Fischer: "Bitte keine undurchdachten Schnellschüsse!"
"Volksbegehren, Volksbefragung und Volksabstimmung sind sinnvolle demokratische Instrumente",
bekräftigt Heinz Fischer, warnt aber die Regierung: "Macht keinen Automatismus vom Volksbegehren
zur Volksabstimmung!" – zu ESM und Fiskalpakt: "Werde ganz besonders strenge Maßstäbe anlegen"
Wien (apa/PrK) - Bundespräsident Heinz Fischer hat es am 08.07. in der ORF-"Pressestunde"
offen gelassen, ob er den Fiskalpakt und den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) unterzeichnen
wird. Er sagte zwar, dass er bei diesen Gesetzen, die diese Woche im Nationalrat beschlossen wurden, "keinen
offensichtlichen Verfassungsbruch" sehe, er aber in dieser Sache seinen "Entscheidungsraster strenger
machen möchte als bei einem offensichtlichen Verfassungsbruch".
Das Staatsoberhaupt deutete eine Unterschrift an, betonte aber mehrmals, dass er die Materie sehr genau prüfen
werde, bevor er unterzeichne.
Heinz Fischer machte aber gleichzeitig darauf aufmerksam, dass eine Prüfung des Fiskalpakts und des ESM durch
den Verfassungsgerichtshof (VfGH) in Österreich im Gegensatz zu Deutschland erst dann möglich ist, wenn
die Gesetze vom Bundespräsidenten unterzeichnet wurden.
Heinz Fischer, der heute vor acht Jahren als Bundespräsident angelobt wurde, zählte die Möglichkeiten
auf, die er hat:
- Wenn die Gesetze offensichtlich verfassungswidrig zustande gekommen wären, müsste er seine Unterschrift
verweigern.
- Wenn er hingegen eindeutig überzeugt wäre, dass die Verfassungskonformität gegeben sei, es aber
"sehr seriöse Pro- und Kontra-Argumente" gebe, sollte die letzte Entscheidung beim Verfassungsgerichtshof
liegen. Und das gehe eben nur, wenn er vorher unterschreibe. Er sei jedenfalls noch zu "keinem endgültigen
Ergebnis gekommen", betonte der Bundespräsident.
Er wolle alles in Ruhe prüfen und sich mit Juristen beraten, so Heinz Fischer. "Ich bin nicht unter
Zeitdruck." Es werde am Ende jedenfalls "eine Entscheidung geben, die hieb- und stichfest ist und mit
höchster Sorgfalt gefällt wurde".
Einen offensichtlichen Verfassungsbruch sehe er nicht, er wolle aber in dieser Sache seinen "Entscheidungsraster
strenger machen als bei einem offensichtlichen Verfassungsbruch". Deswegen möchte er seine Entscheidung
genau überdenken.
Dass der ESM mit Verfassungsmehrheit beschlossen wurde, für den Fiskalpakt aber nur eine einfache Mehrheit
gereicht hat, ist für ihn kein Widerspruch, denn es handle sich um unterschiedliche Materien. Der Fiskalpakt
sei eine Sondervereinbarung nur unter 25 on 27 EU-Ländern, Großbritannien und Tschechien sind nicht
dabei.
Heinz Fischer sah weiters Aufklärungsbedarf in der europäischen Politik und zeigte sich froh darüber,
dass die Regierung eine entsprechende Kampagne im Herbst plane. Die politischen Entscheidungen auf EU-Ebene seien
nämlich aufgrund der schwierigen Konstruktion zwischen Nationalstaaten, EU-Verfassung und Staatsverträgen
kompliziert. Ob das Volk über ESM und Fiskalpakt abstimmen soll, wollte das Staatsoberhaupt nicht "generell"
beurteilen. Es sei richtig gewesen, über den EU-Beitritt abzustimmen. Er könne sich auch weitere Themen
für Volksabstimmungen vorstellen. Bei ESM und Fiskalpakt habe er sich persönlich nicht für für
eine Volksabstimmung ausgesprochen. Er schließe Volksabstimmungen in einzelnen Fällen aber nicht aus.
