Der TU-Physiker Karsten Held wird mit einem der großen europäischen Förderungspreise
ausgezeichnet: Er erhält einen ERC-Starting-Grant für seine quantenmechanische Materialforschung.
Wien (tu) - Mit aufwändigen Computerprogrammen kommt man heute ganz neuen Materialeigenschaften
auf die Spur. Prof. Karsten Held entwickelt am Institut für Festkörperphysik der TU Wien neue Rechenmethoden
um das komplizierte, quantenmechanische Zusammenspiel der Elektronen zu verstehen, das für viele überraschende
Effekte verantwortlich ist. Vom European Research Council erhält er nun einen „ERC-Starting Grant“, der mit
etwa 1,5 Millionen Euro dotiert ist. Damit wird Karsten Held in den nächsten fünf Jahren seine Forschungsgruppe
erweitern und seine wissenschaftliche Arbeit intensivieren.
Viele Teilchen – schwierige Rechnung
Das erste Objekt, das quantenmechanisch beschrieben werden konnte, war das Wasserstoffatom – ein besonders einfaches
System, mit nur einem einzigen Elektron. Jedes zusätzliche Teilchen, das berücksichtigt werden muss,
macht die Rechnungen unvergleichlich viel komplizierter. Trotzdem gibt es heute Methoden, das Zusammenspiel einer
Vielzahl von Teilchen zu beschreiben.
Für die moderne Materialwissenschaft ist das unverzichtbar, denn viele spannende Eigenschaften neuer Materialien
lassen sich nur ergründen, wenn man das quantenphysikalische Verhalten der Elektronen am Computer simuliert.
„Supraleitung bei hohen Temperaturen, Quanten-Phasenübergänge nahe am absoluten Temperatur-Nullpunkt
oder das Verhalten von Elektronen in winzigen Nanostrukturen – es gibt eine ganze Reihe von Quanten-Effekten, die
theoretisch noch immer nicht ausreichend gut beschrieben werden können“, sagt Karsten Held.
Der Nobelpreis war erst der Anfang
Ein wichtiger Fortschritt in der theoretischen Materialforschung war die Entwicklung der Dichtefunktionaltheorie,
für die 1998 der Chemie-Nobelpreis an Walter Kohn vergeben wurde. In den vergangenen Jahrzehnten gab es viele
wichtige Weiterentwicklungen in der quantenmechanischen Beschreibung von Festkörpern. Erst vor einigen Jahren
wurde die „Dynamical Mean Field Theory“ (DMFT) entwickelt – Karsten Held gilt als einer der Pioniere auf diesem
Gebiet.
Die DMFT-Methode kann Quanten-Korrelationen zwischen Elektronen beschreiben, die am selben Gitterpunkt eines Kristalls
sitzen. Für viele wichtige Effekte muss aber auch berücksichtig werden, dass Elektronen unterschiedlicher
Gitterpunkte quantenphysikalisch in Verbindung stehen. „Die DMFT hat große Fortschritte gebracht und ist
heute State of the Art – doch ganz besonders bei niedrigen Temperaturen kann es zu Effekten kommen, die auch damit
nicht erklärt werden können“, sagt Karsten Held.
Karsten Held und sein Team arbeitete daher an einer neuen Methode – der „Ab Initio Dynamical Vertex Approximation“
(DGA), mit der Elektronen-Korrelationen auf größeren Längenskalen nun beschreibbar werden. Möglich
wurde das durch mathematisch komplizierte Ansätze aus der Quantenfeldtheorie. „Erste Tests haben bereits gezeigt,
dass unsere Methode funktioniert. Nun wollen wir die Methode weiter entwickeln, wichtige physikalische Fragestellungen
besser verstehen und sogar konkret Materialien berechnen“, erklärt Held.
Grundlagenforschung und Anwendung
Einerseits soll die neue Methode ermöglichen, bestimmte Materialien am Computer verstehen zu lernen und neue
Aussagen über Supraleitung, Quanten-Phasenübergänge oder Nanostrukturen zu machen. Andererseits
soll auch ganz allgemein ein tieferes theoretisches Verständnis dieser Phänomene gewonnen werden.
Der ERC-Grant soll Karsten Held nun ermöglichen, in den nächsten fünf Jahren sein Team zu vergrößern
und eine weltweit führende Forschungsgruppe aufzubauen. Eine wichtige Rolle wird dabei auch die Computer-Infrastruktur
spielen: Aufwändige Rechnungen brauche außerordentliche Computerleistung, die an der TU Wien der Großrechner
VSC liefern wird. Karsten Held ist jedenfalls zuversichtlich: „Wien hat eine lange Tradition der Methodenentwicklung
in der Festkörperphysik – wir wollen an den großen Fortschritten der Vergangenheit anknüpfen und
Rechenmethoden für das 21. Jahrhundert entwickeln.“ |