Wien (wifo) - Das Bauforschungsnetzwerk Euroconstruct sieht größere Unsicherheiten und senkt
die Prognosen für die Entwicklung der Bauwirtschaft in den 19 europäischen Mitgliedsländern neuerlich.
Der im Vorjahr prognostizierte leichte Aufschwung in diesen Ländern wird aufgrund der Konjunktureintrübung
im Euro-Raum ausbleiben. Die Forschungsinstitute erwarten vielmehr 2012 einen Rückgang des Bauvolumens um
insgesamt 2,1%, der vor allem auf den Einbruch im Tiefbau um 4,2% zurückzuführen ist. Die Aussichten
für das österreichische Bauwesen sind etwas günstiger, obgleich das Wachstum 2012 mit +0,4% wesentlich
niedriger ausfällt als im Vorjahr (2011 +2,6%).
Gemäß der aktuellen Prognose der 19 Forschungsinstitute im europäischen Euroconstruct-Netzwerk
ist die Baukonjunktur in Europa weiterhin getrübt. Nachdem der Rückgang der Bauproduktion 2011 erstmals
seit Beginn der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise zum Stillstand kam, ist im Jahr 2012 wieder ein Einbruch zu erwarten
(-2,1%). Das hängt eng mit der Abschwächung der Konjunktur und öffentlichen Sparanstrengungen in
Europa zusammen.
Innerhalb des Bauwesens zeichnet sich derzeit eine Änderung der Nachfragestruktur ab: Hatte in den ersten
Jahren nach der Finanzmarktkrise der Tiefbau einen großen Teil des Nachfrageausfalls im Hochbau wettgemacht
bzw. einen wesentlich stärkeren Rückgang der Bauproduktion verhindert, so übernimmt gegenwärtig
der Wohnbau diese Rolle: Im Jahr 2011 verzeichnete der Wohnbau erstmals seit 2008 ein Wachstum (+1,5%). Bis 2014
ist - nach einer temporären Abschwächung 2012 - mit mäßigen Steigerungsraten zu rechnen, jedoch
weiterhin von sehr niedrigem Niveau aus. Am besten sind bis 2014 die Wachstumsaussichten für den Wohnbau in
Norwegen, Schweden, Deutschland und auch Großbritannien. Ein Rückgang ist vor allem in den Ländern
mit gesamt- und immobilienwirtschaftlichen Verwerfungen zu beobachten. Die Perspektiven für die Wohnhaussanierung
sind nach einem geringfügigen und einmaligen Rückgang im Jahr 2012 stabil, die Einschränkung von
Förderungen und Steuerbegünstigungen angesichts des Konsolidierungsdrucks auf die öffentlichen Haushalte
dämpft die Aussichten jedoch etwas.
Die Konjunktureintrübung in Europa infolge der Staatsschuldenkrise im Euro-Raum wirkt sich deutlich auf den
sonstigen Hochbau aus - insbesondere Investitionen in neue Gewerbeimmobilien sind betroffen. Aufgrund der öffentlichen
Sparmaßnahmen ist der Ausblick aber auch für Gesundheits- und Bildungsgebäude im Prognosezeitraum
negativ. Erst 2014, wenn auch die Gesamtwirtschaft wieder stärker expandiert, wird eine Erholung des sonstigen
Hochbaus in Europa erwartet - insbesondere in den nordischen Ländern (Dänemark, Finnland, Norwegen) und
in der Schweiz. Diese wird vor allem vom Büro- und Industriebau getragen sein.
In Europa ist der Tiefbau am stärksten von den staatlichen Budgetrestriktionen betroffen. 2012 wird ein empfindlicher
Rückgang um 4,2% erwartet, vor allem im Bereich der Verkehrsinfrastrukturbauten.
Etwas günstiger sind die Aussichten für die österreichische Bauwirtschaft. Sie entwickelte sich
im Jahr 2011 mit +2,6% deutlich besser als der Durchschnitt der Euroconstruct-Länder (+/-0,0%). Zurückzuführen
ist dieser Vorsprung auf die kräftige Steigerung des Wohnbaus (+3,6%) und des sonstigen Hochbaus (+4,2%).
Dank der starken Zunahme der Industrieproduktion trug vor allem die Sparte Industrie- und Lagergebäude zur
Ausweitung des sonstigen Hochbaus bei. Im Prognosezeitraum wird sich das Wachstum des österreichischen Bauwesens
infolge der Konjunktureintrübung deutlich verlangsamen, bis 2014 wird eine durchschnittliche jährliche
Steigerung um etwa 0,6% prognostiziert. Der Tiefbau wird in den nächsten Jahren leicht rückläufig
sein, insbesondere wegen der geplanten Einschränkung der öffentlichen Investitionen in die Schieneninfrastruktur.
Positive Wachstumsbeiträge sind aus den Sektoren sonstiger Hochbau und Wohnbau zu erwarten.
Im österreichischen Wohnbau profitiert der Neubau vom steigenden Bedarf aufgrund der demographischen Entwicklung,
während die erwartete Einschränkung der Neubauförderung und zunehmende Anspannungen auf dem Arbeitsmarkt
die Aussichten etwas dämpfen. So wird bereits 2012 mit einem leichten Rückgang der Baubewilligungen von
neuen Wohneinheiten gerechnet, der sich 2013 noch etwas verstärkt. Jedoch liegen weiterhin die Baubewilligungen
je 1.000 Einwohnerinnen bzw. Einwohner über dem Durchschnitt der Euroconstruct-Länder.
Zwtl.: Hinweis: Bauforschung im Rahmen des Euroconstruct-Netzwerks
Dem Euroconstruct-Netzwerk gehören Bau- und Konjunkturforschungsinstitute aus 19 europäischen Ländern
an, darunter auch das WIFO. Zweimal jährlich werden im Rahmen einer Konferenz Analysen und Prognosen zur Baukonjunktur
und zur Entwicklung in den einzelnen Sparten (Wohnbau, sonstiger Hochbau, Tiefbau) vorgelegt.
Als die "19 Euroconstruct-Länder" werden hier 15 westeuropäische Länder (Belgien, Dänemark,
Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Niederlande, Norwegen, Österreich,
Portugal, Schweden, Schweiz und Spanien) und 4 ostmitteleuropäische Länder bezeichnet (Polen, Slowakei,
Tschechien, Ungarn). |