Aber: "Beim komplexen Problemen muss ich diese in ihrer Komplexität darstellen und darf sie nicht boulevardisieren."
Kritisiert wurde vom Bundespräsidenten, dass in der Krise Vorurteile gegen einzelne Völker wie die Griechen
geschürt werden. "Griechenland hat Fehler gemacht. Die griechische Regierung hat - Pardon - Blödheiten
gemacht. Aber zu sagen, 'die Griechen sind faul', damit bin ich nicht einverstanden", so Heinz Fischer.
Eine eindeutige und eindringliche Warnung vor Schnellschüssen bei der Ausweitung der direkten Demokratie
hat am Bundespräsident Heinz Fischer an die Regierung gerichtet. Er sprach sich strikt gegen einen Automatismus
von Volksbegehren zu verbindlichen Volksabstimmungen aus.
"Macht keinen Automatismus vom Volksbegehren zur Volksabstimmung, sondern gebt dem Nationalrat ein echtes
Mitbestimmungsrecht", appellierte der Präsident. Bei einem Automatismus würden nämlich zwei
Arten der Gesetzgebung entstehen und "die Qualität der Gesetze würde entscheidend abnehmen",
so Fischer. Wenn das Parlament bei der Entstehung von Gesetzen nicht mehr mitbestimmen könne, wäre der
Bundesgesetzgeber damit "ausgeschaltet". "Das ist nicht durchdacht", sagte Henz Fischer zu
dem von der ÖVP favorisierten Modell.
Das Staatsoberhaupt meinte, dass er Volksbegehren, Volksabstimmungen und -befragungen für sinnvolle demokratische
Instrumente halte. Er könne sich auch vorstellen, dass man diese in den nächsten fünf bis zehn Jahren
häufiger anwende als bisher. "Der Punkt, die Trennlinie" sei aber dort, wo eine Gruppe von Menschen,
das könne auch eine Lobby oder eine Zeitung sein, ein Volksbegehren macht und am Schnitt vom Volksbegehren
zur Volksabstimmung das Parlament nicht mitbestimmen dürfe. Eine solche Automatik sei etwas, das man sich
gut überlegen müsse, vor allem in Hinblick auf die Qualität der Gesetze, so Heinz Fischer. Wenn
man das einmal in der Verfassung verankert habe, könne man es nicht mehr so leicht rückgängig machen.
Heinz Fischer ortete zudem einen "logischen Widerspruch" in der Argumentation für diese Reform.
Die Befürworter würden nämlich damit argumentieren, dass nicht über Grundrechte abgestimmt
werden dürfe. Dieser Verweis ist für Heinz Fischer ein Verweis darauf, dass dieses System "nicht
geeignet" sei, die Verfassung zu bestimmen. Wenn man aber umgekehrt der Meinung sei, dass das Volk klüger
und die direkte Demokratie besser als die repräsentative Demokratie sei, müsste man die Verfassung der
direkten Demokratie überlassen und sie nicht davor schützen, so der Bundespräsident.
Dem nicht rechtskräftig verurteilten ersten Landeshauptmannstellvertreter von Kärnten, Uwe Scheuch,
von den Freiheitlichen legte Heinz Fischer wie Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (S) zuvor den Rücktritt
nahe. Wenn das jemandem in einer anderen Partei passiert wäre, "hätte die Freiheitliche Partei eine
ganz klare Rücktrittsforderung formuliert; und ich glaube, dass die Freiheitliche Partei recht gehabt hätte
mit einer solche Rücktrittsaufforderung", so Heinz Fischer. Er betonte einmal mehr, dass für Politiker
strengere Grenzen herrschen müssten als sie das Strafrecht vorsehe. Scheuch würde mit einem Rücktritt
jedenfalls "Applaus" verdienen.
Der Bundespräsident verteidigte weiters die Erhöhung der Parteienförderung im Zuge des Transparenzpaketes.
