Wie sich Oberösterreich in der EU durchsetzen will – Landesrat Hiegelsberger und LAbg.
Schwarz: "Wir werden den Druck auf die EU verstärken."
Linz (lk) - Das Land Oberösterreich führt seit mehr als zehn Jahren einen Abwehrkampf gegen
die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) auf Oberösterreichs Feldern. Zunächst
wurde vom Oö. Landtag einstimmig, über alle Parteigrenzen hinweg, versucht, ein Oö. Gentechnikverbotsgesetz
zu erlassen und bis zum Gerichtshof zweiter Instanz des EuGH weiterverfolgt. 2003 war Oberösterreich gemeinsam
mit der Toskana Gründungsmitglied dieses europäischen Netzwerkes gentechnikfreier Regionen, welches nun
Schleswig Holstein als 56. Region begrüßt.
Am 05. und 06.09. findet in Erfurt/Thüringen ein Netzwerktreffen der Gentechnikfreien-Regionen Europas statt.
Oberösterreich wird dort erneut seine Positionen für ein Selbstbestimmungsrecht der Regionen und eine
bessere Kennzeichnung im Sinne der Wahlfreiheit für Konsument/innen bekräftigen.
In diesen vergangenen zehn Jahren wurde viel erreicht, gipfelnd im Vorschlag der Europäischen Kommission vom
13. Juli 2010, die Freisetzungsrichtlinie in Richtung Selbstbestimmungsrecht der Mitgliedsstaaten bei der Einschränkung
oder dem Verbot der Freisetzung von GVO abzuändern. Trotz der Bemühungen mehrerer Ratspräsidentschaften
besteht derzeit leider noch immer eine Blockade von fünf großen Mitgliedsstaaten gegen dieses Selbstbestimmungsrecht
aus den unterschiedlichsten Beweggründen und Interessenslagen.
Bei der morgen und übermorgen in Erfurt stattfindenden nächsten Europakonferenz der Allianz der Gentechnikfreien
Regionen Europas will Oberösterreich den Druck weiter verstärken.
Gentechnik-Freiheit - Recht auf Selbstbestimmung
Das Land OÖ setzt sich im Rahmen des EU-weiten Netzwerks Gentechnik-freier Regionen seit langem für ein
Selbstbestimmungsrecht ein. Mit dem Vorschlag der Europäischen Kommission KOM (2010) 375 soll den Mitgliedstaaten
ein diesbezügliches Recht eingeräumt werden. Dieser Vorschlag wurde durch den Bericht von Corinne Lepage
im Europäischen Parlament modifiziert und konkretisiert. Allerdings konnte im Rat keine Einigung erzielt werden,
sodass der Gesetzgebungsprozess bis auf Weiteres blockiert ist.
Denn bei der letzten Umweltministerkonferenz im Juni 2012 gab es keinen Beschluss für den dänischen Kompromiss,
die Mitgliedsstaaten über die GVO-Aussaat selbst entscheiden zu lassen. Dies scheiterte vor allem am Widerstand
Deutschlands und Frankreichs.
Landtags-Abgeordnete Ulrike Schwarz: "Derzeit ist unklar, ob und wann das Selbstbestimmungsrecht rechtlich
besser abgesichert werden kann. Denn leider ist von der aktuellen Ratspräsidentschaft Zyperns bei diesem Thema
wenig zu erwarten. Wir werden aber nicht aufgeben, sondern konsequent den Druck weiter aufbauen."
Gemeinsam wollen die Landesräte Hiegelsberger und Anschober im Sinne der Konsumentenwünsche weiterarbeiten:
"Wir werden daher bei der Konferenz der Allianz der GVO-freien Regionen am 5./6. September in Erfurt (D) nach
Strategien und Gegenmaßnahmen suchen, damit das Selbstbestimmungsrecht auch im Rat beschlossen wird."
Hiegelsberger und Schwarz: "Die von Oberösterreich gegründete Allianz der GVO-freien Regionen ist
ein wichtiger politischer Faktor in Europas Gentechnikpolitik: Auf unsere Initiative hin haben sich mittlerweile
55 Regionen zusammengeschlossen, sie vertreten 20 Prozent der EU-Bürger/innen und wollen gemeinsam das Selbstbestimmungsrecht
über den Anbau gentechnisch manipulierten Saatguts durchsetzen. In Erfurt wird mit Schleswig-Holstein ein
weiteres deutsches Bundesland dem Netzwerk beitreten, das damit auf 56 Mitglieder wächst. Gemeinsam werden
wir den Druck auf die Regierungen erhöhen, dem Willen der Mehrheit der EU-Bevölkerung entsprechend, die
keine GVO auf den Feldern wollen, das Selbstbestimmungsrecht auch rechtlich eindeutig zu verankern."
Die kommenden Bundestagswahlen 2013 in Deutschland und die Wahl zum Europäischen Parlament 2014 stellen Chancen
für all jene dar, die sich eindeutig gegen die Gentechnik auf unseren Feldern positionieren.
Schwarz: "Ich erwarte weiters, dass auch der Druck von unten auf die Regierungen zunimmt, von den Initiativen,
die sich in zahlreichen Regionen in den letzten Jahren gebildet haben, ebenso wie von den Umwelt-, Agrar- und Naturschutzverbänden.
