Auf die Perspektive kommt es an   

erstellt am
21. 08. 12

Neuer Blick auf die Kulturen des Alten Orients ist überfällig
Innsbruck (universität) - Einen Perspektivenwechsel hin zu einer globalen Weltgeschichte fordert der Altorientalist und Althistoriker Robert Rollinger. Er erforscht den kulturellen Austausch zwischen den Kulturen des Alten Orient und der Klassischen Antike. Rollinger ist Professor an der Universität Innsbruck und hält seit einem Jahr auch eine hochkarätige Finland Distinguished Professur an der Universität Helsinki.

Das abendländische Bild vom Aufstieg des Perserreichs und den Perserkriegen im frühen 5. Jahrhundert v. Chr. ist stark von den Berichten des antiken griechischen Geschichtsschreibers Herodot geprägt. „Auch was Herodot über das Reich der Perser erzählt, findet zu einem ganz großen Teil ungebrochenen Eingang in die Forschungsliteratur“, sagt der Innsbrucker Wissenschaftler Robert Rollinger, der den Einfluss von altorientalischen Denkstrukturen und kulturellen Elementen auf die griechische Historiographie erforscht. „Dabei wurde viel zu wenig beachtet, dass es sich bei Herodots Schilderungen, um einen Blick von außen auf eines der großen Imperien der Weltgeschichte handelt. Rollinger erforscht, inwiefern Herodot Zugang zu Informationen aus dem persischen Großreich hatte und wie diese Informationen vom griechischen Geschichtsschreiber verarbeitet wurden. „Der Vergleich mit altorientalischen Quellen erlaubt uns einen spannenden Perspektivenwechsel, der den Blick aus dem Westen relativiert“, sagt Rollinger. „So kann nicht nur die Frage nach der historischen Realität über den Vergleich von Quellen aus Ost und West besser ergründet werden, wir setzen so auch einen ersten Schritt hin zu einer globalisierten Geschichtsschreibung“, betont Rollinger vom Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik der Universität Innsbruck.


Globalisierte Weltgeschichte
Den Perspektivenwechsel in der Geschichtsschreibung Alter Kulturen pflegt Robert Rollinger seit Oktober vergangenen Jahres auch als Forschungsprofessor an der Universität Helsinki. Als einer von wenigen international renommierten Wissenschaftlern wurde er von der Finnischen Akademie der Wissenschaften für dieses Programm ausgewählt und kann gemeinsam mit finnischen Kollegen an dieser Fragestellung weiterforschen. Inhaltlich bildet Rollinger mit seinem Team zwei wichtige Klammern, von den altorientalischen Kulturen zur klassischen Antike und von dort zur islamischen Welt - was einem Zeitraum von zwei Jahrtausenden entspricht. Im festgefahrenen Fächerkanon wurden diese Bereiche bisher weitgehend vernachlässigt. „Für diese Kontaktstellen fühlte sich bisher niemand zuständig“, erklärt Rollinger. „Nur mit einem Perspektivenwechsel können wir Verbindungen herstellen und die durchgängigen Linien sehen.“ Ziel ist es, die Fragestellungen in einen größeren historischen Kontext einzuordnen und damit die besonderen Beziehungsgeflechte des Alten Mesopotamien auf die klassisch antiken Kulturen und deren Nachleben ins Auge zu nehmen. Auf diese Weise lassen sich nicht nur viele auch in der europäischen Moderne gängige Ideen und Denkmuster auf ihren Ursprung zurückführen, die antiken Kulturkontakte liefern auch ein brauchbares Modell für in der Gegenwart alltägliche kulturelle Austauschprozesse.

Zukünftig will Rollinger sich verstärkt mit Alexander dem Großen und seinen Biografen befassen. Erste Studien zeigen, dass mit seinen Eroberungszügen starke kulturelle Verschränkungsprozesse einhergingen. „Gegenüber der klassischen Historiographie Alexanders verändert der Blick aus dem Osten unsere Perspektive vollständig“, betont Rollinger, der in einer aktuellen Arbeit zum Beispiel den Einfluss des Alten Orient auf militärtechnische Entwicklungen in klassisch-antiken Welt beeindruckend belegen kann. In diesem Zusammenhang wird Rollinger im Herbst 2013 auch eine von der European Science Foundation (ESF) finanzierte internationale Tagung in Schweden organisieren.

International vernetzt forschen
Robert Rollinger wurde 1964 in Bludenz, Vorarlberg, geboren. Seine Studien der Sprachen und Kulturen des Alten Orients, der Geschichte und der Alten Geschichte schloss er 1993 mit der Promotion in Innsbruck ab. Seit 2005 ist er Universitätsprofessor am Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik der Universität Innsbruck. Neben den Arbeiten zu Kulturkontakten zwischen Griechenland und dem Alten Orient zählen auch die Altorientalische Geschichte, das Geschichtsdenken, die Forschungs- und Rezeptionsgeschichte, die Antike Historiographie und Ethnographie zu seinen Forschungsschwerpunkten. Robert Rollinger baut mit seinen Arbeiten auf einer langen Tradition umfassender altertumswissenschaftlicher Forschungen an der Innsbrucker Universität auf.

Charakteristisch für sein umfangreiches wissenschaftliches Arbeiten war und ist die Einbettung in einen internationalen Forschungskontext. Dies zeigen nicht nur seine Mitarbeit bei internationalen Fachzeitschriften und die Mitgliedschaften in internationalen Organisationen und Forschungsprojekten, sondern auch seine Gastprofessuren an der Aga Khan University in London oder an der Universität Hildesheim. Dazu zählt auch seine Mitgliedschaft als einziger österreichischer Altertumswissenschaftler im European Network for the Study of Ancient Greek History, sowie als einer von fünf Innsbrucker Professoren in der Europäischen Akademie der Wissenschaften (Academia Europaea). Mit dem Finland Distinguished Professorship findet dieser Weg seine logische Fortsetzung. Dieses von der Finnischen Akademie der Wissenschaften international ausgeschriebene Programm finanziert fünfjährige Forschungsprofessuren für renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Ausland.

Über Innsbruck hinaus in einen internationalen Kontext führt nicht zuletzt auch ein wichtiges und von Rollinger mit Begeisterung betriebenes Feld seiner Tätigkeit: die Leitung von wissenschaftlichen Exkursionen, die ihn in den vergangenen Jahren in den gesamten Mittelmeerraum, nach Vorderasien und bis nach Zentralasien geführt haben.
     
zurück