Eine ausreichende Dotierung für politische Parteien unter strenger Kontrolle und Transparenz sei "eine
gute Sache". Parteien müssten gut ausgestattet werden, damit sie nicht über "dubiose"
Wege zu Geld kommen. Er hoffe, dass mit dem Transparenzpaket, das ein "großer Schritt" sei, die
dubiosen Finanzierungskanäle gestoppt und eine transparente Finanzierung gesichert sei. Das Thema werde in
"polemischer und unfairer Weise zugespitzt", so das Staatsoberhaupt.
Heinz Fischer bekannte sich in der "Pressestunde" auch erneut zur Wehrpflicht. "Ich halte die Wehrpflicht
für ein gutes, für Österreich sehr taugliches System." Ein Berufsheer müsste man sich
auch unter finanziellen Gesichtspunkten gut überlegen. Er freue sich jedenfalls, dass in dieser Debatte zwei
Dinge erreicht wurden: Dass keine überstürzte Entscheidung getroffen und Generalstabschef Edmund Entacher
von Verteidigungsminister Norbert Darabos (S) nicht abgesetzt werden konnte. "Entacher ist im Amt und die
Wehrpflicht gibt es noch", so Heinz Fischer.
Die Pläne von Darabos zum Umbau der Krypta am Äußeren Burgtor und zur Errichtung eines Deserteursdenkmals
begrüßte der Präsident dagegen. Es gebe zwar noch immer Vorbehalte gegen das Denkmal, weil Desertieren
ja auch im heutigen Bundesheer noch strafbar sei. Wer aber im Hitler-Regime dem Krieg den Rücken gekehrt habe,
sei mit einem klassischen Deserteur nicht zu vergleichen. Deswegen sei er für ein solches Denkmal. Und dieses
solle nicht versteckt werden, sondern einen würdigen Platz finden. Der Heldenplatz sei eine Möglichkeit.
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Mikl-Leinter: Fischer "Direkte-Demokratie-Angst" nehmen
Höchste Zeit für mehr Mitspracherecht der Bürger! Innenministerin Johanna
Mikl Leitner präsentiert einen Stufenplan für verpflichtende Volksabstimmungen.
Wien (övp-pd) - Während sich die ÖVP unisono für mehr direkte Demokratie in Österreich
einsetzt und sich geschlossen hinter das von der Jungen ÖVP initiierte Demokratiepaket gestellt hat, kann
sich die SPÖ immer noch nicht so recht dazu durchringen, das österreichische Volk stärker in wichtige
Entscheidungen in diesem Land einzubinden. Selbst Bundespräsident Heinz Fischer kann sich mit dem Gedanken
der Demokratieförderung noch nicht so recht anfreunden – und das, obwohl laut Umfrage 96% der Bürger
für mehr direkte Demokratie eintreten. Die ÖVP fordert daher zu Recht, dass ein umfassendes Demokratiepaket
für mehr bürgerliches Mitspracherecht beschlossen wird. Gegenüber Österreich bekräftigt
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner: „Ich hoffe, dass ich auch dem Herrn Bundespräsidenten die Angst vor
mehr Mitspracherecht für den Bürger nehmen kann.“
Bürger-Recht, bindende Entscheidungen zu treffen
Vor allem gilt es, für die Österreicherinnen und Österreicher das Recht zu erkämpfen, eigenständig
Entscheidungen treffen zu können. Daher müssen Volksbegehren das Potenzial bekommen, auch tatsächlich
Volksabstimmungen einleiten zu können, wenn eine bestimmte Schwelle – die ÖVP fordert 10% der Wahlberechtigten
– an Unterstützung erreicht wird. Diese müssen dann auch gesetzesbindend sein – denn sonst verkommt der
ganze Prozess zu einer Farce, einer inhaltslosen Hülse. Das ist es auch, was das ÖVP-Modell von jenem
der SPÖ unterscheidet, denn diese will statt einer Volksabstimmung eine Volksbefragung, die
nicht bindend ist. Unliebsame Forderungen der Bürger können dann ignoriert werden. – Eine derartige Regelung
würde aber keine entscheidenden Verbesserungen mit sich bringen!