Auch eine Europäische Bürgerinitiative zu diesem Thema könnte eine Option sein."
Prof.in Dr.in Erika Wagner vom Institut für Umweltrecht der Universität Linz hat im Auftrag der Landesräte
Anschober und Hiegelsberger den aktuellen Stand bei der Verankerung des Selbstbestimmungsrechts auf Basis des Vorschlags
der Kommission und der 1. Lesung im Europäischen Parlament rechtlich analysiert. Sie bestätigt in ihrem
Zwischenbericht, dass das Selbstbestimmungsrecht der Regionen noch einer weiteren rechtlichen Absicherung bedarf
und der rechtliche Gestaltungsspielraum auf EU-Ebene dafür gegeben ist.
Dabei kommt sie u. a. zu folgenden Aussagen:
Faktische Gründe, die für ein Weiterdenken des Konzepts von GVO-freien Anbaugebieten sprechen:
- GVO können zu ungewollten Einträgen in biologische und konventionelle Nutzpflanzen führen. Solche
genetischen Veränderungen in der Umwelt lassen sich nicht mehr oder - wenn überhaupt - nur mehr mit höchstem
Aufwand rückgängig machen.
- Die Notwendigkeit der Setzung von Vermeidungsmaßnahmen von GVO-Einträgen führen bei konventionellen
und biologischen Betrieben zu hohen finanziellen Einbußen.
- Die Union bekennt sich zur ökologischen Produktion nach der sog. EG-Bio-Verordnung 834/2007.
- Nicht vermeidbares Vorhandensein von GVO in konventionellen Produkten und ungewollte GVO-Einträge bedrohen
die Wahlfreiheit von Konsumenten und Konsumentinnen.
- Die Art einer Bewirtschaftungsmethode ist Ausfluss des zivilrechtlichen Eigentums jedes Produzenten in der
Gemeinschaft.
- Genetische Manipulationen an Pflanzen, führen - selbst wenn solche für Mensch und Umwelt als "risikolos"
eingestuft werden - zu irreversiblen Veränderungen der Natur.
- Die Biodiversität ist im Rahmen von Natura 2000 ein durch europäische Rechtsakte (Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie,
Vogelschutz-Richtlinie) klar geschütztes Interesse.
Landesrat Hiegelsberger verweist zusätzlich auf die in Österreich vorherrschenden kleinen Strukturen
in der Landwirtschaft. "Die Landwirtschaft in Österreich und Oberösterreich hat eine der kleinsten
Strukturen in der EU. Die Gentechnikfreiheit als ein Teil einer Qualitätssteigerungs- bzw. Differenzierungsstrategie
ist daher die größte Chance für die oberösterreichische Landwirtschaft und eine künftige
flächendeckende Bewirtschaftung."
"Der Anbau von GVO-Pflanzen ist für Österreichs Landwirtschaft keine Option, eine Koexistenz zwischen
biologischer, konventioneller und GVO-Landwirtschaft ist auf Grund der Kleinstrukturiertheit der Landwirtschaft
in Oberösterreich unmöglich. Dazu kommt, dass unsere Konsumentinnen und Konsumenten, aber auch die Produzentinnen
und Produzenten, eine Grüne Gentechnik auf Oberösterreichs und auch Österreichs Feldern ablehnen",
betont Hiegelsberger.
Von der Selbstbestimmung zur eindeutigen Kennzeichnung
In Österreich gilt neben der EU-VO 1829/2003 betreffend die Gentechnik-Kennzeichnung auch ein sehr strenges
Lebensmittelrecht, der sogenannte Lebensmittelkodex, nach dem bei einer Auslobung als "gentechnikfrei"
im Gegensatz zur Gentechnik-Kennzeichnungsverordnung keine Toleranzgrenze für Verunreinigungen vorgesehen
ist. Die Auszeichnung als "gentechnikfrei" gibt es in Österreich seit Herbst 1997.
Landesrat Hiegelsberger: "Die Wahlfreiheit für die Konsument/innen durch die Schaffung von Kennzeichnungen
wie 'gentechnikfrei', 'ohne Gentechnik' muss jedenfalls gesichert werden. Basis dafür ist jedoch das Selbstbestimmungsrecht
für die Mitgliedsstaaten, die Freisetzung von GVO in ihrem Gebiet einzuschränken oder zu verbieten, da
sonst in Österreich mangels Koexistenzmöglichkeit keine Wahlfreiheit für die Produzentinnen und
Produzenten möglich ist."
In Österreich wurde erfolgreich immer mehr auf gentechnikfreie Fütterung umgestellt (Milch und Ei, Rindermast
1/3). Landesrat Hiegelsberger erwartet für diesen Qualitätsvorsprung aber eine Abgeltung der Mehrkosten
für die Landwirtschaft: "Derzeit kann davon ausgegangen werden, dass der Handel für GVO-freie Produkte
mehr zahlt und die GVO-Freiheit daher eine geeignete Qualitäts- und Differenzierungsstrategie für die
Produzenten bietet. Um diese Entwicklung auch weiterhin beibehalten zu können, ist jedoch einerseits die Importabhängigkeit
von Eiweiß-Futtermitteln zu verringern bzw. die Eigenproduktion bzw. Eigenversorgung zu erhöhen (Donausoja)."
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