In einer Studie haben HSG-Forschende die Rolle von Kredit-Ratingagenturen in der Staatsschuldenkrise
untersucht. Die Neuauflage der Untersuchung macht die Agenturen verantwortlich für die Krise.
St. Gallen (universität) - Schlechte Ratings können sich von selbst erfüllen, selbst
wenn sie ungerechtfertigt sind. Dies zeigte bereits die erste Untersuchung "PIGS or Lambs? The European Sovereing
Debt Crisis and the Role of Rating Agencies" der Forschungsgemeinschaft für Nationalökonomie an
der HSG. Die jetzt veröffentlichte neue Studie mit dem Titel "Rating agencies, multiple equilibria and
self-fulfilling prophecy? An empirical model of the European sovereign debt crisis 2009-2011" geht der Rolle
von Kredit-Ratingagenturen in der aktuellen Staatsschuldenkrise auf den Grund.
Nicht nachvollziehbare Herabstufungen europäischer Länder sind eine zentrale Ursache und Triebfeder der
europäischen Schuldenkrise. Die von Manfred Gärtner und Björn Griesbach verfasste Studie wertet
Daten für 25 OECD-Länder im Zeitraum 2009-2011 aus. Sie belegt, dass der Kampf der Eurozone gegen Insolvenzen
und systemische Gefahren in einem fragilen Umfeld multipler Gleichgewichte stattfindet.
Das erste, gute Gleichgewicht bringt tiefe Zinsen und gute Ratings. Im zweiten, schlechten Gleichgewicht werden
Zinsen unbezahlbar, die Ratings kollabieren, das Land wird insolvent. Dazwischen liegt eine Insolvenzschwelle.
Wird ein Land über diese Schwelle geschoben, setzt ein Sog in Richtung Insolvenz ein, aus dem es sich selbst
nicht mehr befreien kann.
"Fehleinschätzungen" führen zu Insolvenzen
Länder mit einem Rating von A oder schlechter sind in höchstem Masse gefährdet. Bereits
geringste negative Zins- oder Ratingsignale, auch wenn diese unbegründet sind, können solche Länder
in den Insolvenzstrudel stossen. Aber auch Länder mit Spitzenratings können nicht völlig sicher
sein. Selbst ein Land mit einem AAA Rating kann eine versehentliche oder missbräuchliche Herabstufung um vier
Stufen, also von AAA auf A+, in höchste Schwierigkeiten bringen.
Viele europäische Länder werden seit 2008 nach anderen Massstäben beurteilt als früher oder
als aussereuropäische Länder. Ihre Herabstufungen können nicht durch Verschlechterungen der Wirtschaftslage
und der Staatsfinanzen begründet werden: Spanien zum Beispiel hätte um eine halbe Klasse herabgestuft
werden müssen, verlor aber 3 Klassen. Irland hätte eineinhalb Ratingstufen verlieren müssen, wurde
aber um 7 Klassen herabgestuft. Bei Portugal war der Verlust einer halbe Klasse gerechtfertigt. Es verlor tatsächlich
aber 8 Klassen. Selbst Griechenlands Rating hätte sich aufgrund objektiver Wirtschaftsindikatoren in dieser
Zeit nur um 0.14 verschlechtern dürfen. Tatsächlich sackte es aber um 12 Klassen ab, von A auf CCC.
Verantwortung für die Schuldenkrise
Fügt man die oben genannten Puzzleteile zusammen – die Existenz multipler Gleichgewichte, das Vorhandensein
einer Insolvenzschwelle, deren gefährliche Nähe auch für finanziell gesunde Staaten, und die weitgehend
unbegründet erscheinenden, massiven Herabstufungen europäischer Länder – so muss man die Ratingagenturen
als zentrale Auslöser und Antreiber in der europäischen Schuldenkrise betrachten. |