Stufenplan für gesetzesbindende Volksabstimmungen
Während Andere noch mit ihren Ängsten ringen, mehr Entscheidungsmacht an die österreichischen Bürgerinnen
und Bürger abzugeben, hat Innenministerin Johanna Mikl-Leitner indes bereits einen Stufenplan für verpflichtende
Volksabstimmungen ausgearbeitet. Die wichtigsten Punkte sind:
- „Gesetzesinitiativen des Bundesvolks“ sind erfolgreich, wenn mind. 630.000 Unterstützungen wahlberechtigter
Bürgerinnen und Bürger erfolgen.
- Es können Online-Sammelsysteme zur Anwendung kommen .
- Die Unterstützer können der Initiative eine Abänderungsbefugnis erteilen, sodass etwas Spielraum
für spätere Kompromisse im Parlament erhalten bleibt.
- Die Vertreter der Initiative haben die Möglichkeit, ihre Pläne den Abgeordneten vorzustellen - und
können einem etwaigen Kompromiss zustimmen.
- Stimmt der parlamentarische Ausschuss der Initiative nicht zu, kommt es zu einer Volksabstimmung über
den ursprünglich initiierten Gesetzestext.
Mikl-Leitner rechnet mit einer Einigung bis Ende des Jahres. Bereits im Frühjahr könnte es dann eine
Volksabstimmung über mehr Mitbestimmung der Österreicherinnen und Österreicher geben.
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Foglar: Teilen Skepsis des Bundespräsidenten
Demokratiepaket noch sehr unausgereift
Wien (ögb) - ÖGB-Präsident Erich Foglar teilt die von Bundespräsident Heinz Fischer
in der ORF-"Pressestunde" geäußerte Skepsis an Teilen des Demokratiepakets: "Wir sind
für die Stärkung der Demokratie, auch der direkten. Dass auf Volksbefragungen mit einer bestimmten Anzahl
an Stimmen zwingend Volksabstimmungen folgen sollen, bereitet uns allerdings großes Unbehagen."
"Wenn auflagenstarke Boulevardblätter und Privatpersonen, zum Beispiel finanzkräftige Unternehmer
und politisierende Millionäre, mit Inseratenkampagnen und wochenlangen Coverstorys ein Thema so forcieren,
dass über Volksbefragung und Volksabstimmung am Ende ein Gesetz daraus wird, dann entstehen Gesetze am Parlament
vorbei" sagt Foglar. "Dieses Konstrukt würde bedeuten, dass man, wenn man nur genug Geld für
Inserate hat, ein Gesetz kaufen kann. Eine derartige US-Amerikanisierung der Politik lehnen wir ab."
Kleinere Organisationen oder Vereine wären deutlich benachteiligt, weil ihnen die Finanzkraft fehle, ihre
Anliegen mit der gleichen Massenwirkung zu verbreiten wie Parteien oder Unternehmer. "Es ist absolut nichts
gegen mehr Demokratie und mehr Bürgerbeteiligung einzuwenden", sagt Foglar. "ÖGB und Gewerkschaften
arbeiten auch konstant daran, die betriebliche Mitbestimmung auszubauen. Das Rezept für mehr Demokratie kann
aber nicht lauten, das Parlament durch automatische Volksabstimmungen auszuschalten. Und schon gar nicht kann man
zulassen, dass sich Interessengruppen mit Inseraten und Medienkampagnen rund um Volksabstimmungen Gesetze kaufen.
Wir teilen die Skepsis des Bundespräsidenten, es gibt bestimmt bessere Lösungen, das derzeit bekannte
Paket ist aus unserer Sicht noch sehr unausgereift. Wir wollen hier keine Zustände, wie etwa in den USA, wo
die Politik jene machen, die das meiste Geld haben, um ihre Themen zu kampagnisieren." |