Erscheinungsformen Scheinselbständigkeit, Lohnsplitting und Scheingeringfügigkeit gelegt werden müssen", sagt Schatz und weiter: "Derzeit agieren alle Beteiligten im Graubereich und können sich daher nicht darauf verlassen, vor Gericht Recht zu bekommen. Sozialbetrug lohnt sich leider noch immer für viele Betriebe. Beschäftigte und jene, die korrekt handeln kommen immer mehr unter Druck. Diese negative Entwicklung der Lohn- und Arbeitsbedingungen muss dringend gestoppt werden."
     

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